Essen. . In Essen leben viele Zuwanderer aus Osteuropa in Armut, einige sind obdachlos. Nun fürchtet die Stadt, dass das Land Integrationsmittel streicht.
Die Zahl der Rumänen in Essen ist seit dem EU-Beitritt des Landes im Jahr 2007 um 742 Prozent gestiegen: Mit 4733 Landsleuten stellen sie in der Stadt inzwischen die zweitgrößte Gruppe der EU-Zuwanderer nach den Polen (20.709). Eine ähnliche Entwicklung gab es bei den Bulgaren, von denen heute 2452 in Essen leben.
Die Hoffnung der osteuropäischen Zuwanderer erfüllen sich oft nicht: Sie leben unter prekären Verhältnissen, etliche von ihnen sind sogar wohnungslos. „Doch als EU-Bürger halten sie sich grundsätzlich rechtmäßig hier auf“, betont Ordnungsdezernent Christian Kromberg. „Diese Freizügigkeit zu überprüfen, ist aufwendig und rechtlich anspruchsvoll.“ Einer möglichen Armutszuwanderung, die mit Problem-Immobilien und dem Missbrauch von Sozialleistungen einhergehe, begegne man aber mit sozial- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen.
Viele haben weder Ausbildung noch Sprachkenntnisse
Auf der anderen Seite sollen verschiedene Integrationsprojekte den Zuwanderern den Weg in Arbeitsmarkt und Gesellschaft ebnen. Doch „Migranten in Arbeit“, eins der zentralen Angebote, soll nur noch bis 2020 vom Land finanziert werden. „Ich sehe mit Sorge, dass diese wichtige Arbeit wegfällt“, sagt die Integrationsbeauftragte der Stadt, Galina Borchers.
Borchers, die selbst aus Bulgarien stammt, weist darauf hin, dass bei einem Teil der osteuropäischen Zuwanderer der Start in Deutschland vergleichsweise reibungslos gelinge. Große Probleme hätten dagegen die Sinti und Roma, „die in ihren Heimatländern oft diskriminiert wurden und häufig keine Gelegenheit hatten, die Schule zu besuchen“. Auf sie seien Projekte wie „Migranten in Arbeit“ (Mia) zugeschnitten, durch das im vergangenen Jahr zumindest 98 Personen in Arbeit vermittelt wurden, 80 Prozent von ihnen in sozialversicherungspflichtige Stellen. Angesichts der schwierigen Startbedingungen der Teilnehmer – fehlende Sprachkenntnisse, keine Schul- und Ausbildung – sei diese Zahl durchaus als Erfolg zu werten.
Stadt erklärte „Problemhäuser“ für unbewohnbar
Sie stammt aus einer Auflistung der Integrationsarbeit, die am Mittwoch (8. Mai) im Schulausschuss behandelt wird. Darin werden auch andere Projekte vorgestellt, die sich zum Beispiel an wohnungslose Zuwanderer wenden oder auf die „Prävention von Konflikten im Wohnumfeld sowie auf die Unterstützung der schulischen Integration von Kindern neu zugewanderter EU-Bürger aus Südosteuropa“ abzielen. Schließlich kommt es immer wieder zu Konflikten mit Nachbarn, die sich über Lärm, Müllberge in Innenhöfen, verdreckte Wohnungen und mangelnde Einsicht südosteuropäischer Zuwanderer beschweren.
Die Stadt hat sogar schon einzelne der „Problemhäuser“ für unbewohnbar erklärt, geräumt und zugemauert. Mit Erfolg, sagt Ordnungsdezernent Kromberg. „Das Thema Problem-Immobilien ist mehr oder minder abgefrühstückt, es gibt kaum noch Beschwerden von Nachbarn.“ Und die skrupellosen Vermieter, die sich an den Elendszuwandern bereichern wollten, „haben wohl erkannt, dass sie damit in Essen kein Geld machen können“. Es gebe allerdings weiter jede Woche Kontrollen, um den Druck aufrecht zu erhalten.
Mancher Neunjähriger ist nie zur Schule gegangen
Die Räumungen hätten jedoch den unerwünschten Nebeneffekt gehabt, dass mancher der Zuwanderer weiterzog, sagt Kromberg. „Damit fielen sie und ihre Kinder natürlich auch aus den unterstützenden Projekten.“ Dabei seien Kita- und Schulbesuch so wichtig, um die Kinder vor dem Schicksal der Eltern zu bewahren, sagt Galina Borchers. „Doch diese Menschen sind Behörden gegenüber leider oft sehr misstrauisch, und für sie zählen Schulen auch zu den Behörden.“ Daher setze man auf muttersprachliche Sozialarbeiter und Streetworker, die das Vertrauen der Zuwanderer gewinnen. „Es gibt Kinder, die mit neun Jahren noch nie beschult worden sind. Die Schulleitungen bestätigen uns, dass sie bei ihnen ohne die Integrationsprojekte keine Erfolge erzielen könnten.“
Während der Flüchtlingskrise seien andere Zuwanderer leider aus dem Blick geraten, dabei müsse Integration allgemein betrachtet werden, findet Galina Borchers. Denn selbst wenn viele der südosteuropäischen hier nur Kindergeld erhielten, seien 60 Prozent von ihnen bereits seit mindestens zwei Jahren in Essen. „Die Menschen bleiben hier – auch ohne Sozialleistungen. Selbst wenn ihre Lebensbedingungen prekär sind, ist es hier immer noch besser als in Rumänien und Bulgarien.“
>>> FÖRDERPROJEKTE FÜR EU-ZUWANDERER
- Das „Projekt Migrant/inn/en in Arbeit“ (MiA) hilft Zuwanderern aus Südosteuropa bei Jobsuche und Integration. Es startete im Januar 2014, läuft bis Ende 2020 und wird von Land und EU finanziert. MiA wurde mit insgesamt 2,3 Millionen Euro gefördert; der Eigenanteil der Stadt lag erst bei 20, später bei 10 Prozent.
- Seit 2016 wurde MiA ergänzt um das Projekt „BZW – Beratung für Zugewanderte und Wohnungslose“ mit zwei Elementen: 1. MiO (Migranten in Orientierung), das die Zuwanderer zunächst an die Regelsysteme heranführen soll. 2. Wubb „Wohnungslose unterstützen, beraten und begleiten“ (Wubb). BZW umfasst insgesamt 1,3 Millionen Euro.
- Und schließlich gibt es seit 2017 „Mifrin – Migranten in friedlicher Nachbarschaft“, das zunächst bis Ende 2019 läuft und mit 750.000 Euro finanziert wird.
- Die Projekte werden getragen von der Neuen Arbeit der Diakonie, Evangelischer Gemeinde Borbeck-Vogelheim, Caritas, Diakoniewerk und Verein für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten (VKJ). Das Kommunale Integrationszentrum koordiniert die Projekte; das NRW-Arbeitsministerium und der Europäische Sozialfonds fördern sie.