Essen. Im Parkhaus in Essen-Borbeck flogen Flaschen und E-Roller vom Dach, Anwohner warnten schon vor Monaten vor einer Katastrophe. Nun trat sie ein.
Das Unglück im Parkhaus an der Kraftstraße in Borbeck mit zwei toten, in einem Auto vom Dach gestützten Jugendlichen kommt für Stadtteilpolitiker und Anwohner nicht überraschend, vielmehr deutete sich eine Katastrophe seit längerer Zeit an. Das erklärte die Borbecker Bezirksbürgermeisterin Margarete Roderig im Gespräch mit dieser Zeitung.
Massive Beschwerden und Hinweise der Anwohner gab es schon im November 2021
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Nach massiven Hinweisen und Beschwerden von Anwohnern an ihre Adresse hat es demnach am 7. Dezember 2021 einen Ortstermin zwischen Roderig und Vertretern des Eigentümers des Parkhauses, dem Krankenhaus-Konzern Contilia gegeben. Erstmals habe sich die Stadtteilpolitik dabei ein umfassendes Bild vor Ort machen können. „Verdreckt, vieles zerstört, alle Türen unverschlossen – die Zustände in dem Parkhaus sind entsetzlich“, schildert Roderig ihre Eindrücke.
Das Parkhaus habe auf sie den Eindruck einer Ruine gemacht, die von Jugendlichen und jungen Erwachsenen okkupiert wurde, um dort Ordnungswidrigkeiten aller Art, aber auch Straftaten zu begehen: Die Palette beginne mit Lärmbelästigung, gehe über zu Drogen- und Alkoholmissbrauch und ende bei lebensgefährlichem Unfug. Auch am Dienstag, (19. 4.), mehr als zwei Tage nach der Tragödie, war das Tor zum Parkhaus weiterhin offen.
Anwohner: Sogar E-Roller wurde vom Dach auf die Straße geworfen
Ein Anwohner in der Kraftstraße 20, dem Wohnhaus direkt neben dem Parkhaus, schildert die Zustände in einem Brief an die Bezirksbürgermeisterin im November 2021 so: „Schon seit mehreren Monaten kommt es im Parkhaus vermehrt zu Sachbeschädigungen und Lärmbelästigungen (besonders am Wochenende und in der Nacht). In den letzten Wochen hat sich der Zustand noch mal erheblich verschlimmert. In den letzten Wochen musste ich mehrfach, auch in der Nacht, die Polizei informieren, da u.a. ein Miet-Elektroroller vom Dach, auf die Kraftstraße geworfen wurde; Pyrotechnik gezündet wurde oder die Feuerlöschschläuche aus dem Obergeschoss gehängt wurden, die Wasserhähne geöffnet und somit die Kraftstraße und/oder das Treppenhaus mit Löschwasser geflutet wurde.“
Beim Eintreffen der Polizei seien die Verursacher bereits verschwunden gewesen, was entweder damit zusammenhänge, dass die Polizei sich Zeit gelassen habe oder den Jugendlichen die Flucht über ein zweites Treppenhaus gelungen sei.
Parkhaus soll auch ein Drogenhandeltreff gewesen sein
Auch zu Drogenverkäufen sei es gekommen, wobei das Parkhaus wohl als Treffpunkt diene – „Jugendliche betreten aus verschiedenen Richtungen kommend das Parkhaus und verlassen dieses nach ein bis zwei Minuten wieder, um in unterschiedlichen Richtungen wegzugehen.“ Dies geschehe mehrfach über den Abend verteilt. Die darüber informierte Polizei habe mit der Aussage: „Wir können ja nicht 24 Stunden ein Parkhaus observieren“, entsprechende Anwohnerwünsche nach Bekämpfung des mutmaßlichen Drogenhandels für unmöglich erklärt.
Auch das Ordnungsamt hat sich laut Bezirksbürgermeisterin unter Hinweis auf das Privateigentum der Immobilie für unzuständig erklärt. Die Stadtteilpolitik habe das Ordnungsamt zuvor auf die Zustände hingewiesen. Ordnungsdezernent Christian Kromberg erklärte auf Anfrage der Redaktion, er werde so rasch wie möglich klären, wie das Ordnungsamt in diesem Fall vorgegangen ist. Am Dienstag (19. 4.) sei das aufgrund der Urlaubssituation im Amt noch nicht möglich gewesen.
Am Wochenende regelmäßig als Party-Location benutzt
Am Wochenende werde das Parkhaus dann regelmäßig als Partylocation genutzt, dabei würden schon mal Flaschen aus dem Parkhaus auf die Straße geworfen, ohne Rücksicht, ob dort Passanten vorbeigingen. Roderig zufolge gibt es auch Anwohnerberichte, wonach angetrunkene oder unter Drogeneinfluss stehende Jugendliche auf dem Rand der obersten Plattform balancieren. „Mir hat ein Anwohner schon vor Monaten gesagt, es sei nur eine Frage der Zeit, bis hier etwas Schlimmes passiert“, so die CDU-Stadtteilpolitikerin.
Anwohner vermieden es, an der ruinierten und gefährlichen Immobilie vorbeizugehen, und nähmen lieber Umwege in Kauf, so der Anwohner in seinem Brief. Eine Nachbarin gehe nach Einbruch der Dunkelheit aus Angst gar nicht mehr aus dem Haus. „Auch meine Frau und ich überlegen schon, uns eine andere Wohnung zu suchen. Aber ist das die Lösung für das Problem?“ Auch den früheren Parkhausbetreiber, die Firma „Besser parken“ habe man mehrfach ohne Erfolg über die Missstände informiert.
Contilia habe seit dem Krisen-Termin Ende 2021 nichts Wahrnehmbares unternommen
Roderig erklärte, nach ihrer Kenntnis habe die Contilia-Krankenhausgesellschaft seit dem Ortstermin vor über vier Monaten nichts Wahrnehmbares unternommen, um die Zustände zu beenden. Damals habe es geheißen, man habe selbst große Probleme mit dem Pächter. Das Pachtverhältnis endete indes zum 31. Dezember 2021, seither ist die Contilia allein für das Parkhaus zuständig, das nur noch im Erdgeschoss von einigen Dauermietern und von Angestellten des benachbarten Contilia-Krankenhauses Philippusstift genutzt worden sei.
Alle oberen Etagen seien faktisch in der Gewalt der Jugendlichen gewesen, deren Alter Roderig auf „zwischen zwölf und Mitte 20“ schätzt. Der Einschätzung nach habe es unter den Jugendlichen solche mit als auch ohne Migrationshintergrund gegeben. Probleme habe es mit dem Parkhaus aber auch schon vor der Okkupierung durch die Jugendlichen gegeben. „Obdachlose aus Osteuropa hatten die Immobilie genutzt, um dort ein dauerhaftes Lager einzurichten“, so Margarete Roderig. Es habe sich um vier, fünf Männer gehandelt, die dann irgendwann verschwanden, nachdem die Stadtteilpolitik interveniert hatte.
Anwohner warnten vor „lebensbedrohlichen Situationen“
Der Brief der Anwohner an die Bezirksbürgermeisterin schließt: „Ich möchte Sie, auch im Namen der anderen Anwohner der Kraftstraße, bitten zu prüfen: Welche Möglichkeiten bestehen für die Bezirksvertretung IV, bzw. das Ordnungsamt der Stadt Essen, den Betreiber des Parkhauses kurzfristig zu verpflichten, dieses gegen unbefugtes Betreten zu sichern und zu gewährleisten, dass es in Zukunft nicht wieder zu lebensbedrohlichen Situationen kommt.“ Die lebensbedrohliche Situation ist dann tatsächlich eingetreten.
Contilia hat sich auf Anfrage mittlerweile zu einigen Punkten geäußert (zum Artikel: „Parkhaus-Eigentümer verweist auf Verbotsschilder“).