Essen. Große Orchester und Starsolisten: Intendant Hein Mulders hinterlässt Essens Philharmonie ein Vorzeige- Programm. Seine Nachfolge bleibt ungeklärt

Zurück zum alten Glanz: Goldschimmernd präsentiert sich das neue Programm der Essener Philharmonie, mit dem man nach zwei schwierigen Pandemie-Jahren endlich wieder an die Zeit der reichlich verkauften Abonnements und vollen Säle anknüpfen will. Auf das 240 Seiten starke Versprechen vieler herausragender Konzertereignisse fällt allein ein personeller Schatten: Die Intendanz-Nachfolge von Hein Mulders, der in diesem Sommer als Opernchef nach Köln wechselt und den Vertrag in Essen damit vorzeitig beendet, ist noch immer nicht geregelt.

Die städtische Findungskommission, so hieß bei der gestrigen Programmvorstellung, habe sich bislang nicht einigen können, man wolle nichts übereilen. Marie Babette Nierenz als erfahrene und langjährige künstlerische Leiterin der Philharmonie wird das Konzerthaus deshalb bis auf weiteres im Alleingang führen. Nierenz dankte Mulders gestern mit persönlichen Worten und großen Blumenstrauß für die langjährige und harmonische Teamarbeit.

Königlicher Klang: Mit dem Royal Concertgebouw Orchestra bestreitet erstmalig ein ganzes Orchester die Künstler-Residenz in der Essener Philharmonie.
Königlicher Klang: Mit dem Royal Concertgebouw Orchestra bestreitet erstmalig ein ganzes Orchester die Künstler-Residenz in der Essener Philharmonie. © Simon van Boxtel

Was Nierenz für die Spielzeit 2022/23 ankündigen kann, stellt einmal mehr heraus, welchen Stellenwert die Essener Philharmonie im internationalen Musikleben und für bestimmte Klassik-Stars hat. Ausnahme-Musiker wie der Violinist Daniel Hope zählen längst zu den Stammgästen, Weltklasse-Sängerinnen wie Joyce DiDonato oder Diana Damrau steuern verlässlich das Konzerthaus an der Huyssenallee an. Auch die bedeutendsten Orchester machen keinen Bogen um Essen. Bester Beweis ist in der kommenden Spielzeit die Künstler-Residenz des weltberühmten Royal Concertgebouw Orchestra aus Amsterdam, das für gleich sechs Auftritte in unterschiedlichen Konstellationen in der Philharmonie gewonnen werden konnte.

Nicht minder glanzvoll: Das London Philharmonic Orchestra kommt zusammen mit Anne-Sophie Mutter nach Essen (13. 11.). Zum Reigen der großen Orchester und ihrer nicht minder prominenten Dirigenten gehören auch das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Roma mit Sir Antonio Pappano, das SWR Symphonie-Orchester mit dem gefeierten Pult-Enfant Terrible Teodor Currentzis (16. 12.), Riccardo Chailly und die Filarmonica Della Scala (5. 2. 2023) und die Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra (26. 3. 2023).

Nicht in Essen gastieren wird indes der russische Dirigent Valery Gergiev. Seine bundesweit geplanten Tour-Auftritte mit dem Mariinsky Theater werden angesichts des Ukraine-Kriegs und der bislang nicht aufgekündigten Putin-Freundschaft nicht stattfinden. Die Gergiev-Absage sei allerdings keine grundsätzliche Entscheidung, russische Künstler in Essen nicht mehr auftreten zu lassen. Man müsse die Unterschiede im Blick haben, sagt Nierenz: „Wir werden auch nicht jeden Musiker nach seinem Parteibuch fragen.“

Shootingstar der Klavierszene: Dem isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson widmet die Philharmonie Essen eine Porträt-Reihe.
Shootingstar der Klavierszene: Dem isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson widmet die Philharmonie Essen eine Porträt-Reihe. © Sven Lorenz

Aus Island kommt der zweite Residenz-Künstler der nächsten Spielzeit. Der Pianist Víkingur Ólafsson gilt manchen angesichts seines interpretatorischen Tiefsinns schon als „isländischer Glenn Gould“. In Essen präsentiert sich Ólafsson mit mehreren Auftritten als Konzertsolist wie als feinsinniger Liedbegleiter – und hat mit der Zeche Zollverein für sein Solo-Recital mit Philip Glass-Musik sogar einen spannenden Zweitspielort gefunden.

Ungewohntes Klang-Terrain zu erkunden, das ist seit zwölf Jahren auch die Aufgabe des Neuen-Musik-Festivals „Now!“, das im November unter der Überschrift „Horizonte“ Soundreisen bis nach Bali und Burkina Faso unternehmen wird.

International besetzt ist auch die Jazz-Reihe in der Philharmonie: Der tunesische Oud-Spieler Dhafer Youssef und die HR-Bigband (30. 9.) sind ebenso mit von der Partie wie der US-amerikanische Superstar Dianne Reeves (24. 3. 2023). Zu einer spektakulären Wiedervereinigung kommt es, wenn mit Joshua Redman, Brad Mehldau, Christian McBride und Brian Blade vier Topstars nach fast 30 Jahren mit „A MoodSwing Reunion“ erneut zusammenfinden (25. Oktober).

Er liebt die Filmwelt: Zuletzt hat sich Stargeiger Daniel Hope mit dem Thema „100 Jahre Hollywood“ beschäftigt. Sein neues Programm trägt nun den Titel „America“.
Er liebt die Filmwelt: Zuletzt hat sich Stargeiger Daniel Hope mit dem Thema „100 Jahre Hollywood“ beschäftigt. Sein neues Programm trägt nun den Titel „America“. © TuP Essen | Margaret Malandruccolo/DG

Auch die Filmmusik hat 2022/23 in Essen einen besonderen Stellenwert: Die Essener Philharmoniker werden ihre Sinfoniekonzert-Reihe mit Klassikern der sinfonischen Filmmusik beginnen, die Neue Philharmonie Westfalen feiert sie beim Jugendkonzert (21. 4. 2023), und Daniel Hope bringt nach „Hollywood“ nun ganz „America“ mit Sounds von George Gershwin, John Williams und einer „Vertigo“-Suite zum Klingen (18. 6. 2023). Für gehobenes Entertainment stehen unter anderem Andrej Hermlin nebst Orchester am Silvesterabend und Star-Trompeter Till Brönner mit einem ausgesuchten Weihnachtsprogramm. Auch Diana Damrau singt in Essen diesmal Weihnachtslieder.

Schauspieler Joachim Krol schlüpft in die Rolle des Komponisten Monteverdi

Populäres mit qualitativem Anspruch zu verbinden und vermeintliche Nischen populärer zu machen, ist Hein Mulders während seiner zehnjährigen Intendanz immer wieder geglückt. Besonders erfolgreich wurde die Alte-Musik-Reihe, die mit „Ariodante“ die Folge der konzertanten Händel-Opern weiterschreibt (5. 11.) und auch ein musikalisch-literarisches Auftragswerk aus der Taufe hebt: In Monteverdis „Musikalischen Tagebüchern“ wird Schauspieler Joachim Krol in die Rolle des Komponisten schlüpfen (16. 2. 2023).

Es gibt wieder Abos

Für die Spielzeit 2022/23 verkauft die Philharmonie Essen wieder Festplatz-Abonnements. Vom 7. April bis zum 13. Mai können Abonnenten exklusiv einen Neuabschluss, einen Platztausch oder einen Abonnement-Wechsel vornehmen.

Der Ticket-Vorverkauf startet ab dem 14. Mai an den TuP-Kassen, online, telefonisch und schriftlich: Ticket-Center II. Hagen 2, Aalto-Kasse, Opernplatz 10, Tel. 0201-8122-200, online: tickets@theater-essen.de

Eine Vorschau auf das Programm der Philharmonie Essen und der Essener Philharmoniker bekommt das Publikum auch am Samstag, 9. April, ab 19 Uhr. Für den musikalischen Rahmen sorgen die Chamber Players - das Streichquintett des WDR Sinfonieorchesters. Für diese Veranstaltung gibt es noch einiges kostenlose Zählkarten im Ticket-Center, an der Aalto-Kasse sowie ggf. an der Abendkasse.

Zu den insgesamt 14 Philharmonie-Abos gehören auch Große Chorwerke, Kammermusik und Piano Recitals. Solisten wie Maria Joao Pires, Janine Jansen, Isabelle Faust, Emmanuel Tjeknavorian und Stargeiger Frank-Peter Zimmermann sind vertreten, den Reigen der schönen Stimmen bilden Magdalena Kožená, Ian Bostridge, Matthias Goerne oder Anja Harteros. Die Orgel-Reihe wird instrumental verstärkt durch die Anschaffung einer neuen Truhenorgel. Das letzte Konzert der Saison ist wiederum ein Abschiedskonzert. Generalmusikdirektor Tomáš Netopil beendet seine zehnjähriges Amtszeit mit einem slawischen Programm. Sein „Tschechisches Märchen“ endet im Juni 2023.