Essen. Große Herausforderungen für Essens Theater und Philharmonie: Fast alle Leitungsfunktionen müssen neu besetzt werden – doch die Suche zieht sich.

Der April ist für Theater- und Musikfreunde gemeinhin ein Monate der Vorfreude. Im Schauspiel Essen und im Aalto-Theater wird letzte Hand an die Programme gelegt. Und schon an diesem Mittwoch (6. April) verkündet die Philharmonie Essen, worauf sich das Publikum in der kommenden, hoffentlich wieder Beschränkungs-freien Spielzeit 2022/23 freuen kann. So kommt nach Informationen dieser Zeitung das weltberühmte Amsterdamer „Concertgebouworkest“ als Residenz-Orchester nach Essen, daneben dürften weitere glanzvolle Namen auf der Liste stehen. Nur eine Auskunft wird man den geladenen Journalisten am Mittwoch schuldig bleiben: wer ab Sommer die Intendanz der Essener Philharmonie übernimmt, wenn Doppel-Intendant Hein Mulders ein Jahr vor seinem offiziellen Vertragsende als neuer Opernchef nach Köln wechselt.

Das Programm für 2022/23 hat Mulders noch hinterlassen. Doch nicht nur Klassik-Kenner wissen, dass eigentlich längst die Verhandlungen für die darauffolgende Spielzeit laufen müssten. Große Orchester und bekannte Solisten haben ihre Terminkalender für gewöhnlich auf Jahre im Voraus gefüllt. Nach der Pandemie dürfte die Planung angesichts vieler Nachhol-Termine zudem noch enger sein. In Essen indes scheint man keine dringende Eile zu verspüren – oder man kommt einfach zu keinem Entschluss.

Essener Intendanten-Suche: „Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen“

„Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen“, erklärt die Aufsichtsratsvorsitzende von Theater und Philharmonie (TuP) Barbara Rörig auf Nachfrage. Geeignete Kandidatinnen oder Kandidaten, die alle Anforderungen erfüllen, seien nicht leicht zu finden. Renommierte Namen standen dem Vernehmen nach auf der Bewerberliste, konnten die Ansprüche der Findungskommission mit Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain an der Spitze aber offenbar nicht zufriedenstellen.

Wer da komme, müsse „ein Gesicht am Markt haben, über internationale Kontakte verfügen, aber auch die Öffnung des Konzerthauses in die Stadt vorantreiben“, beschreibt Rörig das Anforderungsprofil. Langen Vorlauf wird die erwählte Person für die Erfüllung der vielen neuen Aufgaben nicht haben.

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Besorgte Konzertfreunde dürfte zumindest beruhigen, dass mit Marie Babette Nierenz eine erfahrene künstlerische Leiterin in der Philharmonie weiterhin den Takt vorgibt. Doch wer will Pläne schmieden und weitreichende Verträge abschließen, die einem künftigen Chef oder einer künftigen Chefin am Ende womöglich nicht ins Konzept passen? Auch der neuen Opern-Intendantin Merle Fahrholz erleichtert das Personal-Vakuum die Planungen nicht unbedingt. Schließlich soll der Austausch zwischen den Sparten künftig eine noch größere Rolle spielen.

Fahrholz ist die bislang einzig entschiedene Personalie auf einer langen Liste von wichtigen Neubesetzungen. Gesucht wird schon ab 2023 ein Nachfolger am Pult der Essener Philharmoniker und ab 2024 eine neue Spitze fürs Ballett. Der Vertrag von Geschäftsführerin Karin Müller wurde immerhin um ein Jahr verlängert. Für Schauspiel-Intendant Christian Tombeil ist im Sommer 2023 Schluss.

Zumindest für die Grillo-Position scheint mittlerweile eine Lösung gefunden. Dem Vernehmen nach dürfte der Aufsichtsrat der Essener Theater und Philharmonie in dieser Woche ein weibliches Führungs-Duo auf den Schild heben, das schon einige Regie- und Dramaturgie-Erfahrung mitbringt, aber offenbar noch keine echte Leitungs-Expertise hat.

Schauspiel Essen: Aufsichtsrat will in diesen Tagen neues Leitungsteam absegnen

Die gesicherte Stabübergabe im Schauspiel Essen ist aber schon deshalb wichtig, weil dort auch Raumfragen schleunigst gelöst werden müssen. Die Casa in der Theaterpassage ist als zweite Spielstätte ein Ort auf Abruf. Der Mietvertrag endet 2023. Noch weiß niemand, was mit der bereits weitgehend leergezogenen Immobilie passiert, die als künftiger Standort der neuen Stadtbibliothek noch nicht gänzlich vom Tisch ist. Als kleinerer Ersatz für die Casa soll nun die so genannte Heldenbar unterm Grillo-Dach zur Studiobühne ausgebaut werden. Darüber will der Kulturausschuss am Mittwoch beraten.

Weitere drängende Immobilienfragen, von der mangelhaften Probenraum-Situation, über die Sanierung des Kulissenhauses bis zur Suche nach geeigneten Werkstatt-Räumen, müssen neben den Personalfragen ebenfalls zügig geklärt werden.

Die lange To-do-Liste ist dabei auch ein Erbe der Bergmann-Ära. Der 2020 nach heftigen Mitarbeiterprotesten aus dem Amt gedrängte TuP-Geschäftsführer hatte zuletzt neue Leitungsformen innerhalb des Fünf-Sparten-Betriebes durchsetzen wollen. Die Zeit für eine personelle Neuaufstellung auf breiter Front schien damals gekommen, alle laufenden Intendantenverträge wurden nicht mehr verlängert.

Da freilich ahnte noch niemand, dass Corona und nun auch noch der Ukraine-Krieg einen Teil des Publikums vom Theaterbesuch regelrecht entwöhnen würden. Ausgesetzte Abonnements, Maskenpflicht, Angst vor Ansteckung – noch liegen die Besucherzahlen weit unter der Vor-Corona-Auslastung. Die finanziellen Folgen dürften erst in den kommenden Spielzeiten zum Tagen kommen. Das neue Führungspersonal bekommt dann bei aller Aufbruchstimmung auch so manche Altlast mit auf den Weg.