Essen. Verdienter Beifall für ein Werk, das unter die Haut geht: Valery Gergiev und die Wiener Philharmoniker zelebrieren „Romeo und Julia“ in Essen.

Wenige Tage vor ihrem Aufbruch in die USA kehrten die Wiener Philharmoniker nach fünf Jahren in die Essener Philharmonie zurück. Maestro Valery Gergiev kombinierte einige Sätze aus Sergej Prokofieffs Ballettmusik zu „Romeo und Julia“ mit Peter Tschaikowskys 6. Symphonie, der „Pathétique“, zu einem attraktiven Programm. Für Dirigent und Orchester effektvolle Selbstläufer, was sich vor allem in den klangvollen, aber auch etwas routiniert angehauchten Darstellungen der Miniaturen aus Prokofieffs Ballett zeigte. Wobei das Ergebnis bei einem Orchester vom Format der Wiener Philharmoniker mit und ohne Routine zum Ereignis werden kann.

Valery Gergiev mag als Dirigent nicht unumstritten sein und in seinem Rang als Pult-Star überschätzt werden, von seinem engen Verhältnis zu Putin ganz zu schweigen. Aber das russische Repertoire ist bei ihm bestens aufgehoben. Mit der emotionalen Intensität, mit der er die Erschütterungen in Tschaikowskys letzter, kurz vor dessen Tod entstandener und in tiefer Depression endenden Symphonie zum Glühen bringt, wirkt er vollauf glaubwürdig, weit ab von mediendienlicher Selbstdarstellung. Eine Minute verharrte er nach den letzten, in fünffachem Pianissimo aushauchenden Kontrabasstönen in demütiger Stille, bevor er Applaus zuließ. Auf eine Zugabe verzichtete er wohlweislich, um den tiefen Eindruck nicht zu schnell verwischen zu lassen. Und selbst dem verdienten Beifall setzten Philharmoniker ein relativ kurzes Ende, indem sie sich ungewöhnlich rasch von der Bühne verabschiedeten.

Details und Vorstellungen in idealer Perfektion realisiert

Mit den Wienern steht Gergiev ein Orchester zur Verfügung, mit dem sich alle Details und alle Vorstellungen in idealer Perfektion realisieren lassen: Im ersten Satz die fahle Stimmung der Fagott-Einleitung, die zarte Süße des lyrischen Themas und die eruptiven Verzweiflungsausbrüche am Ende der Durchführung. Alle dynamischen Register ziehend, entfalten die Philharmoniker am Höhepunkt der Durchführung eine Druckwelle, die selbst in dieser extremen Wucht noch ihre klangliche Kontenance behält, ohne in ein unkontrolliertes Chaos auszubrechen. Chancen, die sich Gergiev auch im Schlusssatz, dem ergreifenden Adagio lamentoso, nicht entgehen lässt. So oft die Symphonie gespielt wird, so oft man sie gehört haben mag: In dieser überwältigenden Darstellung, deren Wirkung sich so auch nur live wahrnehmen lässt, geht das Werk noch immer unter die Haut. Keine Spur von Sentimentalität, keine Spur von oberflächlicher Brillanz selbst im Geschwindmarsch des Scherzos, dafür ehrliche und überwältigende Ergriffenheit.

Begeisterter, aber etwas unfreiwillig kurzer Beifall des Publikums in der Essener Philharmonie.