Essen-Fischlaken. Drei junge Essener wurden kurz vor Kriegsende exekutiert. Die BV IX möchte an sie mit einer Tafel erinnern. Wie berührt das junge Menschen heute?
Auf dem Bergfriedhof gibt es 165 Kriegsgräber der Weltkriege. Direkt am Haupteingang stehen die Steinkreuze, die Namen mehr oder minder lesbar. Ganze Familien wurden ausgelöscht. Hier soll auf Antrag von CDU und FDP in der Bezirksvertretung IX eine Gedenktafel aufgestellt werden.
Am 7. April 1945 wurden drei junge Soldaten wegen Fahnenflucht exekutiert. Ihren schrecklichen Tod nehmen die Antragsteller zum Anlass, die Sinnlosigkeit von Kriegen aufzuzeigen. Die Grabsteine tragen die Namen Johann Hansjosten, Helmut Hawes und Johann van der Mee(r). Hawes war 18 Jahre, Hansjosten 17 und van der Mee 21.
Essener Historiker Ernst Schmidt erforschte ihre Geschichte
Der Essener Historiker Ernst Schmidt erforschte ihre Geschichte: Da die amerikanischen Truppen nahten, beschlossen die drei Freunde, nicht mehr an die Front zurückzukehren. Sie versteckten sich in Borbeck, wurden aber von einem Nachbarn denunziert und festgenommen. In Fischlaken wurden sie zum Tode verurteilt und in einer Schlucht an der Maasstraße erschossen. Augenzeugin war Ruth Peters, sie hatte eine Gruppe Soldaten gesehen und in deren Mitte die an Pfähle gefesselten Jungs. Einer habe immer wieder „Mamma“ geschrien, ein anderer nach seiner Mutter gerufen. Dann seien Schüsse gefallen. Die Leichen wurden verscharrt. Später überführte man sie zum Bergfriedhof.
Gedenktafel soll das Schicksal der Soldaten dokumentieren
Die Gedenktafel soll das persönliche Schicksal dieser Soldaten exemplarisch für viele andere dokumentieren. Die BV möchte besonders junge Menschen sensibilisieren. Doch was denken die, die genau in dem Alter sind wie damals die drei Hingerichteten?
Antrag in der BV IX
Den jungen Männern war Heimaturlaub wegen ihrer Erfrierungen und Verletzungen gewährt worden. Sie entschieden sich, nicht mehr zu ihrer Truppe zurückzukehren.
Exemplarisch soll mit einer Tafel die Sinnlosigkeit des Krieges und die Chancenlosigkeit der Menschen im Krieg aufgezeigt werden, so der Antrag von CDU und FDP in der Bezirksvertretung IX.
Die 18-jährigen Tobias Jerghoff und Laurenz Niehues sowie der ein Jahr ältere Yves Schütz besuchen die Kriegsgräber und wägen ihre Worte. Der Ukraine-Krieg beschäftigt sie sehr, doch die Ereignisse vor 77 Jahren sind ihnen fremd.
Bekannte aus der Ukraine erzählen von ihren Erlebnissen
Tobias Jerghoff findet es extrem schwer, sich in Kriegszeiten hineinzuversetzen: „Kaum einer hat mit seinen Großeltern darüber gesprochen. Allerdings haben wir im 9. Schuljahr im Geschichtsunterricht mit Zeitzeugen sprechen können. Da ist was hängen geblieben.“ Doch erst jetzt bekomme man ein Gespür dafür, wie schrecklich Krieg sei: „Die Mutter eines Freundes stammt aus der Ukraine. Sie erzählt, wie schlimm das ist für ihre Familie.“
Der Spruch „Nie wieder“ bekommt für Yves Schütz einen bitteren Beigeschmack: „Es liegt wohl in der Natur des Menschen, Auseinandersetzungen zu führen. Es gibt die Diplomatie, aber zum Durchsetzen eigener Interessen wird immer wieder zu Gewalt gegriffen. Das ist doch keine Lösung.“ Erst recht keine kurzfristige Lösung, denn im von Russland angezettelten Krieg sei kein Ende abzusehen. Das liege auch an staatlicher Propaganda.
Vorschlag: QR-Code zu einem Instagram-Kanal
Laurenz Niehues hat erfahren, dass in Essen lebende Kinder russischer Abstammung in der Schule unbeirrt behaupten, es handele sich nur um eine militärische Übung. Was Yves Schütz Parallelen ziehen lässt: „Der Verräter der drei Jungs wird davon überzeugt gewesen sein, das Richtige zu tun. Er hat Schuldige gesucht für die bevorstehende Niederlage der Deutschen, und die Drei mussten ihr Leben lassen. Aus heutiger Sicht nicht zu verstehen.“
Nach dem Krieg sei geschwiegen worden in vielen Familien: „Man schämte sich, dass man sich so manipulieren ließ. So gingen aber die Geschichten der Einzelschicksale verloren.“ Umso wichtiger scheine ihm ein Gedenken: „Viele Zeitzeugen leben nicht mehr.“
Eine Tafel müsse an zentraler Stelle stehen, sagt Tobias Jerghoff: „Junge Menschen verlieren sich selten auf den Friedhof.“ Für Laurenz Niehus ist ein Erinnern unbedingt sinnvoll: „Aber wenn, dann an den Eingängen des Friedhofs. Besser dort, wo sich junge Leute aufhalten. Oder man führt über einen QR-Code zu einem Instagram-Kanal. Es gibt so eine Seite für Anne Frank.“ Aber trotz allem werde es schwer bleiben, sich in die drei jungen Männer hinein zu versetzen, die ihrer Hinrichtung entgegen zitterten.
>>> Zeitzeugen erinnern sich an die Bombennächte
Die Berichte aus der Ukraine spülen besonders bei älteren Werdener Bürgern schlimme Erinnerungen hoch an den Krieg. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges leistete beispielsweise die Gruppe „Verteidiger Werdens“ noch Widerstand – das kostete Menschenleben: Vor dem Milchgeschäft Hüls in der Grafenstraße schlug eine amerikanische Granate ein in die wartende Kundenschlange. Mehr als ein Dutzend Menschen starben.
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Die 92-jährige Juliane Lortz hört noch die Sirenen: „Bis zur Entwarnung hockte man stundenlang im Bunker.“ Ihr Vater war Fuhrunternehmer und musste Bombenopfer zum Bergfriedhof bringen: „Ein schwerer letzter Weg. Mein Vater kannte die doch alle.“
Fliegerbombe hatte das elterliche Haus halb zerstört
Herbert Soer, damals ein kleiner Junge, erinnert sich an 1943: „Wir saßen im Keller unseres Hauses am Klemensborn und bibberten. Dann hörten meine Eltern, meine Schwester und ich es krachen.“ Als es wieder still war, nahm der Vater seinen ganzen Mut zusammen und schaute oben nach. Eine Fliegerbombe hatte das elterliche Haus halb zerstört. Doch das Nachbarhaus war voll getroffen – und 14 Menschen tot.
Der Vater von Monika Reich-Püttmann hatte ihr vom Schicksal seiner ersten Frau im Jahr 1944 berichtet: „Es war Bombenalarm und die Familie musste runter in den Keller. Sie wollte eben noch auf den Dachboden, die Wäsche von der Leine holen. Auf dem Weg ins Krankenhaus ist Irmgard Püttmann gestorben, mit gerade einmal 25 Jahren.“