Essen. Die Registrierung ukrainischer Flüchtlinge geht im Bürgeramt Borbeck geräuschlos über die Bühne. Ortstermin an der Koordinierungsstelle.

Für immer mehr Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine wird Essen zum rettenden Hafen. 1400 waren es am vergangenen Freitag, an diesem Donnerstag (17. März) sind es schon 2391 – Tendenz weiter steigend. Geschätzt mehr als 90 Prozent sind Frauen und Kinder. Für die Neuankömmlinge ist die eigens eingerichtete Zentrale Koordinierungsstelle im Bürgeramt Borbeck eine der ersten Adressen für den Neustart in Essen.

Zentrale Registrierung im Borbecker Amt geschieht geräuschlos und rasch

Auch an diesem Donnerstagvormittag herrscht an der Rudolf-Heinrich-Straße 1 wieder ein ständiges Kommen und Gehen. Mal treffen größere Gruppen ein, um sich registrieren zu lassen, mal kommt nur eine einzelne Mutter mit Kind. Weil zuvor ein Termin vereinbart werden musste, geht die Registrierung gut getaktet und geräuschlos über die Bühne. Und das liegt nicht nur an der Professionalität der Verwaltungsleute, sondern auch an den Ukrainerinnen und Ukrainern selbst. „Die Leute sind supernett, freundlich, höflich und vor allem dankbar“, sagt die Mitarbeiterin des städtischen Sicherheitsdienstes RGE, die anscheinend ganz andere Umgangsformen gewohnt ist. Besonders aufgefallen seien ihr die vielen traurigen Augen, in die sie schon geschaut habe. „Ihre Blicke verraten, dass sie in der Ukraine sehr schlimme Dinge erlebt haben müssen.“

Rund 70 Flüchtlinge werden im Bürgeramt Borbeck jetzt Tag für Tag registriert. Einheimische, die ihren Führerschein verlängern oder einen Reisepass beantragen möchten, müssen vorübergehend zum Gildehof ausweichen. Das ist für kaum jemanden ein Problem, nur dem Passanten mit dem schwarz-gelben Borussen-Fanschal scheint dies nicht zu gefallen. Während Flüchtlinge leise an ihm vorbei ein- und ausgehen, fängt er vor dem Eingang zum Amt an herumzunölen. Doch die „Zecke“ wird von resoluten Frauen aus dem Stadtteil schnell zurückgepfiffen. Dass er sich über einen läppischen Umweg von ein paar Kilometern aufrege, wo geschundene Kriegsflüchtlinge Tausende von Kilometern zurücklegen müssten, ärgert sie maßlos.

„Das Baby war vor der Flucht eilig mit Not-Kaiserschnitt auf die Welt geholt worden“

Spende für Kriegsflüchtlinge: Die Schwestern Melanie Hencke (r.) und Felicitas Muntwyler aus Dellwig geben am Donnerstag zwei Tragetaschen voller Spielzeuge und Stofftiere im Bürgeramt Borbeck ab. Die Borbeckerin Helga Jorde (hinten links) hat zehn belegte Brötchen vorbeigebracht – auch für das Personal vor Ort
Spende für Kriegsflüchtlinge: Die Schwestern Melanie Hencke (r.) und Felicitas Muntwyler aus Dellwig geben am Donnerstag zwei Tragetaschen voller Spielzeuge und Stofftiere im Bürgeramt Borbeck ab. Die Borbeckerin Helga Jorde (hinten links) hat zehn belegte Brötchen vorbeigebracht – auch für das Personal vor Ort © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Damian Wolnarek (21) vom DRK hat Monate lang im Testzentrum am Flughafen gearbeitet, jetzt kümmert er sich um die obligatorischen Schnelltests für Flüchtlinge. Vor wenigen Tagen habe eine junge Mutter mit ihrem drei Tage alten Neugeborenen an der Tür gestanden. „Das Baby war in der Ukraine noch eilig mit einem Not-Kaiserschnitt auf die Welt geholt worden, dann ergriff die Mutter sofort die Flucht nach Deutschland“, berichtet er. Herzzerreißende Schilderungen wie diese gibt es hier zuhauf.

Die vielbeschworene Hilfsbereitschaft der Einheimischen – auch sie gibt es in Borbeck. Melanie Hencke aus Dellwig und ihre Schwester Felicitas Muntwyler geben an der Tür zwei Tragetaschen voller Spielzeuge und Stofftiere ab und sagen: „Zum Wegwerfen ist es viel zu schade, deshalb spenden wir lieber.“ Die RGE-Mitarbeiterin trägt die willkommene Spende gleich herein zu den wartenden Flüchtlingskindern.

Die Ukrainerin Oxana Thom, gebürtig aus dem umkämpften Lugansk, lebt schon seit 25 Jahren in Werden. Jetzt kümmert sie sich um ihre Schwägerin Svetlana (37), die mit Tochter Daria (10) und Sohn Konstantin (6) seit einer Woche bei ihr Unterschlupf gefunden hat. Ihren Mann Dmitri, Oxana Thoms Bruder, hat sie in Kiew zurücklassen müssen, weil er dort unabkömmlich sei. „Er ist kein Soldat, muss aber Sandsäcke füllen für Barrikaden“, erzählt sie.

Flüchtlinge verstehen kein Deutsch, aber sie sagen „Guten Morgen“ und „Schönen Tag“

Die meisten ukrainischen Flüchtlinge werden bei ihren ersten Behördengängen von Angehörigen oder Freunden begleitet, die schon länger im Ruhrgebiet leben. Von Menschen, die deshalb gut über das Verwaltungsprozedere informiert sind.

Wenn es mit der Sprache hapert, hilft der Google-Translator: „Wir kommen aus verschiedenen Städten, ich komme aus Khmelnytsky“, steht auf dem Handy dieses Mannes, der sich soeben hat registrieren lassen.
Wenn es mit der Sprache hapert, hilft der Google-Translator: „Wir kommen aus verschiedenen Städten, ich komme aus Khmelnytsky“, steht auf dem Handy dieses Mannes, der sich soeben hat registrieren lassen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

In der Regel erhalten Neuankömmlinge den Status von Vertriebenen. Der Aufenthaltstitel (Fiktionsbescheinigung) gewährt ihnen Zugang zu Leistungen nach Sozialgesetzbuch II und XII, darunter auch die Krankenversichertenkarte. Ein weiteres Thema ist die Schulpflicht. Die zehnjährige Daria nimmt von Werden aus online am improvisierten Unterricht in Kiew teil. Aber was passiert mit ihrem kleinen Bruder Konstantin, der demnächst eingeschult werden sollte? Essen ist längst dabei, sich auf die Beschulung von Schülern wie Konstantin und Daria vorzubereiten. „Schulpflicht besteht für alle, die einen festen Wohnsitz in Essen und einen Aufenthaltstitel besitzen“, betont Stadtsprecherin Silke Lenz.

Um kurz nach elf verlässt eine größere Gruppe Ukrainer das Bürgeramt. Sie wirken zufrieden. Deutsch spricht niemand von ihnen, aber der Google-Translator verwandelt kyrillische Buchstaben schnell in lesbares Deutsch. Auf dem Handy des Mannes steht zu lesen: „Wir sind keine Familie, wir kommen aus verschiedenen Städten, ich komme aus Kmelnytsky, eine Frau mit einem Kind aus Iwano-Frankiwsk.“

Die oft gelobte Dankbarkeit der Flüchtlinge drückt sich am Bürgeramt Borbeck in kleinen Gesten aus. Etwa wenn die Helfer mit einem freundlichen „Guten Morgen“ oder „Schönen Tag“ begrüßt werden. „Es sind die einzigen deutschen Worte, die sie können“, sagt DRK-Mann Damian Wolnarek – und strahlt.