Essen. Zwischen Armin-Laschet-Blues und Markus-Lanz-Lacher: Wie der Essener Kabarettist Hagen Rether sein „Liebe“-Update in der Lichtburg zelebriert.

Hagen Rether ist ein Solitär auf deutschen Bühnen. Andere Wortartisten, egal ob schenkelklopfender Comedian oder bissiger Kabarettist, arbeiten auf Pointen hin, um Lacher und Beifall zu ernten. Er dagegen verkündet lakonisch plaudernd seit fast 20 Jahren unbequeme Haltungen zu Gott und der Welt. Unter dem immer wieder neu nummerierten Titel „Liebe“, der sich bei dem 52-Jährigen gnadenlos auf „Hiebe“ reimt. Denn wie solche schneiden sich seine Satzgebilde ins Hirn seines Publikum; intellektuell fundiert, sauber durchdacht und messerscharf formuliert.

Hagen Rether in Essen: „Sie dürfen mich beim Scheitern begleiten“

Wer mit dieser Erwartungshaltung zu Hagen Rethers „Liebe“-Update 2022 in die wohlgefüllte Lichtburg gekommen war, der wurde doch zunächst heftig überrascht. Und zwar nicht von dem zart ergrauten Vollbart des studierten Pianisten, denn solchen trug er bereits damals vor gut zehn Jahren, als er zum seither bekennenden Veganer mutierte. Nein, man staunte über seine verblüffend milde, beinahe schon melancholische Reflexion der pandemischen Auswirkungen auf das eigene künstlerische Schaffen. Nachdenklich vorgebracht, völlig ironiefrei und überhaupt nicht zum Lachen, wie Hagen Rether sich am „mit Rapsöl eingeflogenen Biobananen“ dekorierten Flügel neu zu definieren suchte: „Sie dürfen mich beim Scheitern begleiten.“

Nun, wie sich im Laufe des Abends zeigte, scheiterte er vor allem an seinem Anspruch, sich kürzer zu fassen und seinen Auftritt auf zwei Stunden zu beschränken. Zu lachen gab es wenig („Der Lanz hat doch tatsächlich eine Frau ausreden lassen. Ich dachte, ich guck nicht richtig …“), zu bestaunen und zu bedenken viel. Die bei Hagen Rether stets obligate Kirchenkritik etwa fiel diesmal verblüffend moderat aus. Und blieb doch unübersehbar. Präsentierte er doch seinem Publikum trocken eine Puppe von Papst Benedikt XVI., die für den Rest der Show auf dem Flügel thronte.

Später, die angedachte Halbzeit war längst vorbei, ließ sich der Wortartist von seinen Zuhörern wichtige Beschäftigungen in Corona-Zeiten nennen. Und jonglierte dann ausufernd mit Stichworten wie Saufen, Kiffen, Sex und mehr, die er in frei extemporierten Assoziationsketten in immer neue Zusammenhänge brachte. Wohlabgewogen, meinungsstark und doch differenziert, was sich nach der Pause (zehn Uhr war längst vorbei) samt seinem Lieblingsthema „Veganes Leben“ mit durchaus anregenden Impulsen fortsetzte.

Ein erdig gesungener Blues für Armin Laschet

Als man kaum noch daran glaubte, ließ der Kabarettist schließlich doch noch sein Dekorationsmöbel erklingen. Mit fein improvisiertem Jazz (kann er verdammt gut!), einem erdig gesungenen Blues für Armin Laschet, kleinen Beethoven-Reminiszenzen und dem Friedrich Merz gewidmeten Beatles-Klassiker „“. Gefolgt von einer minimalistischen Zumutung mit stoischen Sprechgesang „Die Kühlkette muss eingehalten werden“, deren Spannung sein Publikum kaum aushielt und deshalb mehrfach mit Applaus unterbrach. So ging das eine gefühlte Ewigkeit, dann das Licht aus und tosender Jubel an. Das nennt man klar gelungenes Scheitern.