Essen. Schmerz, Satire, Ironie und tiefere Selbsterkenntnis: Ein Kabarett-Abend mit Hagen Rether in der ausverkauften Lichtburg.

Wenn einer trotz Bandscheibenvorfall spielt, mit Spritze vorab und der heiter zur Seite gestellten Massageliege, dann ahnt man, dass er es ernst meint. Und wenige in diesen kabarettistischen Breitengraden sind derzeit ja so gelassen-ernst, so entschleunigt-entschlossen wie Hagen Rether.

Einmal hatte er den Auftritt in der restlos ausverkauften Lichtburg absagen müssen (der Rücken!). Am Dienstag war er nun da. Trotz wehem Wirbel, etwas lahmer „Bärentatze“ und der Tatsache, dass man den Leuten ja predigen kann, was man will, sie machen doch das Falsche. Fliegen immer noch übers Wochenende auf die Balearen, weil’s so schön billig ist, und verpusten tonnenweise CO2. Räumen vorab ihre Wohnung auf, anstatt einfach mal zu Hause zu bleiben und sich selbst auszuhalten. Sehen die falschen Fernsehprogramme, wählen die falschen Parteien und essen Schnitzel.

„Brüderle war vorher Strauss-Kahn und davor Kachelmann“

So ein Rether-Abend ist kein Ablass-Event, bei dem man sich nach zwei Stunden ein bisschen besser fühlt, weil die Blöden doch immer die anderen sind. Rether macht keine Witzchen über den Hosenanzug der Kanzlerin und er macht auch nicht lustig Leute nach. Der Essener hat den Spiegel vielmehr zum wirkungsvolleren Instrument erklärt, weit vor dem rhetorischen Fallbeil. Und wo wir auch hinlachen an diesen Abend, sehen wir immer wieder - uns.

Denn Rether nimmt die Welt persönlich. Er holt das Hohe und das Niedere, das Schräge und das Gerade, das Hehre und Banale auf Augenhöhe. Und sich selbst. Der Mann will dieses Land besser machen. Er will Hirn. Er will Haltung. Er will lieber „Schmerz- statt Wutbürger“. Manchmal will er sich lieber schämen statt schäumen wie all die anderen Berufs-Aufgeregten. Und vor allem will er ein Leben nach der Pointe in dieser Zeit der kurzatmigen Schlagzeilen-Paranoia, in der sich die Empörungs-Schleife folgenlos weiterschlingelt: „Brüderle war vorher Strauss-Kahn und davor Kachelmann“.

„Wenn so Essen aussieht, wie sieht dann Kotzen aus“

So einer wie er hängt an Themen, an Meinungen, an Erkenntnisprozessen. Das lässt sich wunderbar verfolgen in seinem seit Jahren stetig runderneuterten Erfolgsprogramm „Liebe“, in dem der zu Guttenberg noch Platz hat wie Franz-Josef Strauß und die Taliban. Kabarett, auch als thematisches Labyrinth und Perpetuum mobile. So zeitlos, dass selbst der Kult gewordene Ausruf „Wenn so Essen aussieht, wie sieht dann Kotzen aus“ noch seine Wirkung tut.

Und Überstunden macht er auch. Nach drei Stunden und der Sorge, er könnte erst Schluss machen, wenn der Kapitalismus kapituliert und der Papst Feminist wird, war dann Schluss. Kurz bevor der große Schnee kam. Um Winterreifen ging’s übrigens auch.