Dass der Essener Kabarettist Hagen Rether unter den Spöttern der Republik auch thematisch der Mann mit dem längsten Atem ist, weiß jeder, der nach dreieinhalb Stunden „Liebe“ in der rappelvollen Philharmonie nach Hause geht -- ein wenig erschöpft, aber beseelt. Und wer noch keine guten Vorsätze gefasst hat, der weiß, was zu tun ist: weniger Fleisch essen, mehr Arte gucken und nicht auf jeden Empörungszug aufspringen, der täglich auf schnurgeraden Schlagzeilen-Schienen an uns vorbeirattert.
Ein Abend mit Hagen Rether ist eine gute Übung in Sachen Entschleunigung. Denn Rether kampfplaudert sich mit listigen Lächeln durch die Themen des Lebens, kommt von Samenraub auf Windräder, von Billigfliegern zu Hitzelspergers Outing. Er lässt tiefgründige Analysen wie lässige Nebensätze los, um ihre Wirkung dann in Zeitlupe nachwirken zu lassen. Bis man sich fragt, warum man sich das nicht schon vorher gefragt hat. Warum man einem wie Bischof Tebartz-van Elst sogar die Einbauküche madig macht, während Verteidigungsminister de Maizière Millionen mit dem Drohnen--Debakel verplempert. „Können wir bitte mal die Einbauküche von de Maizière sehen?“ Warum es in NRW-Schulen Islam- statt gemeinsamen Ethikunterricht gibt, wo doch schon genug Trennungsgräben gezogen sind „und Katholiken mit den Protestanten nicht mal die Oblate teilen.“ Und wie kann es sein, dass der Tod von Zivilisten bei Luftangriffen im Irak hingenommen wird, während ein Schuss bei Gefährdung einer Geisel hierzulande undenkbar wäre. „Stellen Sie sich das mal in einem Tatort vor!“
Rether regt es auf, dass alles irgendwann rauskommt und sich doch kein Aas mehr dafür interessiert. Und wenn die im Publikum rufen: Was gibt’s Neues?“ Dann sagt er: „Viel. Merkel ist Kanzlerin, Steinmeier wieder Außenminister, Schäuble regelt die Finanzen.“
So pflegt dieser politische Langzeitbeobachter, Feminist, Pazifist, Vegetarier vor allem eines: kabarettistische Nachhaltigkeit. Das lässt sich ganz wunderbar an seinem seit Jahren immer wieder erneuerten Programm „Liebe“ erkennen, das so mancher inzwischen als jährliche Denk-Dialyse gegen moralische und politische Abstumpfung nimmt, als kabarettistischer Katalysator für emotionale Schadstoff-Ausstöße aller Art. Hagen Rether will echte Erkenntnis statt gespielter Empörung, er will lieber den „Schmerz- statt Wutbürger“, denn Fremdschämen ist ja doof. „Selbst schämen macht schlau.“
„Aber was reg ich mich wieder auf“, sagt er dann und weiß ja, dass es nicht mehr besser wird. Die Ressourcen sind geplündert, „aber wenigstens von uns!“ grinst er mokant und beweist sein Talent für Schmerz, Satire, Ironie und tiefere Selbsterkenntnis. Selbst beim Thema Messe-Ausbau ist da ein Blick zurück erlaubt. Vor zehn Jahren, erinnert sich Rether, da sei er ja auch gegen den Umbau der Philharmonie gewesen. Wie viele Kindergärten man für das ganze Geld hätte bauen können! „Aber in Kindergärten spiele ich ja selten.“