Essen. Als ihr Notruf scheitert, fährt eine Essener Familie eine junge Corona-Patientin selbst zum Krankenhaus. Doch die Frau wird nicht gerettet.
Der Corona-Tod einer erst 27 Jahre alten Essenerin zu Jahresbeginn hat viele Menschen erschüttert. Die junge Frau starb am Donnerstag, 6. Januar 2022, im Borbecker Philippusstift. Die Stadt teilte mit, dass sie an Vorerkrankungen gelitten habe. Zunächst wurden keine weiteren Einzelheiten bekannt; aus Datenschutzgründen äußert sich auch das Krankenhaus nicht zu der Patientin.
Es stellte sich jedoch heraus, dass die Angehörigen sich an dem Abend zunächst vergeblich beim Notruf der Feuerwehr gemeldet hatten, bevor sie die Schwerstkranke selbst ins Krankenhaus brachten.
Corona in Essen: 27-Jährige kollabiert im Eingangsbereich der Klinik
Eine Augenzeugin berichtet, dass Familienmitglieder die 27-Jährige an jenem Donnerstagabend gegen 18.20 Uhr in die Klinik trugen, gelb im Gesicht und nicht ansprechbar. Im Eingangsbereich sei sie kollabiert. Die Mutter, die offenbar kaum Deutsch sprach, habe nur „Hilfe, Hilfe“ gefleht und sofort mit der Herzmassage begonnen.
Ein Arzt, der das Krankenhaus gerade verlassen wollte, erkannte die Notsituation und übernahm. Mitarbeiter lösten Herzalarm aus. Minuten später sei die Patientin auf der Intensivstation gewesen, wo man um ihr Leben kämpfte. Doch gegen 20.20 Uhr sei die junge Frau gestorben.
Die Umstände bei der Ankunft der verzweifelten Familie erschütterten auch erfahrene Klinikmitarbeiter. Nach Angaben der Zeugin sagte die Mutter der jungen Frau, der Rettungsdienst habe ihre Tochter nicht mitnehmen wollen, weil sie an Corona erkrankt sei. Sie soll das einer zufällig Anwesenden erzählt haben, die Polnisch sprach und sich daher mit der Mutter unterhalten konnte. „Es kann doch nicht sein, dass der Rettungsdienst jemanden nicht mitnimmt, weil er Corona hat. Das ist unfassbar!“, sagt die Augenzeugin.
Feuerwehr Essen weist Vorwurf zurück: Wir transportieren täglich Corona-Infizierte
Tatsächlich ist es nicht nur unfassbar, sondern auch nicht zutreffend, wie der Sprecher der Essener Feuerwehr, Mike Filzen, betont: „Wir transportieren seit fast zwei Jahren täglich Corona-Patienten.“ Es sei für die Mitarbeiter im Rettungsdienst längst Routine, die entsprechende Schutzkleidung überzuziehen und nach einem solchen Einsatz das Fahrzeug zu desinfizieren. Dass niemand ausrückte, um die 27-Jährige abzuholen, liege an einem fatalen Notruf, der an den Sprachschwierigkeiten der Anruferin gescheitert sei.
Der Notruf ging an diesem Spätnachmittag um 17.16 Uhr ein. Auf der Aufnahme sei ein Gespräch zu hören, das nicht im Ansatz auf die schreckliche Notlage der jungen Frau habe schließen lassen, sagt Filzen. Die Anruferin, bei der es sich vermutlich um die Mutter handelte, habe zunächst nur von zwei positiven Corona-Tests gesprochen. Nur mit Mühe und vielen Nachfragen habe der diensthabende Kollege herausfinden können, wer das positive Testergebnis hatte und dass der Test bereits vier Stunden zurücklag. Er habe dann nach typischen Symptomen einer Covid-19-Erkrankung wie Husten, Schnupfen und Fieber gefragt, worauf die Anruferin jedes Mal verneinte.
Nur zwei Covid-19-Opfer in Essen waren noch jünger
In der irrtümlichen Annahme, es gehe hier um eine symptomlose Corona-Infektion, habe er die Anruferin an die Corona-Hotline der Stadt verwiesen und der Familie geraten, sich sofort in Quarantäne zu begeben. Der Kollege habe aus den Angaben nicht den Schluss ziehen können, dass sich die junge Frau in Lebensgefahr befand. „Zumal die Anruferin auch keine anderen Symptome nannte oder von der Vorerkrankung ihrer Tochter sprach, weder konkret noch allgemein“, sagt Filzen.
Dass die Patientin nur wenige Stunden später verstorben sei, lasse sich seines Erachtens nicht allein durch die Corona-Infektion erklären. „Wir haben keinen anderen Fall, in dem ein Covid-19-Patient so schnell nach der Einlieferung ins Krankenhaus gestorben ist.“ Auch hat es bisher nur zwei Covid-19-Opfer in Essen gegeben, die noch jünger waren: Im vergangenen Jahr starb eine erst 23-Jährige, und zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 erlag ein 26 Jahre alter Mann den Folgen einer Corona-Erkrankung.
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300 bis 350 Notrufe täglich bei der Feuerwehr Essen
Ob die schwerkranke 27-Jährige hätte überleben können, wenn sie sofort per Rettungswagen ins Philippusstift gebracht worden wäre, ist ungewiss. Die Ärzte äußern sich mit Verweis auf den Datenschutz nicht. Offiziell weiß man nur, dass die Patientin vorerkrankt war. Im Krankenhaus wäre sie vermutlich eine gute halbe Stunde früher angekommen, schätzt Filzen.
Eins unterstreicht er jedoch: Der Rettungsdienst hätte sie selbstverständlich versorgt und dann in ein geeignetes Krankenhaus transportiert, wenn klar geworden wäre, wie schlimm es um sie stand. Leider gebe es in der Leitstelle, in der täglich 300 bis 350 Notrufe eingehen, häufiger Anrufer, die in großer Aufregung und mit schlechtem Deutsch kaum begreiflich machen könnten, um welche Art Notfall es sich handele. „Nur geht das selten so dramatisch aus.“
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In den Einsatzleitstellen sprechen viele Mitarbeiter Englisch, einzelne Kollegen beherrschen auch andere Fremdsprachen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass man im Notfall genau denjenigen erreicht, der zum Beispiel Türkisch, Arabisch oder Russisch spricht.