Essen. 100 Jahre Museum Folkwang in Essen: Der Ankauf der kostbaren Osthaus-Sammlung legte das Fundament für eines der bedeutendsten Kunstmuseen im Land
Es war eine große und wegweisende Investitionen, für die eine Gruppe privater Stifter 1922 die Schatullen öffnete: Für 15 Millionen Mark wechselte die damals in Hagen beheimatete Sammlung des Kunstliebhabers und Förderers Karl Ernst Osthaus von Hagen nach Essen. Am 29. Oktober 1922 wurde das mit dem Städtischen Kunstmuseum Essen vereinigte Folkwangmuseum als „Museum Folkwang, Essen“ an der Bismarckstraße eröffnet. Das Haus und seine kostbare Sammlung genießen seither internationales Renommee. Einzigartig wie die Meisterwerke der Klassischen Moderne ist die Form der Trägerschaft, die sich der Folkwang Museumsverein und Stadt Essen seither teilen. Welche besonderen Projekte im Jubiläumsjahr geplant sind, erklärt Museums-Direktor Peter Gorschlüter im Gespräch mit Martina Schürmann.
Das Museum Folkwang wird 2022 100 Jahre alt. Das Jubiläumsprogramm will Geschichte, Gegenwart und Zukunft eines der wichtigen Kunstmuseen Deutschlands beleuchten. Was ist geplant?
Gorschlüter: Die zwei großen Ausstellungen zum Impressionismus und Expressionismus stechen sicherlich hervor. Damit blicken wir auf die Anfangsjahre der Sammlung und auf Karl Ernst Osthaus, der sein Museum 1902 ja schon in Hagen gegründet hat, bevor es 1922 in Essen neu eröffnet wurde. Renoirs berühmte Lise gilt als das erste Werk der französischen Moderne, das er 1901 angekauft hat. Aber schon wenige Jahre später hat er sich der Avantgarde seiner Zeit zugewandt und die deutschen Expressionisten als einer der ersten ausgestellt. Wir zeigen, was sich bei Osthaus in wenigen Jahren entwickelt hat, binnen weniger Monate, quasi im Zeitraffer.
Und wie gestaltet sich der Blick auf Folkwangs Gegenwart und Zukunft?
Das Museum Folkwang ist als Haus der Gegenwartskunst gegründet worden, mitunter gilt es sogar als erstes Museum der Gegenwartskunst in Deutschland. Das ist ein Vermächtnis, nicht nur rückblickend in Bezug auf die Sammlung, sondern auch zukunftsweisend. Natürlich haben wir ein großes Renommee durch die herausragende Sammlung der Klassischen Moderne. Aber wir verstehen uns auch als Museum, das mit der Zeit gehen möchte. Für den Gegenwartsbezug sorgt in besonderem Maße der Bereich der Fotografie, aber nicht nur. Wir versuchen auch in einer anderen Hinsicht, zeitgenössisch zu sein. Mit Themen, die wir setzen, wie beispielsweise „Der montierte Mensch“, die am Puls der Zeit sind und gleichzeitig Entwicklungen aufzeigen von der Moderne bis zu den neuesten Trends in Kunst und Gesellschaft.
Modern war seinerzeit nicht nur die Kunst, sondern auch der Gedanke der kulturellen Teilhabe. Für Museumsgründer Karl Ernst Osthaus war Folkwang ein Ort der Begegnung für „Bürger jedweden Standes“. Was bewirkt die Folkwang-Idee im Jubiläumsjahr?
Karl Ernst Osthaus war nah an den Avantgarden, aber er war nicht elitär. Und seine Überzeugung, dass Kunst auch gesellschaftsverändernde Wirkung haben kann, ist heute so aktuell ist wie vor 100 Jahren. Wie schon Osthaus versuchen wir deshalb, mit dem Museum in die Stadt hineinzuwirken und uns den aktuellen Fragen des sozialen Lebens zu stellen. Das Projekt „Folkwang und die Stadt“ geht 2022 direkt in den urbanen Raum rund um den Berliner Platz und in die Nordcity. Wir haben internationale Künstler eingeladen, die sich mit Themen wie Integration, Stadtentwicklung und kultureller Vielfalt auseinandersetzen und daraus ortsspezifische Projekte entwickeln.
Die Sonderausstellungen knüpfen an die Tradition der großen Publikumsschauen an. Wird das Blockbuster-Modell neu belebt?
Das Jubiläumsjahr hat schon einen Sonderstatus. Wir widmen uns unserer herausragenden Museumsgeschichte in aufwendigen Vorhaben und haben dafür auch die notwendige Unterstützung bekommen. Dass uns mit RAG-Stiftung, RWE, E.ON, Evonik und der Stiftung Mercator fünf der großen Essen Unternehmen und Stiftungen aus historischer Verbundenheit unterstützen, ist etwas sehr Besonderes. Ich hoffe, dass das eine Kontinuität erfahren wird, aber sicherlich nicht alle ein oder zwei Jahre. Das Museum Folkwang wird weiter publikumswirksame Ausstellungen zeigen, aber sie haben eine andere Programmatik als in den 1990ern.
„Die Unterstützung der großen Essener Unternehmen und Stiftungen ist etwas sehr Besonderes“
2022 wird immer noch ein Pandemie-Jahr sein. Was passiert, wenn die erhofften Besucherströme ausbleiben?.
Wir hatten die Erwartung, dass Corona im Jubiläumsjahr nicht mehr die große Rolle spielen würde. Wir wollen ja viele Menschen erreichen und sind jetzt zumindest guter Hoffnung, dass es nicht zu einem weiteren Lockdown kommt. Finanziell sind wir etwas anders aufgestellt als in den 1990ern. Damals sind die Sponsoren mit einer Vorfinanzierung ins Risiko gegangen, um mögliche Einnahmeverluste auszugleichen. Heute sehen die Sponsoring- und Zuwendungsverträge Fixsummen vor, um einen Teil der notwendigen Ausstellungskosten abzudecken. Wenn weniger Zuschauer kommen, bedeutet das aber weniger Eintrittsgelder und damit Einnahmeausfälle für die Stadt Essen. Wir haben zwar schon konservativ kalkuliert. Aber wir und vermutlich auch der Kämmerer würden sich freuen, wenn diese Kalkulationen übertroffen würden.
Die Stadt übernimmt ab 2022 auch den finanziellen Ausgleich für den freien Eintritt in die Sammlung, den bislang die Krupp-Stiftung gezahlt hat. Was hat das Angebot bislang gebracht?
Er hat rein zahlenmäßig zu einer hohen Besuchersteigerung in der Sammlung und zu einer zunehmenden Verjüngung des Publikums geführt. Im Bereich der Kinder und Jugendlichen gab es sogar eine Steigerung von 500 Prozent. 41 Prozent der Besucher zwischen 18 und 36 Jahren haben bei einer Umfrage außerdem angegeben, dass der freie Eintritt ein ausschlaggebender oder wichtiger Faktor ist, um das Museum zu besuchen. Wir sehen aber auch, dass Besucher mehrfach ins Museum kommen. Es wird selbstverständlicher, ins Folkwang zu gehen. Dass einige Museen in Deutschland die Idee des freien Eintritts zumindest teil- oder tageweise aufgegriffen haben, zeigt auch, dass wir ein Stück weit Vorbild sind. Obwohl es auch kritische Stimmen gibt, die einwenden, dass es vielleicht doch vor allem die erreicht, die sich den Museumsbesuch ohnehin leisten können. Aber ohne den ersten Schritt, wird es den zweiten nicht geben: ein Museum für alle.
Sie wollen aber nicht nur den Zugang zum Museum barrierefreier machen, sondern auch in die Stadt und auf die Bürger zugehen. Was sind die Pläne auch übers Jubiläumsjahr hinaus?
Mir geht es in erster Linie nicht um eine neue Museums-Dependance, sondern vor allem um eine engere Bindung zwischen der Stadtgesellschaft und dem Museum. Deshalb ist ein Projekt wie „Folkwang und die Stadt“ nicht nur ein tolles Festival der Künste in der Stadt. Die Vorarbeiten laufen seit drei Jahren und sind Teil einer langfristigen Strategie, die Menschen stärker einzubeziehen. Wir haben in den vergangenen Monaten viele Gespräche mit Initiativen, Vereinen und Communitys geführt und immer wieder gehört: ,Das ist das erste Mal, dass sich vom Museum jemand für uns interessiert.’ Das ist schon Motivation genug, sich in dieser Richtung auch weiter zu engagieren.
Was können solche bürgernahen Angebote vor allem auch im Bereich Bildung und Vermittlung bewirken?
Es geht darum, Barrieren im Kopf zu überwinden; die Vorstellung, dass man nur mit akademischem Hintergrund ins Museum geht. Projekt wie „Fünf plus“ für Vorschulkinder in sozial schwächeren Stadtteilen, „Sprache durch Kunst“ für Personen, die Deutsch nicht als Muttersprache haben oder „Gemeinsam Kunst machen“ für Neuankömmlinge waren vor Corona extrem gut besucht. Aber es reicht nicht, so etwas einmal anzubieten. Solche Angebote an bestimmte Zielgruppen brauchen Kontinuität und auch auch langfristige personelle wie finanzielle Ressourcen.
„Die Folkwang-Idee muss gelebt werden“
Die Fotografische Sammlung ist ein Aushängeschild des Museums. Als Fotostadt Essen bemüht man sich seit Monaten um die Ansiedlung eines Bundesinstituts für Fotografie. Mittlerweile hat sich politische Landschaft verändert, wie kann es weitergehen?
Wir sind nach wie vor auf einem guten Weg. Die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat sich ja vor den Wahlen eindeutig für Essen ausgesprochen wie es auch die Expertenkommission getan hat. Leider ist es dann nicht mehr zur Beschlusslage gekommen. Wir müssen nun abwarten, wie sich die neue Bundesregierung und die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth positioniert.
Haben Sie Claudia Roth zum Festakt im Februar eingeladen?
Ja, aber sie war auch schon 2020 in der Keith-Haring-Schau. Wir hatten im Anschluss die Gelegenheit, mit ihr auch über das Thema Fotografie zu sprechen, nicht wissend, dass sie irgendwann eine tragende Rolle in dem Verfahren spielen würde. Sie ist also schon im Bilde und weiß um die Bedeutung des Themas.
Start der Serie „100 Jahre Folkwang“
Mit dem Namen „Folkwang“ wird Essen heute in aller Welt in Zusammenhang gebracht. Museumsgründer Karl Ernst Osthaus hat sie der altnordischen Mythologie entliehen.
Osthaus’ Absicht, die Industrieregion durch Kunst und Kultur zu beleben und das Museum für breite Bevölkerungsschichten zu öffnen, gilt bis heute als zeitgemäß. Mit der Gründung der Essener „Folkwangschule für Gestaltung“ 1927 wurde Folkwang auch zum Inbegriff für die Einheit der Künste.
Die Geschichte des Museums, Architektur und Ausstellungs-Highlights, Personen und Hintergründe der Museumsarbeit werden im Rahmen der Serie „100 Jahre Folkwang“ vorgestellt.
Im Gespräch ist sogar eine Folkwang-Dekade unter Einbeziehung weiterer Kultureinrichtungen. Was kann so eine Dekade Essen und dem Museum bringen?
Folkwang ist nicht nur ein Museum oder eine Schule bzw. Universität, sondern eine Idee mit einem Alleinstellungsmerkmal, die wahnsinnig gut in die Zeit passt. Wenn sich die Stadt noch geschlossener auf diese kulturelle Wegmarke beruft, kann ich das nur begrüßen. Natürlich muss man mit den möglichen Partnern dann auch die dazugehörigen Konzepte entwickeln. Nur einen Stempel aufzudrücken, reicht nicht aus. Aber es gibt ja das große Thema der kulturellen Bildung, das vereint uns alle. Mit entsprechenden zusätzlichen Ressourcen kann man diesen Bereich sicher gut stärken. Alle weiteren kuratorischen und künstlerischen Entscheidungen stehen und fallen mit den Personen, die sie prägen. Die Folkwang-Idee kann man nicht einfach aufoktroyieren, sie muss gelebt werden.