Essen. Das Museum Folkwang zeigt eine große Schau zu Keith Haring. Es geht um den „streitbaren Künstler“ – und den politischen Gehalt der Strichmännchen.
Können Strichmännchen politisch sein? Können sie ein Zeichen sein gegen sexuelle Gewalt, nukleare Bedrohung und Rassismus? Im Museum Folkwang ist man von der anhaltenden Relevanz des Performers, Aktivisten und Kunstketten-Sprengers Keith Haring (1958-1990) überzeugt und zeichnet mit einer großangelegten Schau nun ein etwas anderes Bild des Amerikaners, dessen strahlende Babys, grinsende Hunde und fliegende Untertassen uns zuletzt vor allem als dekorative Motive auf Kaffeetassen und Kühlschrankmagneten begegnet sind.
Die Wiedererkennbarkeit und kommerzielle Vermarktung, mit der Harings cartoonartige Motive heute in aller Welt ihre immer noch ikonische Marken-Wirkung erzielen, hat dem rastlosen Vielseitigkeitsmeister in der Rezeption als Künstler am Ende eher geschadet als genützt. Doch müsse Popularität kein Widerspruch sein zu „politischer und sozialer Integrität“, sagt Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter. „Wir wollen den streitbaren Künstler zurück in die Welt tragen.“
Die Ausstellung als Zeitreise-Parcours durch die wilden 1980er
Und das tut man in Essen mit über 200 Werken von den frühen „Performance Paintings“ über großformatige Gemälde, Flugblätter, Collagen und Videoexperimente, Film- und Fernsehaufnahmen, bis zum Nachbau einer von Hip-Hop-Musik begleitenden Schwarzlichtinstallation. So werden die in signalhaftes Rot, Grün, Gelb getauchten Wände der großen Folkwang-Halle zu einem famosen Zeitreise-Parcours durch die wilden 1980er, wo die Themen so dicht beieinander liegen, wo sich Sounds und Medien so vielfältig überschneiden, wie es im schnellen und viel zu kurzen Haring-Leben gewesen sein muss.
Die von Eon gesponserte Folkwang-Ausstellung zeichnet dieses Turbo-Dasein in zehn Kapiteln nach, mit den ersten, von Walt Disney über Graffiti bis Jean Dubuffet beeinflussten Arbeiten, den frühen Videoexperimenten an der School of Visual Art, über die wilden Jahre im damals so pulsierenden East Village bis zum frühen Aids-Tod 1990. Dass Keith Haring Opfer eine Pandemie wurde, die bis heute nicht besiegt ist, in der öffentlichen Debatte aber doch kaum noch auftaucht und von der amerikanischen Regierung damals lange ausgeblendet wurde, macht die Ausstellung dabei auf beklemmende Weise dringlich.
Das Thema Aids taucht in Keith Harings Arbeiten immer wieder auf
So taucht das Thema Aids in seinen Arbeiten immer wieder auf, etwa in der neu für die Folkwang-Sammlung erstandenen Siebdruck-Serie „Apocalypse“, in der Haring mit drastischen Motiven und Texten des legendären Beat-Autoren William S. Burroughs der von Tod und Zerstörung überschatteten Sexualität ein bedrohliches Bild gibt.
Eine ebenfalls sehenswerte Plakatausstellung unter dem Titel „Rettet die Liebe – Plakate gegen Aids!“ erweitert die Haring-Retrospektive zudem mit rund 180 Plakaten aus aller Welt und ergänzt das Thema mit aktuellen Zahlen und Fakten rund ums HI-Virus. Es ist eine sinnfällige Erweiterung der Schau, die zuvor in der Londoner Tate Modern und im Brüsseler „Bozar“ zu sehen war und aufgrund der Covid-19-Pandemie vom Mai in den August verschoben worden war.
Star der Pop Art-Szene
Nun ziehen sie also mit Mundschutz durch die Ausstellung, die von Folkwang-Kurator Hans-Jürgen Lechtreck so luftig und großzügig gehängt ist, dass man vor größerem Publikumsandrang keine Sorgen haben muss. Keith Haring gehört mit seiner Smiley-heiteren bis atomnuklear-wolkigen Bildsprache bis heute schließlich zu den absoluten Stars der Pop Art-Szene der 80er. „Kunst für alle“ zu schaffen, das war sein Ziel. „Die Leute sind offen für die Kunst, wenn die Kunst offen für sie ist“, lautete sein Motto. Und so waren ihm die Museen und Galerien nie Entfaltungsraum genug. Haring, dieser rastlose Schöpfer und Netzwerker, der zu den Dauergästen des legendären Club 57 gehörte und mit Andy Warhol befreundet war, nahm alles, was irgendwie zu bemalen war: einen Teil der Berliner Mauer, die nackte Haut von Sängerin Grace Jones, selbst eine zerbeulte Taxi-Karosserie, die in der Ausstellung zu sehen ist wie einige der berühmten „Subway-Drawings“, den Kreidezeichnungen auf schwarzem Untergrund, die – eine halbe Ewigkeit vor Banksy – New Yorker U-Bahn-Stationen zu Kunst-Botschaftsräumen machten.
Haring, der Männchen-Maler, zeichnete zwar naiv. Dass seine Kunst dabei aber alles andere als arglose Kinderzeichnungen waren, beweist nicht nur die stete Auseinandersetzung mit dem Thema Sex und Homosexualität. Neben einer Reihe früher erotischer Zeichnungen und der makaberen Beschwörung des „Teufelsspermiums“ sind es vor allem auch die Arbeiten, mit denen Haring gegen Apartheid und ethnische Ausgrenzung protestierte, die im Gedächtnis bleiben.
„Wenn ich in die Welt gehen möchte, muss ich auf allen Kanälen präsent sein“, hat Haring einmal gesagt. Da war der erste Macintosh gerade auf dem Markt. Man möchte sich ausmalen, welche politischen Zeichen Keith Haring heute in Zeiten von Social Media setzen würde.