Essen. Der Besucherschwund in Essens Innenstadt geht weiter: Die jüngste Passantenzählung hat eine Debatte ausgelöst. Wie seriös sind solche Erhebungen?

Im aktuellen Streit um Sinn und Unsinn von Passantenzählungen verteidigen Immobilienexperten diese Erhebungen. „Sie sind sehr wichtig vor allem für Einzelhändler, die sich neu an einem Standort ansiedeln wollen“, sagte Gunnar Marx, Geschäftsführer des Essener Maklerunternehmens Eugen Lehmkühler. Aus solchen Zählungen würden Händler unter anderem Rückschlüsse ziehen, welche Umsätze sich erzielen lassen. „Die Zählmethode wird auch in Zukunft ihre Berechtigung haben“, unterstrich Christopher Wunderlich vom Makler BNP Paribas Real Estate.

Vergangene Woche hatte das Maklerunternehmen Engel & Völkers mit seiner aktuellen Passantenfrequenzzählung und einem Ranking wichtiger deutscher Einkaufsmeilen für Empörung bei der städtischen Marketinggesellschaft EMG gesorgt. Deren Geschäftsführer Richard Röhrhoff bezeichnete die Studie als unsauber und unseriös. Man könne die Attraktivität einer Innenstadt nicht allein anhand solcher Zahlen beurteilen, kritisierte er.

Essener Innenstadt leidet noch unter Corona-Folgen

Engel & Völkers hatte Passantenfrequenzen an zwei September-Tagen jeweils zwei Stunden ausgewertet und mit denen im Corona-Jahr 2020 und dem Vor-Corona-Jahr 2019 verglichen. Das Ergebnis war für Essen wenig schmeichelhaft. Während andere Städte besser abschnitten als zum gleichen Zeitpunkt 2020, büßte die Kettwiger Straße in Essen 17,5 bzw. 20,8 Prozent ein. Engel & Völkers attestierte ihr einen „deutlichen Rückgang“. „Eine Wertung oder Interpretation jedoch“, wie sie EMG-Chef Röhrhoff unterstellte, „haben wir nicht unternommen“, betonte Jan Kotonski, Leiter Research bei Engel & Völkers Commercial, und wies die Kritik zurück.

https://www.waz.de/staedte/essen/mcdonald-s-eiscafe-co-neues-in-der-essener-innenstadt-id232983547.html Man habe auch keinen Anspruch darauf erhoben, eine repräsentative Studie vorzulegen. Ziel sei es lediglich gewesen, an den untersuchten Tagen zu zeigen, wie sich Corona noch auf die Innenstädte auswirkt. Die Zahlen belegten, dass sich das offensichtlich sehr unterschiedlich entwickle. Ob es dagegen schon vor Corona strukturelle Probleme in den Innenstädten gab, lasse sich aus solchen Stichproben nicht herauslesen. „Dafür braucht es weitere Detailanalysen“, so Kotonski.

Passantenfrequenzen beeinflussen auch die Ladenmieten

Diese Art der Passantenzählungen sind zwar immer nur Momentaufnahmen, allerdings können sie durchaus über mehrere Jahre hinweg betrachtet, einen Trend aufzeigen. Und dieser ging auf der Kettwiger Straße schon vor Corona stetig nach unten. So zählte beispielsweise des Maklerunternehmen BNP Paribas bis 2017 noch regelmäßig über 6000 Passanten, die pro Stunde über die Kettwiger flanierten. Ab 2017 brach die Frequenz deutlich ein (siehe Grafik).

Nicht nur Händler schauen sich solche Messungen an, sondern auch Immobilienbesitzer. Denn wie viele Besucher sich in einer Einkaufsstraße bewegen, hat indirekt auch Auswirkungen auf die Ladenmieten, die sich erzielen lassen. Auf eine einfache Formel gebracht: Mehr Besucher heißt mehr Umsatz heißt höhere Mieten und umgekehrt.

Auch in Essen lässt sich das ablesen. Ladenbesitzer bekommen heute längst nicht mehr die Mieten wie vor einigen Jahren. Rückgänge von 50 Prozent und mehr sind keine Seltenheit. Um die Immobilien in den Büchern nicht abwerten zu müssen, lassen daher manche die Läden lieber leer stehen, anstatt sie für deutlich weniger Geld zu vermieten.

Besucherzahlen sind nicht alles

Passantenfrequenzen werden schon seit Jahrzehnten gezählt und verglichen. Die Erhebung geschieht in den untersuchten Städten am gleichen Tag zur gleichen Uhrzeit, um eine gewisse Vergleichbarkeit zu erzielen. Allerdings können Wetter oder andere Ereignisse wie Stadtfeste Faktoren sein, die das Besucheraufkommen beeinflussen.

Bis vor wenigen Jahren passierten die Zählungen noch ausschließlich händisch. Seit einiger Zeit ist jedoch das Start-up Hystreet am Markt, das Messungen per Laserscanner vornimmt. Diese liefern Daten zu jeder Tag- und Nachtzeit. Die Messung ist verlässlicher und kostengünstiger als die früheren Zählungen. Deshalb greifen Unternehmen zunehmen darauf zurück.

Neben Passantenzählungen sind für Einzelhändler aber noch weitere Daten wichtig, wenn es um Standortentscheidungen geht. Denn es spielt nicht nur die reine Masse sondern auch die Qualität der Besucher eine Rolle. Deshalb fließen z.B. Arbeitslosenquote und Kaufkraft in solche Analysen mit ein.

„Die Kettwiger hat in den vergangenen Jahren sicher Federn gelassen, wie viele Innenstädte“, sagte Gunnar Marx. Allerdings sei er nicht pessimistisch. „Wir finden immer noch gute Mieter für die Geschäfte auf der Kettwiger Straße. Sie wird auch in Zukunft ihre Daseinsberechtigung haben.“