Essen-Rüttenscheid. Vor einem Jahr begann der umstrittene Umbau der Rüttenscheider Straße in Essen zur Fahrradstraße. Eine schwierige Entscheidung steht noch aus.

Vor einem Jahr begann der Umbau der Rüttenscheider Straße zur Fahrradstraße. Nun ist nicht nur das Projekt schon seit den ersten Planungen umstritten, es steht auch noch eine konfliktträchtige Entscheidung aus. Nach der Sommerpause kommen die Frage nach den Abbiegegeboten wieder auf die Tagesordnung, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Kritik an Zählweise bei der Verkehrserhebung

Es waren vor allem die Einzelhändler, die seinerzeit auf die Barrikaden gingen, als es hieß, am Stern und an der Martinstraße sollten so genannte modale Filter eingeführt werden. Sie bedeuten, dass der Autofahrer den zentralen Bereich der Rüttenscheider Straße nicht mehr auf geraden Weg ansteuern darf, sondern abbiegen muss. Falls er zu Geschäften oder Dienstleistern auf der Rü will, muss er Nebenstraßen nutzen. Zweck der Übung: den Durchgangsverkehr von der Rüttenscheider verbannen, denn dieser stelle nun mal grundsätzlich eine Belastung dar – erst recht auf einer Fahrradstraße.

Der vehemente Protest zeigte im Frühjahr 2020 insofern Wirkung, als dass sich die Politik - wohl auch auf Intervention von OB Kufen – auf einen Zwischenschritt verständigte. Die Stadt solle den Verkehr zählen, eine Evaluation vorlegen, wie es auf Neudeutsch heißt. Diese Erhebung ist bereits erfolgt, derzeit läuft die Auswertung, Ergebnisse sollen den politischen Gremien nach den Ferien vorgelegt werden. Doch bereits kommen Bedenken auf. Rolf Krane, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Rüttenscheid hat Sorge, dass man, wie in der Vergangenheit, zu sehr auf das Teilstück zwischen Stern und Martinstraße schaue.

Den Abschnitt könne der Autofahrer doch mangels Ausweichmöglichkeiten in Seitenstraßen kaum verlassen. Wenn man wirklich ein aussagekräftiges Ergebnis bekommen wolle, müsse man den Abschnitt deutlich größer wählen und schauen wie viele Autofahrer dann die Rü nutzen. In der Vergangenheit hätten Untersuchungen gezeigt, dass dann der Anteil des Durchgangsverkehr sehr gering ausfalle. Kranes klares Votum: Wenn man jetzt die Abbiegegebote einführe, schade man dem Einzelhandel ganz erheblich, der unter Corona schon genug gelitten habe. Zugleich betont Krane aber auch, dass den Händlern grundsätzlich daran gelegen sei, den Radverkehr zu fördern.

ADFC macht sich für zwei gegenläufige Einbahnstraßen stark

Aufhebung des Radwegs sorgte zunächst für Verwirrung

Aus Sicht der Polizei haben sich die Verkehrsteilnehmer an die neuen Regeln für eine Fahrradstraße gewöhnt. Gab es in den ersten Wochen mehrfach Verstöße gegen die Vorfahrtsregeln, liegen laut Auskunft von Sprecherin Sonja Kochem nun keine mehr vor.

Anfangs gab es auch Verwirrung, weil die Radwege von der Martinstraße in Richtung Bredeney aufgehoben worden waren und aus ihnen Fußwege wurden. Die Stadt hatte zwar an Einmündungen das rote Pflaster zu Gunsten von grauen Steinen ersetzt, dennoch meinten manche Radfahrer dort noch entlangfahren zu dürfen. Um das zu unterbinden, ließ die Stadt noch Fußwegsignets aufbringen.

Während auch noch in jüngster Zeit in sozialen Netzwerken diskutiert wurde, einige Radfahrer würden den Weg immer noch benutzen, sagt Sonja Kochem, bei Kontrollen seien keine Verstöße festgestellt worden.

Anmerkung der Redaktion:

In einer früheren Version dieses Textes stand, dass zu den Besonderheiten einer Radstraße unter anderem gehöre, "dass Autofahrer, Radfahrer etc. vorfahrtsberechtigt sind". Dies ist nicht korrekt. Richtig ist: Eine Fahrradstraße hat keinen Einfluss auf das Vorfahrtsrecht: Falls die Vorfahrt nicht durch Zeichen geregelt ist, gilt laut ADAC für alle rechts vor links. Die Stadt Essen wiederum bemüht sich, durch entsprechende Beschilderung Radfahrern auf den drei neu angelegten Radachsen Vorfahrt zu gewähren.

Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Kritik an den Messungen übt auch Mirko Sehnke vom Fahrradverband ADFC, er bemängelt die Termine der Messungen. Während aber der IGR-Vorsitzende die Abbiegegebote ablehnt, gehört Sehnke zu den Befürwortern. Wenn die Stadt, so der ADFC-Vertreter, während des Lockdowns habe zählen lassen, dann sei doch zu erwarten, dass weniger Autos unterwegs sind und folglich auch keine Abbiegegebote erforderlich seien. Doch der Alltag auf der Rü zeige, dass Radfahrer ständig die Abgase von Pkw und Lkw einatmen, so Sehnke.

Um eine Fahrradstraße, die ihren Namen verdiene, handele es sich nun mal nicht. Davon könne erst die Rede sein, wenn der Autoverkehr erheblich verringert werde. Sein Vorschlag: zwei gegenläufige Einbahnstraßen: einmal aus der Innenstadt kommend bis zum Rüttenscheider Stern und zum anderen von der Martinstraße kommend bis zum Stern. Sehnke könnte sich auch eine weitergehende Lösung in Form einer Fußgängerzone vorstellen.

In dem Ziel, die Zahl der Autos erheblich zu reduzieren, sind sich ADFC und Grüne einig. So wie jetzt funktioniere die Rü als Radstraße nicht, betont Grünen-Ratsherr Rolf Fliß. Radfahrer kämen überhaupt nicht voran, hängen oftmals hinter Lieferfahrzeugen fest, die ein- oder ausladen. „Da braucht man das Doppelte an Zeit“. Zudem habe auch er selbst schon als Radler auf der Rü gefährliche Situationen miterlebt. Die Abbiegegebote sind für die Grünen das Minimum dessen, was an Veränderungen auf der Rüttenscheider Straße kommen müsse.

Gegensätzliche Positionen der Koalitionspartner

Spannend wird es in den kommenden Woche, wie sich die Grünen mit dem Koalitionspartner CDU verständigen. Denn von den Christdemokraten ist zu vernehmen, dass sie von den Abbiegegeboten weiterhin nichts halten. Bezirksbürgermeister Hans-Peter Huch (CDU) beispielsweise sieht in dem Konzept keine praktikable Lösung, die den Interessen des Stadtteils entspreche.

Einfacher hätten es die Grünen mit der SPD. Mit den modalen Filtern könne man sich durchaus anfreunden, so Barbara Hofmann, 2. stellvertretende Bezirksbürgermeisterin. Die Sozialdemokraten wollen diese Regelung aber eingebunden wissen in ein Gesamtkonzept, mit dem die Alternativen zum Auto bessere Chancen erhalten. Die Taktzeiten von Bus und Bahn müssten beispielsweise erhöht werden, gerade auch in den Abendstunden. Darüber hinaus müsse man auch dafür sorgen, die Grugatrasse als Radweg zu beleuchten.