Essen. Die Essener Philharmoniker haben Ideen für ein neues Musikzentrum im Norden der Stadt. Was hinter dem Projekt „Klanghaus Quartier Nord“ steckt.

Vor dem Auftritt im Scheinwerferlicht steht im Essener Opernhaus gemeinhin die Arbeit im Untergrund: Proberäume mit niedrigen Decken und Neonlicht, ein Ballett-Trainingssaal ohne Fenster und Einspielzimmer mit dem Ausmaß einer besseren Abstellkammer sind für die Künstler der Theater und Philharmonie seit Jahren ein Grund zur Klage. Passiert ist lange nichts. Doch seitens der Essener Kultur-Politik scheint man nach langer Ouvertüre nun gewillt für einen echten Paukenschlag.

Bis Jahresende soll die Verwaltung ein zeitgemäßes Raumnutzungskonzept für die Theater und Philharmonie entwickeln, heißt es in einem unlängst auf den Weg gebrachten Beschluss. Während es im Antrag noch um eine erste Bedarfsermittlung geht, haben die Essener Philharmoniker schon konkrete Ideen entwickelt und einen eigenen Entwurf vorgelegt. Unter dem reizvollen Namen „Klanghaus Quartier Nord“ könnte Essens Traditionsorchester künftig auf dem Welterbe Zollverein eine zweite Heimat bekommen – und der Essener Norden sein eigenes kleines Musikzentrum.

Die Proberäume waren von Anfang an zu knapp bemessen

Dass die Probenbedingungen im Aalto-Theater unzureichend sind und den Lärm- und Arbeitsschutzvorgaben nicht genügen, haben Bühnenvereinigung und TuP-Betriebsrat bereits vor Jahren attestiert. Schon bei der Eröffnung des Essener Opernhauses 1988, dessen Pläne von Architekt Alvar Aalto damals bereits fast 30 Jahre in der Schublade lagen, war eigentlich klar, dass die Raumsituation nicht den Erfordernissen eines modernen Opernhauses entsprach.

Kein Lichtblick: Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh (Mitte) und das Aalto Ballett arbeiten in einem zu kleinen Trainingssaal ohne Fenster.
Kein Lichtblick: Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh (Mitte) und das Aalto Ballett arbeiten in einem zu kleinen Trainingssaal ohne Fenster. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Ein Kammermusiksaal wurde gestrichen, zu wenige und kleine Proberäume in den Untergrund verbannt, wo Chor und Ballett ohne Tageslicht proben. Für sinfonisch besetzte Proben muss das Orchester wiederum in den benachbarten Alfried-Krupp-Saal der Philharmonie ausweichen. Ein unwirtschaftliches Provisorium, denn der Saal könnte einträglich an externe Nutzer vermietet werden. Ein eigenes Probenhaus würde all diese Probleme beseitigen und neue Möglichkeiten in der Musikvermittlung eröffnen, heißt es aus dem Orchestervorstand. Auch Generalmusikdirektor Tomáš Netopil hat das Projekt zur Herzensangelegenheit erklärt: „Ich hoffe auf seine Umsetzung und die damit einhergehende Bereicherung unserer Stadt.“

Projekt soll die Kooperation mit Schulen und der freien Szene fördern

Noch ist das Klanghaus reine Zukunftsmusik. Doch die Idee findet zumindest Resonanz. „Ich finde es gut, dass sich das Orchester aktiv einbringt“, sagt Barbara Rörig, Aufsichtsratsvorsitzende der Theater und Philharmonie. Dass die Möglichkeit einer kleineren Spielstätte und eines multifunktionalen Gebäudes für Proben sowie Bildungs- und Begegnungsangebote geprüft werden soll, steht auch im gemeinsamen Antrag von CDU und Grünen, über den die Parteien schon im Mai entschieden haben. Konkrete Orts-Vorschläge finden sich darin freilich nicht.

Freie Bestandsimmobilien sind auf dem Welterbe-Areal ohnehin kaum noch zu finden. Für einen Neubau käme nach Ansicht der Philharmoniker deshalb ein Grundstück im Besitz des Landes NRW in Nähe zur Folkwang-Universität der Künste in Frage. Aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu Anrainern wie Pact Zollverein und der künftigen Junior-Universität in Altenessen, aber auch in Kooperation mit der Folkwang Musikschule, den umliegenden Schulen und der freien Szene ließen sich kreative Funken schlagen, so der Plan.

Ein Ort für den professionellen Probenbetrieb, aber auch eine offene Begegnungsstätte

Überhaupt will man das Projekt nicht als „kleine Philharmonie“ verstanden wissen, sondern als multifunktionales Haus und offene Begegnungsstätte, in dem nicht nur Platz für den professionellen Probenbetrieb ist, sondern auch für mehr Vermittlungsarbeit, neue Konzertformate, Kinder- und Jugendprojekte und kulturelle Teilhabe im Essener Norden.

Auf Zollverein würde man die Ansiedlung weiterer Kultureinrichtungen nicht ungern sehen. Ein Musikzentrum sei eine gute Ergänzung und würde das Welterbe Zollverein als Kulturstandort weiter stärken, sagt Theodor Grütter, Vorstandsmitglied der Stiftung Zollverein. Fest steht allerdings auch: Für das am Ende wohl mit einigen Millionen Euro zu beziffernde Projekt müssten sich gewiss private Geldgeber und Sponsoren finden, um ihm auf die Beine helfen. Dazu kämen dauerhaft Betriebskosten für ein weiteres Haus.

Auf der Suche nach Geldgebern

Ob man angesichts eines ohnehin auf Kante genähten Etats künftig noch die Kosten für eine weitere Spielstätte draufsatteln möchte, dürfte auch im Aufsichtsrat der Theater und Philharmonie ein heikles Diskussionsthema sein. „Das müssen wir fein prüfen“, sagt Aufsichtsratsvorsitzende Barbara Rörig. Zumal die Liste der Baustellen bei der Theater und Philharmonie in den nächsten Jahren nicht kürzer werden dürfte.

Zwar seien die Theater und ihre technische Ausstattung auf einem guten Stand und die Bespielfähigkeit für die kommenden Jahrzehnte sicher gewährleistet, erklärt Schauspiel-Intendant Christian Tombeil. Trotzdem bleibt so mancher finanzielle Kraftakt zu stemmen. Neben der schlechten Probensituation gilt auch die Lage der an der Hafenstraße in Vogelheim untergebrachten Werkstätten der TuP als verbesserungswürdig. Die Zukunft der kleineren Spielstätte Casa in der Theaterpassage ist gänzlich ungeklärt, nachdem das Gebäude entweder verkauft und möglicherweise zur Stadtbibliothek umgebaut werden soll. Und die marode Bausubstanz des denkmalgeschützten Kulissenhauses am Grillo-Theater sorgt seit Jahren für Kopfzerbrechen.

Kulissenhaus-Sanierung: „Wir müssen den Knoten jetzt durchschlagen“

Dass schon ein vom TüV stillgelegter Lastenaufzug den Spielbetrieb von heute auf morgen gefährden könnte, beschert dem längst überfälligen Sanierungsvorhaben eine hohe Dringlichkeit. Doch geschehen ist seit vielen Jahren nichts. „Wir müssen den Knoten jetzt durchschlagen“, fordert Barbara Rörig. Längst gibt es diverse Gutachten, Pläne und Kostenkalkulationen. Und einen weiteren Auftrag an die Verwaltung, auch hier nun zügig ein Konzept vorzulegen.

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„Die Gemengelage ist groß, Prioritäten müssen gefunden werden. Aber es liegt nun alles auf dem Tisch“, sagt Geschäftsführerin Karin Müller. Als Nachfolgerin von Berger Bergmann wurde ihr Vertrag gerade bis 2023 verlängert. Bis dahin müssen praktisch alle Führungspositionen im Haus neu besetzt werden. Auch die personellen Baustellen der Theater und Philharmonie sind in den nächsten Jahren nicht eben gering.