Essen. Zwischen Kulissen-Containern und Werkbank: Leser besichtigen die Werkstätten der Theater und Philharmonie an der Hafenstraße im Essener Norden.
Es gibt Orte, an denen man die Hochkultur nicht unbedingt erwartet. Die Hafenstraße mit ihren Lagerhallen und Industrieansiedlungen gehört gewiss dazu. Dort im Essener Norden aber kann man erfahren, dass Bühnen-Kunst auch ganz viel mit Handwerk zu tun hat. In den Werkstätten der Theater und Philharmonie werden seit Mitte der 1990er Jahre nicht nur die Kulissen gelagert, sondern auch die Bühnenbilder für Schauspiel und Oper gebaut.
Herr über die fußballfeldgroßen Hallen mit ihren meterhohen Decken und Regalen ist Ralf Gehrke. Schon bei der Begrüßung der WAZ-Leser hält er ein paar beeindruckende Daten und Fakten bereit. „Hier entstehen bis zu zwölf Meter hohe Kulissenteile“, erklärt Gehrke und vermittelt einen Eindruck davon, wie viel Vorarbeit in jedem einzelnen Bühnenbild-Teil steckt, bis es gezeichnet, vom Konstrukteur auf seine Tragfähigkeit durchgerechnet, gebaut und am Ende auf seine Sicherheit überprüft im Scheinwerferlicht steht. Jede Schweißnaht muss da ganz exakt sitzen, denn: „Sicherheit geht vor“, betont der Direktor der Ausstattungs-Werkstätten und klopft auf Holz. Bislang hat es noch keinen Zwischenfall gegeben, selbst wenn gewaltige Holzstämme über der Bühne schweben oder tollkühne Treppenkonstruktionen zur technischen Herausforderung werden.
Man muss Talent mitbringen
„100 Tonnen Stahl werden hier pro Spielzeit schon verbaut“, erklärt Gehrke. Und nicht nur die. Was auf der Bühne später wie Marmor oder steinerne Gemäuer aussieht, besteht zu großen Teilen aus Styropor. Leicht muss es sein und von möglichst wenigen Bühnentechnikern zu tragen. Schließlich müssen die Kulissen in einem Betrieb wie dem Aalto fast täglich gewechselt werden, erfahren die WAZ-Leser. Grüne, gelbe und rote Schildchen weisen entsprechend der „Lastenhandhabe-Hebeverordnung“ auf den Gebrauch hin. „Ein schwerer Beruf“, sagt Gehrke. „Aber auch ein unheimlich kreativer“, findet Barbara Steffens, als die Gruppe den Malersaal betritt, wo gerade das riesige Bühnenprospekt für das Ballett „Nussknacker“ entsteht.
„Der Theatermaler steht nicht vor der Staffelei, sondern arbeitet im Stehen“, erklärt Gehrke die imposante Bodenmalerei mit besengroßen Pinseln. Theatermaler, erfahren die WAZ-Leser, ist ein anerkannter Lehrberuf, wie fast alle Handwerker-Berufe, die man an der Hafenstraße ausübt.“ Was muss man mitbringen?“, will Dieter Milski wissen. „Talent“, sagt Gehrke. Bis zu 120 Anwärter würden sich pro Jahr bewerben, „die malen dann den ganzen Tag vor“.
Immer drei bis fünf Produktionen gleichzeitig in Arbeit
Helga Sohn gerät beim Anblick der überdimensionalen Nähmaschine ins Schwärmen. „Die wäre perfekt für meine Vorhänge.“ „Die Leute müssen supergut nähen können“, sagt Gehrke. Auch bei Prospekten von zwölf mal 20 Metern müssen alle Nähte schnurgerade sein. „Ich hätte mir vorher gar nicht vorstellen können, wie viele interessante Berufsbilder es hier gibt“, staunt Helga Butterbrod, als es durch Schlosserei, Schreinerei und Malersaal weiter in die Deko-Abteilung geht, wo Theaterplastiker Teddy Braun schon das Opferlamm für die erste Opern-Premiere „Greek Passion“ aus Styropor am Spieß vorbereitet hat. „Die Bildhauer des Theaters“, sagt Gehrke.
„Wir arbeiten immer an drei bis fünf Produktionen gleichzeitig“, erklärt der 52-Jährige. Rund 30 Leute, vom Maler bis zum Schlosser, feilen und sägen in diesen Tagen an den ersten Premieren der neuen Spielzeit, während die Kulissen für alle Wiederaufnahmen in den 80 Containern rund um die Hallen abholbereit verpackt sind.
Original-Bauteile von 1989
„Werden die nicht muffig?“, will Theo Sohn wissen. „Wenn sie ewig lagern würden, ja“, sagt Gehrke. Aber die meisten Transportbehälter werden regelmäßig bewegt und gut durchlüftet.
Alles, was ein Jahr oder länger nicht gespielt wurde, lagert im Langzeit-Dekorationslager, wo „Carmens“ Mercedes neben Luisa Millers Kutsche parkt. Viele Bauteile von „Aida“, die schon 1989 im Aalto Premiere feierte, „sind immer noch original“, freut sich Gehrke über die Qualitätsarbeit.
„Das erklärt auch die Theaterpreise“, findet Cläre Ströckens nach dem eindrucksvollen Blick hinter den Kulissen. Theater, das haben die Leser erfahren, „ist eben auch ganz viel Handarbeit“.