Essen. Unser Coronacheck für Essen zeigt: Ältere fühlen sich in der digitalisierten Welt abgehängt. Doch wer Hilfe sucht, steht vor paradoxen Problemen.

„Ich bin auf dem Computer ein Trottel,“ tippt die 88-Jährige Taste für Taste in die Laptop-Tastatur. Es ist das erste und vielleicht das letzte Mal, dass Rentnerin Inge Wolf einem Computer gegenübersitzt. Die Borbeckerin ist eine von bundesweit neun Millionen sogenannten Offlinern, laut Digitalindex, – also Menschen, die ohne Internet, PC und Smartphone durch das Leben gehen.

Coronacheck Essen zeigt: Ältere mit Digitalisierung überfordert

In unserer Coronacheck-Umfrage berichten einige ältere Leserinnen wie Inge Wolf von ihrer Überforderung in der digitalisierten Welt. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie schafft die Verlagerung vieler Angebote ins Digitale zusätzliche Hürden.

„Ich würde manches, was ich im Fernsehen höre oder in der Zeitung lese, gern nachvollziehen – und im Internet nachlesen,“ sagt Inge Wolf (88) aus Essen-Borbeck.
„Ich würde manches, was ich im Fernsehen höre oder in der Zeitung lese, gern nachvollziehen – und im Internet nachlesen,“ sagt Inge Wolf (88) aus Essen-Borbeck. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

„Es ärgert mich, dass ich außen vor bin! Überall wird mit einer Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, dass man einen Computer hat,“ klagt die 88-Jährige. „Wenn mir eine Familie Bilder schicken will, wenn ich den Gottesdienst erleben will, wenn ich einfacher einen Impftermin bekommen will, wenn sie im Fernsehen sagen ,Weitere Infos finden Sie unter www...’ – da denke ich: Ja Pustekuchen!“

Steuererklärung, Tickets, Bankgeschäfte – viele Hürden für Offliner

Wie schwierig es für Ältere ist, ohne Hilfe in einer immer stärker digitalisierten Umgebung zurecht zukommen, weiß Janina Stiel, die die Digitalisierungsstelle innerhalb der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (Bagso) leitet: „Es gibt Bereiche, in denen es zunehmend unmöglich wird, Services ohne Internet zu erledigen: Steuererklärung, Fahrkarten buchen oder Bankgeschäfte.“

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Wer innerhalb der Gesellschaft online oder offline ist, das sei keine zufällige Verteilung. Offline seien überwiegend Frauen, Ältere, Menschen mit geringer Bildung, mit gesundheitlichen Einschränkungen oder auch Menschen mit Migrationshintergrund. „Das sind nicht alles hilflose Wesen,“ betont Janina Stiel. Die große Mehrheit gebe an, gut und kompetent durch das Leben zu kommen. „Sie haben Wege und Strukturen aufgebaut, wie sie Dinge erledigt bekommen.“ -> Lesen Sie hier: Computerkurse speziell für Senioren in Essen

„Die Kluft verläuft nicht zwischen Alt und Jung sondern innerhalb der Gruppe der älteren Menschen,“ so Janina Stiel, die den Bereich Digitalisierung in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen leitet.
„Die Kluft verläuft nicht zwischen Alt und Jung sondern innerhalb der Gruppe der älteren Menschen,“ so Janina Stiel, die den Bereich Digitalisierung in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen leitet. © Herby Sachs / Bagso

88-Jährige aus Essen-Borbeck: „Ich bin skeptisch, das hinzubekommen.“

Auch ohne Verwandtschaft kann Essenerin Inge Wolf in Computer-Belangen auf Unterstützung aus ihrem Umfeld zurückgreifen. In den 16 Jahren nach ihrer Pensionierung arbeitete sie ehrenamtlich Vollzeit in der evangelischen Kirchengemeinde mit. Im Gemeindeamt diktierte sie Texte einer Mitarbeiterin, die für sie alles abtippte. „Wenn ich Korrekturarbeiten für den Gemeindebrief machte, kam jemand mit einem Tablet zu mir und tippte da die Änderungen rein,“ so die Borbeckerin.

„Ich habe eine Bekannte, die mir einen gebrauchten Computer besorgen will – aber ich bin skeptisch, das in meinem Alter noch hinzubekommen,“ sagt die 88-Jährige, während sie argwöhnisch den Laptop unseres Fotografen begutachtet. „Firewall? Was soll das sein? Ich kann ja Englisch, aber da muss ich erstmal einen Englisch-Spezialkurs machen, bevor ich das mit dem Computer lernen kann.“

Bagso: „Grundsätzlich ist jeder bis ins höchste Alter lernfähig“

In neue Themengebiete musste sich die ehemalige Lehrerin immer wieder einarbeiten. Deutsch, Geschichte, Politik, Naturwissenschaften, Religion, Turnen, sogar Textilgestaltung eignete sie sich für die Lehre an. „Selbst von Musik habe ich Ahnung, aber alles was mit Technik und Knöpfen zu tun hat, da bin ich nicht gut drin,“ sagt die Pensionärin achselzuckend.

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„Grundsätzlich ist jeder, der das möchte, bis ins höchste Alter lernfähig – außer eine Demenz oder schwerwiegende Erkrankung liegt vor,“ sagt Janina Stiel von der Bagso, „Doch das Gerücht hält sich hartnäckig: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr.“ Von zahlreichen Hilfsangebote seien die meisten nicht bekannt: Ehrenamtliche Initiativen, niedrigschwellige Angebote in Mehrgenerationenhäuser, Seniorenbüros oder Bibliotheken. -> Lesen Sie hier: PC-Kurse für SeniorInnen in Essen

Katharina Graner leitet an der Volkshochschule Essen den Bereich EDV – koordiniert also alle Kurse rund um elektronische Datenverarbeitung.
Katharina Graner leitet an der Volkshochschule Essen den Bereich EDV – koordiniert also alle Kurse rund um elektronische Datenverarbeitung. © Volker Hartmann/VHS Essen

VHS Essen steht vor „digitalem Paradoxon“

Eine Option für bildungsgewohnte Seniorinnen wie Inge Wolf war stets die Volkshochschule Essen. Doch an deren Kursen können Essener seit der Pandemie nur noch über eine Videokonferenz teilnehmen. „Ein digitales Paradoxon,“ gibt Katharina Graner zu, die die VHS-Digitalisierungskurse koordiniert. „Ich sehe, der Bedarf ist in der Coronazeit noch gestiegen. Aber wie kann ich PC-Kenntnisse in einem digitalen Seminar vermitteln, wenn dafür allein schon Grundkenntnisse vorhanden sein müssen?“ -> Lesen Sie hier: Essener VHS-Kurse gegen Corona-Depressionen

Inge Wolf traut sich die Computer-Grundlagen zu. „Ich würde das in meinem Alter noch machen, aber es reicht nicht, dass man mir eine einmalige Lektion erteilt,“ sagt die ehemalige Lehrerin, „Ich bräuchte jemanden, den ich anrufen kann und der mir sagt, welchen Knopf ich drücken muss.“ Sie hofft so auf mehr Kontakt zur Außenwelt – seit der Coronakrise habe sie Borbeck nicht mehr verlassen. „Man ist nicht mehr so gesellschaftsfähig, wenn man immer im eigenen Saft schmort.“ -> Lesen Sie hier: Essen: Der Umgang mit neuen Medien kann aus der Isolation helfen.

Wenn sie einen Computer hat, will die Pensionärin alle ihre Freundinnen anrufen, damit sie ihr Bilder und Videos von ihren Kindern schicken. „Ich würde manches, was ich im Fernsehen höre oder in der Zeitung lese, gern nachvollziehen – und im Internet nachlesen.“ Früher habe sie nach Informationen einen halben Tag lang in der Stadtbibliothek gesucht. „Das könnte ich im Internet einmal eintippen und dann hätte ich auf einen Schlag alle Informationen!“

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