Essen. Die höchste Auszeichnung des Deutsches Tanzes geht 2021 an Heide-Marie Härtel. Aber auch ein Preisträger aus Essen wird bei der Aalto-Gala geehrt
Wer in diesen Tagen Ausrichter einer großen Tanz-Gala ist, der kommt nicht umhin, mit vielen Eventualitäten, Hoffnungen und Fragezeichen umzugehen. „Vielleicht werden wir uns im Oktober schon wieder die Hände schütteln können“, sagt Marek Tuma, Manager des Essener Aalto-Balletts. „Vielleicht werden wir uns nach der Preisverleihung bei einem Glas Wein langsam wieder lachend auf bessere Zeiten zubewegen“, hofft NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. „Auch wenn ich spüre, dass die Kraft nach diesem verstörenden Jahr langsam nachlässt.“ Die Ausrichter des Deutschen Tanzpreises in Essen lassen sich davon auch im zweiten Jahr der Pandemie nicht stoppen. Am 23. Oktober soll die höchste Auszeichnungen, die der deutsche Tanz zu vergeben hat, im Aalto-Theater verliehen werden.
Mit einer Kamera aus der Pfandleihe hat alles angefangen
Dass mit Heide-Marie Härtel, Künstlerische Leiterin des Deutschen Tanzfilminstituts Bremen, diesmal eine Preisträgerin ausgezeichnet wird, die den Sprung des Tanzes auf die Leinwand wie kaum eine andere befördert hat, dürfte von Vorteil sein. Die Gala, die 2020 neben einer begrenzten Anzahl von Aalto-Gästen erstmals auch per Livestream das Publikum erreicht hat, wird vermutlich auch in diesem Jahr als Mischung aus Präsenz und digitaler Übertragung stattfinden. Ein Tanzfilmabend werde die Gala im Oktober aber nicht werden, verspricht Michael Freundt vom Dachverband Tanz Deutschland.
Mehr Details zum Tanzpreis
Mit dem Deutschen Tanzpreis werden seit 1983 herausragende Persönlichkeiten des Tanzes in Deutschland geehrt – auf oder hinter der Bühne. Geehrt wurden schon Persönlichkeiten wie Pina Bausch, Maurice Béjart oder William Forsythe. Zudem zeichnet die Jury Interpreten, Ensembles und Projekte in der Tanzlandschaft für zukunftsorientierte Initiativen, modellhafte Konzepte oder außergewöhnliche Produktionen aus.Der Deutsche Tanzpreis ist mit 20.000 Euro dotiert. Die Ehrungen sind mit einem Preisgeld von jeweils 5000 Euro verbunden.Gefördert wird der Tanzpreis durch die Stadt Essen, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW sowie durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.Das detaillierte Programm und Infos zum Kartenvorverkauf sollen zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben werden.
„Wer hätte gedacht, dass man mit einer Kamera aus der Pfandleihe so weit kommen kann“, freut sich Heide-Marie Härtig. Die ausgebildete Tänzerin, die bei Johann Kresnik begonnen hat, ist Gründerin des Deutschen Tanzfilminstituts Bremen. Entstanden sei „ein enormen Schatz aus Geschichte und Gegenwart des Tanzes, aus dem Tanzkünstler und Tanzfilmer Wissen, Haltung und Inspiration ziehen könnten“, lobt die Jury. Wie bedeutend das Medium Film für den Tanz, seine Archivierung, aber auch für seinen „Absprung ins digitale Zeitalter“ geworden ist, dürfte in Zeiten der Corona-Pandemie deutlich geworden sein.
Für weitere herausragende Entwicklungen im Tanz werden in diesem Jahr vor allem auch langjährige „Reformer“ hinter der Bühne ausgezeichnet. Neben der Tanzpädagogin Ursula Borrmann und der schottischen Tänzerin und Choreografin Claire Cunningham dürfte ein Preis, der nach Essen geht, besonders überraschen. Adil Laraki, ehemaliger Tänzer, langjähriger Vorsitzender der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger in NRW und Betriebsratsvorsitzender der Essener Theater und Philharmonie (TuP), wird auch als „herausragender Interpret des Rechts“ geehrt.
„Dank Adil hat auch der Tanz öfter Recht“
Der umtriebige Gewerkschafter, der in Essen zuletzt als streitbarer Gegner des vorzeitig aus dem Amt geschiedenen TuP-Geschäftsführers Berger Bergmann aufgetreten war, treibe mit seinem kulturpolitischen und sozialen Engagement den Fortschritt, „sprich, die Verbesserung der Rechte von Künstlerinnen und Künstlern und allen Angestellten an deutschen Bühnen voran“, erklärt die Jury. Die Tänzerin und frühere Aalto-Solistin Brit Rodemund formuliert es so: „Dank Adil hat auch der Tanz öfter Recht.“
Der klassische Tanz muss seinen „fürchterlichen Kitsch“ verlieren
Während sich Laraki dafür stark macht, Tänzer nicht als Arbeitsmaterial des Choreografen zu sehen, sondern als eigene Künstlerpersönlichkeit, setzt Ursula Borrmanns Arbeit schon in frühester Kindheit an. „Ich hoffe, dass es irgendwann vorbei ist, dass Kinder mit vier Jahren auf die Spitze gehen und schon vollkommen verbildet sind“, hofft die in Leningrad ausbildete Tänzerin. Kinder sollten in Ballettschulen nicht nur lernen, „mit Armen und Beinen zu wackeln“, sondern umfassende Bildung erfahren. Dafür müsse der klassische Tanz aber auch seinen „fürchterlichen Kitsch“ verlieren, so ihr Credo, und das Bewusstsein für die notwendigen Mühen und die Geduld der Tanzarbeit schärfen.
Mit der schottischen Choreografin Claire Cunningham wird schließlich eine der einflussreichsten Künstlerin mit Behinderung geehrt, die mit ihrer bewussten Ablehnung von traditionellen Tanztechniken und dem Einsatz ihrer Krücken schon lange neue Wahrnehmungs-Impulse setzt, bevor das Thema Diversität in den Mittelpunkt zahlreicher Debatten gerückt ist. „Diese Entwicklung, die in Deutschland dringend mehr Förderung und Wertschätzung bedarf, kurbelt Claire Cunningham mit beeindruckender Bühnenpräsenz, künstlerischer Konsequenz und Humor weiter an.“ sagt die Jury.
Die drei Geehrten sollen bereits am 22. Oktober auf Pact Zollverein ausgezeichnet werden. Um das Thema „Zugänge schaffen – Diversität“ geht es auch in einem Symposium, das der Dachverband Tanz Deutschland auf Zollverein ausrichtet.