Essen. Ende März verstarb die Theologin Uta Ranke-Heinemann mit 93 Jahren. Jetzt ist die Abizeitung ihres Jahrgangs 1947 am Burggymnasium aufgetaucht.
Als Uta Ranke-Heinemann, die weltweit erste Professorin für katholische Theologie, Ende März im Alter von 93 Jahren in ihrem Wohnhaus im Moltkeviertel starb, ist bundesweit in Nachrufen viel über ihr Lebenswerk geschrieben worden. Über ihren kritischen Umgang mit der katholischen Kirche, der sie den Lehrstuhl kostete, ihre Bücher, die Bestseller wurden; ihr nimmermüdes Streiten mit dem Klerus, die vielen öffentlichen Auftritte.
Dabei war sie schon als Schülerin aufgefallen. Ihre Spuren tauchten jetzt überraschend und zufällig auf. „Wenige Tage vor ihrem Tod“, berichtet Simone Reuen, die Leiterin des Burggymnasiums, „hatte uns ein ehemaliger Schüler die Abitur-Zeitung von 1947 zugeschickt.“ Es war die erste Reifeprüfung nach dem Krieg, 30 junge Männer wurden am damaligen Jungengymnasium geprüft. Viele waren vorher an der Front gewesen oder hatten als Flakhelfer dienen müssen, viele hatten in den Bombennächten in Essen ihre Eltern verloren. 30 junge Männer – und: Uta Ranke-Heinemann, als erstes und einziges Mädchen. Erst 1975 führte man am Burggymnasium die so genannte „Koedukation“ ein, das gemeinsame Unterrichten von Jungen und Mädchen.
Sie fuhr nach Düsseldorf, um sich eine Sondergenehmigung zu holen
„Als 1945 nach dem Krieg die Schulen wieder begannen, fuhr ich zum Regierungspräsidenten nach Düsseldorf, sagte, ich hätte seit Kindertagen privat Griechisch- und Lateinunterricht gehabt und könnte doch eigentlich auf dem Burggymnasium mein Abitur machen“, berichtete Uta Ranke-Heinemann im September 1999 bei einer Jubiläumsfeier der Schule. „So kam ich also mit Sondergenehmigung auf das Burggymnasium.“ Sie machte das beste Abi des ganzen Jahrgangs, mit Auszeichnung.
Viele große Familien schickten ihr Kind auf die „Burg“
Das Burggymnasium, Essens ältestes Gymnasium, hat viele Berühmtheiten hervorgebracht. Oder andersherum: viele große Essener Familien schickten ihr Kind aufs Burggymnasium.
Zu ihnen zählen zum Beispiel Firmengründer Friedrich Krupp, der Archäologe Carl Humann - nach dem heute das Gymnasium in Steele benannt ist - oder Kurt und Georg Hirschland, die deutsch-jüdischen Bankiers, nach denen heute der Hirschlandplatz hinterm Grillotheater benannt ist.
Ihre Intelligenz, umfassende Bildung und Schlagfertigkeit beeindruckten damals auch ihre Mitschüler. Das dokumentiert die Abi-Zeitung von 1947, ein schmaler A4-Band, schlicht betitelt mit „Erinnerungen an unsere Schulzeit“. In humorigen, gereimten Zeilen steht über Uta Ranke-Heinemann zu lesen: „Sie weiß viel, versteht fast alles, Englisch, Griechisch und Latein, scheint auch in der deutschen Sprache gut bewandert zu sein.“
Geistesblitze würzten den Unterricht
Jedem Reifeprüfling gönnte man damals ein ganzes Gedicht in der Postille; das über Uta Ranke-Heinemann endet so: „Oftmals würzte sie die Stunden uns durch ihres Geistes Blitze. Meistens gingen sie daneben, sowas nannte man dann Witze.“ Ergänzt wird das launige Porträt mit einer Tuschezeichnung im Stil der Zeit, an Fotos war damals sicher nicht zu denken. Der Betrachter sieht eine junge Dame, die durchaus selbstbewusst die Nase in die Luft reckt, sie trägt eine Schultasche, aus der allerlei Dinge herauspurzeln: „Wie aus vielem anderen aber wurden wir bei ihr nicht klug, warum sie den ganzen Hausrat mit sich in der Mappe trug.“ Zettel, Nähzeug, hin und wieder ein paar Schuhe.
„Ich finde beeindruckend“, sagt jetzt Simone Reuen, die Leiterin des Burggymnasiums, „dass sich der Charakter einer Abi-Zeitung seitdem eigentlich kaum verändert hat.“ Dass man schon damals, direkt nach dem Krieg und in einer ausgesprochen entbehrungsreichen Zeit, den Sinn besaß für so viele liebevoll-ironische Betrachtungen.
Strickend zum Abi mit Auszeichnung
Uta Heinemann, die Tochter des damaligen Oberbürgermeisters und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, machte übrigens nicht nur das beste Abi der ganzen Schule, sondern fand in der Schulklasse auch die Liebe ihres Lebens – Edmund Ranke, der später Religionslehrer wurde. Sie verlobten sich noch zur Schulzeit, heirateten 1954, bekamen zwei Söhne.
„Ich dachte mir, ich möchte den Intelligentesten, Treuesten und Witzigsten mir aussuchen“, berichtete Uta Ranke-Heinemann später. Ganz bewusst hatte sie sich dafür entschieden, in der Schule sozusagen auf Bräutigam-Schau zu gehen, frei nach dem Motto: Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir. Schnell fiel die Wahl auf Edmund, einen stillen jungen Mann in der letzten Reihe, der Uta durch seine kunstvollen Griechisch-Übersetzungen und seinen spröden Humor beeindruckte. „Das war genau das, was ich suchte, feinstes Sprachgefühl war nämlich das, was ich unter Intelligenz verstand.“ Sie setzte sich regelmäßig extra neben Edmund, wurde von den Lehrern immer wieder weggesetzt, doch irgendwann funkte es. Und die Abi-Zeitung schrieb: „Endlich fand sie unter Kindern doch den einzig wahren Mann, und so lachte sie sich schließlich unseren Philosophen an.“
Warum Schülerin Uta übrigens immer so viel Hausrat in ihrer Schultasche mit sich trug, zum Beispiel Nähzeug – auch das lässt sich erklären: Wie sich herausstellte, besaß Edmund, den der Krieg zum Halbwaisen gemacht hatte, der kein Zuhause hatte und bei einem Pfarrer wohnte, genau einen einzigen Pullover. Den trug er unter einer Soldatenjacke. „Der Pulli ribbelte sich hinten auf, ich habe ihn später ganz aufgeribbelt und während des Unterrichts neu gestrickt.“