Essen. Einige Änderungen in Essens Nord-City sind geschafft, weitere sollen folgen: mit gezielten Hauskäufen. Einschüchterungen lassen Allbau-Chef kalt.
Nur wenige Schritte vom Glitzer der Einkaufsstraßen entfernt zeigt die Essener City ein anderes, widersprüchliches Gesicht: Das Quartier in der nördlichen Innenstadt zwischen I. Weber- , Viehofer Straße und Kopstadtplatz, zwischen Friedrich-Ebert-Straße und Schützenbahn, bietet Multikulti und Kreativwirtschaft, aber auch Clan-Milieu und Shisha-Dampf.
Mittendrin erheben sich die Kastanienhöfe mit der schicken Allbau-Zentrale. Dort oben, in der Chefetage, arbeiten sie an einem ehrgeizigen Projekt: an der Reparatur der Nördlichen Innenstadt und am Aufbruch zu einem lebendigen Ausgehviertel. „Die Kastanienhöfe sind ein Statement und ein Signal für die Revitalisierung des ganzen Viertels“, sagt Geschäftsführer Dirk Miklikowski.
Es ist noch nicht lange her, da galt die I. Weberstraße als Hotspot des Clan-Milieus: mit hoher Frequenz von Protz-Karren und nächtlichen Razzien. Im berüchtigten Copacabana zog Clan-Oberhaupt und Unterwelt-König Mahmoud Al-Zein, besser bekannt als „El Presidente“ oder auch „Pate von Berlin“, im Kreise seiner muskelbepackten Neffen an der Wasserpfeife. Und gegenüber auf den Treppen der Kreuzeskirche posierten überhebliche Clan-Leute mit dicken Oberarmen und krassen Sprüchen wie: „Essener Gangstazzzz #Hier Sitzen 50 Jahre Haps“. Gemeint ist natürlich Haft.
Clan-Boss „El Presidente“ in der Copacabana – diese Zeiten sind vorbei
Das Copacabana hat inzwischen die Pforten geschlossen. Ein privater Investor baut das Lokal um und hätte schon längst ein gemütliches Restaurant eröffnet, wenn Corona nicht dazwischen gekommen wäre. Ebenfalls ein Lichtblick: Ein paar Schritte weiter, im Unverpacktladen „Miss Planty“, duftet es nach Zitrusnoten und ätherischen Ölen. Der Laden hat sich auf Naturkosmetik spezialisiert und signalisiert ebenfalls Aufbruch. Trotzdem wirft ein benachbarter Kaufmann ein: „Wenn ich auf den Hinterhof schaue, glaube ich nicht, dass ich in Deutschland bin.“ Immer will er Unterwelt-Typen beobachten, wie sie Kofferräume öffnen und hastig verdächtige Sachen hin- und herschieben. Drogen? Er zuckt die Achseln und grinst.
Das Ziel: schicke Restaurants, gemütliche Cafés und Musik-Lokale, Geschäfte und Ateliers
Seit der Ankunft des Allbau, besser gesagt seit seiner Rückkehr in die Nord-City vor vier Jahren, keimen berechtigte Hoffnungen auf einen tiefgreifenden Wandel zum Besseren. Das heruntergekommene Parkhaus im Schatten der Kreuzeskirche ist den Kastanienhöfen gewichen: ein heller Komplex aus Allbau-Zentrale und schicken Appartements, mit Kindergarten und Tiefgarage: ein Ausrufezeichen fürs ganze Quartier.
Dirk Miklikowski und Prokurist Samuel Serifi haben sehr konkrete Vorstellungen, wohin die von ihnen angestoßene Umwälzung führen soll: Hin zu einem quirligen Ausgehviertel mit schicken Restaurants, gemütlichen Cafés und Musik-Lokalen, mit wertigen Geschäften, Kunstgalerien, Ateliers. Ein lebendiges Viertel ohne Angsträume. Eines, das einen ganz neuen Bogen spannt von der Innenstadt bis zum Uni-Viertel.
Allbau-Chefs betonen: „Wir kaufen gezielt strategische Immobilien“
Das Ziel ist eine Seite der Medaille, der Weg dahin die andere. Aus seiner Strategie macht das Allbau-Duo kein Hehl. Das kommunale Wohnungsbauunternehmen kauft einfach ein Haus nach dem anderen. Miklikowski blickt vom Konferenzraum auf das Eckhaus Kastanienallee/Rottstraße. „Das haben wir auch erworben.“ Als das Traditionsgeschäft „Pfeifen Schilde“ aufhören musste, haben sie rasch für eine gediegene Alternative gesorgt. Salvatore De Vanna betreibt in dem Lokal einen trendigen Barber-Shop, der mehr Whiskey-Bar ist als Friseursalon. Ein Pluspunkt.
Bunt, multikulti, legendär und gefährlich
Die nördliche Innenstadt ist ein buntes Quartier. Hier leben Menschen aus 60 Nationen.
Der Aufbruch zum Kreativquartier hat schon vor Jahren begonnen. Insbesondere der Unternehmer Reinhard Wiesemann setzt Akzente mit Projekten wie Unperfekthaus, Vielrespektzentrum, Markthalle und Café Konsumreform.
In den 50er- und 60er-Jahren war die Nord-City ein vibrierendes Vergnügungsviertel, das Menschen aus der ganzen Region anlockte. Lokale wie „Wappen von Hamburg“, das „Zillertal“ und Löwenbräu waren ebenso legendär wie die schummrige „Spiegelbar“.
Die Kehrseite: Die Essener Polizei hat das Quartier zwischen 2016 und 2020 als „gefährlichen Ort“ eingestuft. So konnte sie bei Razzien in Shisha-Bars und Spielotheken „anlassunabhängig“ die Personalien von Personen feststellen.
Direkt gegenüber: die Rottstraße 28 – früher war hier das „Naked“, ein legendärer Disko-Club. Auch diese Immobilie gehört inzwischen zum Allbau-Portfolio. Der Beamer wirft einen Plan der nördlichen Innenstadt an die Leinwand mit weiterem Allbau-Besitz – die Flächen sind rot, grün, blau und gelb schraffiert.
Wird hier „Monopoly“ in Echt gespielt? Die Allbau-Chefs heben die Hand und widersprechen: „Wir kaufen gezielt strategische Immobilien.“ Notfalls werde auch nur ein Ladenlokal angemietet. Hauptsache die Daumen drauf und den Handlungs- und Gestaltungsspielraum vergrößern.
Unten am Viehofer Platz peppen sie gerade eine ganze Ladenzeile auf. Der orientalische Krämerladen ist weggezogen, demnächst werde es hier ein Weingeschäft, eine Tanzschule und ein Theater geben. „Wir möchten, dass sich in unseren Immobilien Geschäftsleute etablieren, die andere Menschen anziehen“, sagt Samuel Serifi. „Soziale Stabilisierung“ sei die Folge.
Abriss und Neubau: „Ein neues Juwel für die Stadt“ am Weberplatz
Man könnte auch von einer positiven Gentrifizierung sprechen. Im Karree Kreuzeskirch-/Rottstraße/Kopstadtplatz/I. Weberstraße ist der Allbau schon sehr weit gekommen: Bis auf zwei Ecken ist schon alles rot schraffiert. Jetzt weiter zum Weberplatz mit dem seit Jahren leerstehenden „Haus der Begegnung“: Seitdem das Gebäude raus ist aus dem Denkmalschutz, hat der Allbau grünes Licht. Er kann endlich kaufen, abreißen, neu bauen und den gesamten Block bis hin zur Kastanienallee gleich mit auf Vordermann bringen. „Ein weiteres Juwel für die Stadt“ versprechen die Allbau-Chefs.
Doch längst nicht allen im Viertel scheint diese Art von Umbruch zu gefallen, am wenigsten offenbar einigen Clan-Größen. Immer wieder fällt der Name „Pumpgun Bilal“, ein mehrfach verurteilter Mann, der im Clan-Milieu viel Macht besitzt und daraus offenbar Ansprüche fürs ganze Viertel geltend zu machen scheint. Etwa dass er gefragt oder gar miteinbezogen werden möchte, wenn Veränderungen geplant seien. Verstörende Sprüche, die so bis ins Rathaus vorgedrungen sind.
Grotesk wie aus einem Tarantino-Film: Clan-Leute sonnen sich im weißen Porsche-Cabrio
Wenn Mitarbeiter des Wohnungsunternehmens in der warmen Jahreszeit aus dem Fenster schauen, sehen sie den Clan-Chef, wie er in seinem weißen Porsche Cabrio direkt vor seinem Kiosk in lässiger Pose ein Sonnenbad nimmt.
Gern durchmessen Clan-Leute auch die Straßen rund um die Kreuzeskirche, so als seien sie in „ihrem“ Gebiet auf Patrouille. Anwohner berichten von Beleidigungen und Einschüchterungen, von merkwürdigen Ansprachen und gelegentlich auch von Schutzgeldforderungen. Das groteske Dicke-Hose-Gehabe erinnert an die Berliner Clan-Saga „Four Blocks“ und ein bisschen an Tarantino-Filme.
Den Allbau-Chefs ringt dies allenfalls ein müdes Lächeln ab. Leute, die im Clan-Milieu hoch in Kurs stehen mögen, so betonen sie, seien für ihr Projekt „uninteressant“. Die Manager wissen, dass sie bei der Aufwertung der nördlichen Innenstadt in den letzten Jahren schon sehr weit vorangekommen sind, aber auch, dass noch viel Wegstrecke vor ihnen liegt: „Wir brauchen einen langem Atem.“
Einen erfolgversprechenden Plan zu besitzen und die dafür erforderliche Beharrlichkeit demonstrieren – das ist die Formel des Allbau. Und je nachhaltiger und messbarer die Erfolge, desto größer das Selbstbewusstsein. „Von denen, die diese Entwicklung stört“, sagen Miklikowski und Serifi, „lassen wir uns nicht aufhalten.“