Essen. . Justizsprecher tritt vehement dem Eindruck entgegen, ein Essener Richter habe Clan-Größe „davon kommen“ lassen. Urteil erfolgte per Strafbefehl.

Der Sicherheitsaufwand bei so genannten Clan-Prozessen im Essener Justizgebäude ist seit jeher bekanntermaßen enorm. Aber ist es mittlerweile so schlimm, dass gewalttätige Clan-Mitglieder um Prozesse herumkommen, nur weil Essener Richter Randale im Gerichtssaal fürchten? Mit dieser dramatischen Zuspitzung sorgt ein aktueller Focus Online-Bericht über die Essener Clan-Größe Bilal H. – besser bekannt als „Pumpgun-Bilal“ – derzeit für viel Wirbel.

Doch das Amtsgericht Essen widerspricht energisch. „Durch den Artikel wird der Eindruck vermittelt, die Essener Justiz habe Angst vor dem Angeklagten und deshalb müsse er sich nicht wie jeder andere vor Gericht verantworten, aber dieser Eindruck ist falsch“, sagt Amtsgerichtssprecher Michael Schütz.

Die Fälle, die für Schlagzeilen sorgen, ereigneten sich 2014 und 2015

Das Magazin erwähnt nicht den Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung, weshalb der Eindruck entsteht, es handele sich um eine aktuelle Angelegenheit. Doch die Fälle, die nun für Schlagzeilen und so manche Irritation sorgen, ereigneten sich schon 2014 und 2015.

Was war passiert? In zwei Anklagen wurde Bilal H. damals Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung, Beleidigung und vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen. Bei dem Mann handelt sich um ein arabisch-libanesisches Clan-Mitglied, dessen Lebenslauf eine bemerkenswert lange Liste von Straftaten und Verurteilungen aufweist. H.’s Onkel ist der so genannte Pate von Berlin, der seine Aktivitäten vor einiger Zeit ins Ruhrgebiet verlegt hat.

Angeklagter nannte Politesse „Hure“ und drohte: „Ich schlage dich kaputt“

Im ersten Tatkomplex ging es um die Widerstandshandlung. Polizeibeamte wollten H.’s Frau im Streifenwagen abholen, um sie bei Gericht als Zeugin vorzuführen. Doch H. habe sich mit ausgebreiteten Armen vor dem Polizeiauto aufgebaut und dabei den Kreisverkehr an der Dreilindenstraße eine Viertelstunde lang blockiert.

Der zweite Tatkomplex: H. soll eine Politesse im Dezember 2014 als „Hure“ und „dreckige F....“ beschimpft und ihr Gewalt („Ich schlage dich kaputt“) angedroht haben. Einen Zivilpolizisten, der die Szene mit dem Smartphone gefilmt hat, habe er an den Hemdkragen gefasst, gewürgt und – vergeblich – zur Herausgabe des Handys aufgefordert.

Das Amtsgericht verurteilte ihn für diese Taten per Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten und zwei Wochen auf Bewährung. Der Gerichtssprecher: „Dabei handelt es sich um diejenige Strafe, die auch bei einer Verurteilung im Rahmen der Hauptverhandlung zu erwarten gewesen wäre.“ Es sei also nicht zutreffend, dass sich Bilal H. wegen der Taten nicht habe vor Gericht verantworten müssen. „Er wurde rechtskräftig verurteilt.“ Allein schon die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe widerlege den Eindruck, H. sei „davon gekommen“.

„Das Gericht scheut sich nicht, Hauptverhandlungen gegen Bilal H. durchzuführen“

Richtig ist, dass Bilal H. das Gerichtsgebäude in diesem Strafbefehlsverfahren nicht betreten musste. „Dieses Verfahren ist aus verfahrensökonomischen Gründen gewählt worden und nicht, weil der Angeklagte – wie der Focus meint – ‘gefürchtet’ sei oder dem Gericht ‘das Sicherheitsrisiko zu hoch erschien“, sagt Richter Michael Schütz – und stellt klar: „Das Gericht scheut sich nicht, Hauptverhandlungen gegen Bilal H. durchzuführen.“ Er weist zugleich darauf hin, dass gegen Bilal H. bereits mehrere Hauptverhandlungen nach dem Strafbefehlsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden seien.

Sicherheitsstufe eins: Beamte der Einsatzhundertschaft sorgen im September 2016 im Landgericht Essen für Sicherheit. Das Schwurgericht verhandelt einen Fall aus dem Clan-Milieu.
Sicherheitsstufe eins: Beamte der Einsatzhundertschaft sorgen im September 2016 im Landgericht Essen für Sicherheit. Das Schwurgericht verhandelt einen Fall aus dem Clan-Milieu. © Kerstin Kokoska

Die Verurteilung des Angeklagten per Strafbefehl sei vom Amtsgericht angeregt und von der Staatsanwaltschaft beantragt worden. Strafbefehl statt Verhandlung im Saal: Der damals zuständige Richter habe in einem Vermerk tatsächlich auf „den hohen Verfahrensaufwand“ hingewiesen. Soll heißen: Neben mehreren Justizwachtmeistern sei gegebenenfalls die Unterstützung der Polizei nötig gewesen, „um eventuelle bedrohliche Situationen zum Nachteil der geladenen Zeugen, des oder der Vertreterin der Staatsanwaltschaft oder auch des Gerichtes zu unterbinden“.

Amtsgerichtssprecher Michael Schütz tritt vehement der Annahme entgegen, die Essener Justiz verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. „Das Amtsgericht Essen behandelt die Verfahren gegen Bilal H. genauso wie gegen andere Angeklagte gerichtete Verfahren.“