Essen. Bis die Kultur in Essen anspringt, könnte es dauern: Warum Veranstalter Termine schon bis 2022 verschieben und Event-Unternehmen klagen wollen.

„Im Liegen geht’s“ heißt das Programm von Herbert Knebel. Doch aus der ganzen lustigen Herumliegerei ist in den vergangenen Monaten ein einziges mühsames Verlegen geworden. Schon zum zweiten Mal hat Knebel-Veranstalter Malte „Malle“ Thormann den Essener Auftritt seines ewig rüstigen Comedy-Rentners neu terminieren müssen. Eigentlich sollte Knebel bereits im Sommer 2020 zum letzten Mal das Colosseum bespielen, dann musste auch der für den 13. Februar dieses Jahres geplante Termin in der Grugahalle gecancelt werden.

Am 15. Januar 2022 soll es nun an der Norbertstraße soweit sein. Fast ein Jahr müssen die Knebel-Fans damit noch ausharren. Und nicht nur die brauchen derzeit Geduld, wenn es um das Wiederhochfahren des Kulturbetriebes geht.

Der Ticketverkauf tendiert derzeit gen Null

Zwar verspricht der Veranstaltungsplan der Grugahalle nach derzeitigem Stand mit Sommerfest (16. bis 25. Juli), Oldie-Nacht (9. Oktober) und dem Queen-Musical „We will Rock You“ (19. bis 31. Oktober) wieder einen Hauch von Normalität. Doch langfristige Verschiebungen wie der Knebel-Abend sind kein Einzelfall. „Lieber weiter nach hinten planen, als zum dritten Mal verschieben“, sagt Malte Thormann. Ohnehin seien die meisten Kalender der Veranstaltungshäuser ab Herbst schon proppevoll.

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Wer jetzt nicht weitsichtig agiere, müsse dann womöglich bis Ende 2022 auf einen attraktiven Ausweichtermin warten. „Alle Tourpläne sind durcheinander“, sagt Thormann. Bis das Kulturleben wieder richtig anspringt, könnte somit noch eine ganz Weile vergehen. Was auch an der Zögerlichkeit des Publikums liegt. Für alle nachgeholten Termine wurden noch vor Corona ausreichend Karten verkauft. Momentan aber tendiere der Ticketverkauf gen Null, sagt Thormann. „Die Leute sind total verunsichert.“

Eines zeichnet sich jedenfalls ab: Vor halbem oder nur zu einem Viertel gefülltem Haus will kaum noch jemand spielen. Dabei geht es nicht nur um die Atmosphäre, die sich bei spärlich besetzten Sitzen kaum einstellen will. Vor allem das Kostenthema wird im zweiten Lockdown zum wesentlichen Verhinderungsgrund. Wer schon 1000 Karten verkauft hat wie bei Knebel, der will am Ende eben nicht vor 100 oder 250 Zuschauern spielen, die ein entsprechendes Hygienekonzept möglicherweise erlauben würde. Nach monatelanger erzwungener Auszeit ist der Blick auf die nur langsam sinkenden Inzidenzzahlen bei vielen Künstlern so besorgt wie auf die stetig schrumpfenden Rücklagen.

Folkwang-Museum will schnellstmöglich wieder öffnen

Andere hoffen wiederum, dass sich das Bemühen um aufwendige Hygieneschutzkonzepte und gute Belüftungsanlagen endlich auch einmal auszahlt. Folkwang-Museumschef Peter Gorschlüter gehört zu den Unterzeichnern eines Schreibens, in dem die deutschen Kunstmuseen eine baldige Wiedereröffnung fordern und konkrete Vorschläge für ein sukzessives Herauffahren des Ausstellungsbetriebes machen. Auch die Deutsche Orchestervereinigung drängt auf schnelle Öffnung. Zuletzt hatten die Ergebnisse eines Corona-Aerosol-Test im Konzerthaus Dortmund für große Hoffnung gesorgt. Nach jetzigem Stand plant die Essener Theater und Philharmonie ab Anfang April wieder eine allmähliche Rückkehr zum Spielbetrieb.

„Kino – sicherer geht’s kaum“: Mit der Plakataktion ist die Essener Lichtburg schon im vergangenen November in die Offensive gegangen.
„Kino – sicherer geht’s kaum“: Mit der Plakataktion ist die Essener Lichtburg schon im vergangenen November in die Offensive gegangen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Die Essener Lichtburg hat schon im vergangenen November mit einer Plakataktion für eine differenzierte Betrachtung im Lockdown geworben: „Kino – Sicherer geht’s kaum.“ „Hinter der Aussage stehe ich auch heute“, sagt Kino-Chefin Marianne Menze. Doch die Anzeichen mehren sich, dass sich Kinos, Theater, Konzerthäuser und Museen einmal mehr hinten in der Schlange anstellen müssen, wenn es um Lockerungen vom Lockdown geht. Für Menze ist das „absolut unlogisch“ und ein Unding. Dass gerade Kulturorte, „die den allerhöchsten Schutz bieten“, womöglich wieder zuletzt öffnen könnten, ist für Menze „absolut nicht nachvollziehbar“.

Essener Kino-Chefin: Ein TÜV-Siegel für Veranstaltungsorte wäre gut

Ihr Vorschlag ist nach wie vor eine Art „TÜV-Siegel“ für Veranstaltungsorte, um Menschen die Entscheidung einfacher zu machen und endlich wieder eine Perspektive zu geben. Doch statt für die Wiedereröffnung zu planen, bleibt der Kino-Chefin momentan nur die Antragstellung weiterer Überbrückungshilfen. Immerhin: Für die in den Herbst verschobenen Auftritte von „10cc“ bis Ben Becker gibt es noch keine neuerlichen Absagen. Und auch Unternehmen würden sich inzwischen nach möglichen Terminen für ein Firmen-Event erkundigen.

Auch der Essener Event-Experte Tom Koperek sieht zumindest das Business-to-Business-Geschäft ab Herbst wieder im Aufwind. „2021 habe ich noch nicht abgeschrieben.“ Sollte das Impfen in den kommenden Monaten so vorangehen wie versprochen, könne man vielleicht noch 50 Prozent der Vorkrisenumsätze erreichen. „Die Branche hat alle Aktivitäten in die zweite Jahreshälfte verlegt“, sagt Koperek. Für alle Auftritte im Bereich „Public Event“ ist der Essener Unternehmer allerdings nicht allzu optimistisch. „Schwer vorstellbar, dass sich die großen Acts ab Sommer wieder in den Flieger setzen.“

Unternehmen der Veranstaltungsbranche planen Normenkontrollklagen in allen Bundesländern

In der Grand Hall Zollverein, die Koperek auf dem Essener Welterbe betreibt, häuften sich mittlerweile zumindest wieder die Anfragen. „Die Unternehmen brennen darauf, endlich wieder Leistungsschauen zeigen zu können. Irgendwann bekommt man die Innovationen nicht mehr an den Markt“, sagt Koperek. Doch die Hoffnung auf ein besseres Geschäft im zweiten Halbjahr macht die dramatischen Verluste nicht wett, die viele Unternehmenin den vergangenen Monaten erlitten haben. Tom Koperek, Initiator der bundesweit aktiven Bündnisses „Alarmstufe Rot“, kündigt deshalb an, dass ein Dutzend Unternehmen der Veranstaltungsbranche mittlerweile planen, in allen 16 Bundesländern auf Schadenersatz zu klagen. Mit den Normenkontrollklagen einzelner Betroffener, vom Caterer über den Veranstaltungstechniker bis zum Künstler, solle grundsätzlich geklärt werden, wie weitreichend der Staat in die Gewerbefreiheit eingreifen dürfe, ohne die Unternehmen entsprechend zu entschädigen, erklärt Koperek. Man wolle im Interesse vieler eine grundsätzliche Klärung herbeiführen, ob das Infektionsschutzgesetz überhaupt verfassungskonform sei.

So wird am Ende vielleicht die Justiz, aber auch das Publikum mit den Füßen über einen vielversprechenden Neustart des Kulturlebens entscheiden. Der Mülheimer Veranstalter Malte Thormann ist sich jedenfalls sicher: „Wenn wir mit dem Impfen durch sind, dann werden wir einen echten Boom erleben.“

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