Essen. Vorsicht ja, Angst nein! Essener Kinochefin wirbt für mehr Augenmaß im Lockdown. Kulturorte wie Kinos hätten jetzt eine wichtige Ventilfunktion.

Stell dir vor, es gibt in diesen schwierigen Corona-Zeiten extrem geräumige, gut belüftete und streng kontrollierbare Räume – und keiner darf hingehen. Kinos, Konzerthäuser, Museen und Theater, die sich seit Ausbruch der Pandemie mit viel Aufwand und Umsicht für die Sicherheit ihrer Besucher engagiert haben, sind seit dem neuerlichen Lockdown wieder dicht. Dass man unter dem Oberbegriff „Freizeitveranstaltung“ nun in einem Atemzug mit Spielhallen und Fitnessstudios genannt wird, ist in den vergangenen Tagen manchem bitter aufgestoßen.

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Viele Kulturtreibende, auch die Geschäftsführung und Intendanten der Essener Theater und Philharmonie (TuP) und der Direktor des Museum Folkwang, Peter Gorschlüter, haben zuletzt für eine differenzierte Betrachtung geworben. Lichtburg-Chefin Marianne Menze geht nun sogar mit einer Plakat-Aktion in die Offensive: „Kino – sicherer geht’s kaum“ lautet die Aufschrift der großformatigen Infoträger, die nicht nur rund um die Essener Filmkunsttheater ausgehängt werden soll.

Prüf-Plakette könnte dem Publikum mehr Sicherheit vermitteln

Orte wie Kinos sind nach Meinung Menzes derzeit eine der wichtigen Anlaufpunkte für Menschen, die sonst kaum mehr Gelegenheit zur Begegnung haben. „Wir glauben, dass es ein großer Fehler ist, undifferenziert Orte zu schließen, die eine äußerst geringe Infektionsgefahr bieten, dafür aber eine gewisse ‘Ventilfunktion’ haben könnten. Ich kann kann nicht verstehen, dass die Politik darauf verzichtet“, sagt Menze. Die Kinobetreiberin verweist auf die seit Monaten mit Akribie entwickelten Hygieneschutzkonzepte, die in riesigen Sälen wie der Lichtburg die problemlose Einhaltung von Abstand gewährleisten. Auch die erweiterte Kontaktnachverfolgung und die regelmäßig TÜV-geprüfte Belüftungsanlage, die ständig Frischluft in die Lichtburg pumpt, sind für das Lichtburg-Team Faktoren, „die uns behaupten lassen: sicherer geht‘s kaum“.

Hilfsprogramm für Kinos

Um die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie für Lichtspielhäuser abzumildern, unterstützt die Landesregierung Kinobetreiber in NRW ab Januar 2021 mit dem Hilfsprogramm „Film ab NRW“.

Mit den von der Landesregierung bereitgestellten 15 Millionen Euro aus dem NRW-Rettungsschirm sollen drohende Insolvenzen abgewendet werden. Kleine Filmkunsttheater, aber auch große Kinocenter sollen davon profitieren.

Ähnlich wie eine TÜV-Plakette wünscht sich Menze beispielsweise ein Prüfsiegel vom Ordnungsamt, das die Orte nach einem gewissen Kriterienkatalog überprüfen könnte. Dann sei für jeden Besucher erkennbar, ob die Vorgaben des Hygieneschutzes erfüllt sind oder nicht. Denn nicht nur Menze hat Sorge, dass die dauernden Schließungen für eine extreme Verunsicherung sorgen. Schon Rathaus-Theaterchef René Heinersdorff hatte die aktuellen Lockdown-Beschlüsse kritisiert: Was nütze die 75-prozentige Erstattung der Umsatzausfälle im November, wenn langfristig hängen bleibe, „dass Theater und Kinos gefährliche Ansteckungsorte sind“.

„Verbote ohne Nachvollziehbarkeit können Frust und Angst schüren“

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Die Erfahrungen der vergangenen Monate zeigten schließlich ein vollkommen gegenteiliges Bild. „In diesen fünf Monaten hat es nachweislich keine einzige Infektion in einem Kino gegeben“, heißt es in einem Brief, den die Essener Filmkunsttheater in diesen Tagen an ihre Zuschauer verschicken. Die Plakataktion soll deshalb dazu beitragen, „die eigenen Ängste zu reflektieren“, heißt es weiter, denn: „Wir sind nicht nur Kinobetreiber sondern auch Bürger. Als solche machen wir uns Sorgen, dass Verbote ohne Nachvollziehbarkeit Frust und Angst schüren.“ Immer mehr Menschen könnten so in die Arme von Corona-Protestlern und anderen maskenlosen Verschwörungstheoretikern getrieben werden.

„Vorsicht ja, Angst nein!“ lautet stattdessen die Lichtburg-Devise. Den Menschen zu vermitteln, welche Orte gefährlich sind, sei prinzipiell richtig. Angst allein aber sei kein guter Ratgeber, finden die Kinoanbieter. „Den Menschen aufzuzeigen, wo sie sich sicher fühlen können“, sei stattdessen eine konstruktive Option. Dann könne man auch die vielfach formulierte Aussage „wir wollen die Menschen mitnehmen“ akzeptieren.

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