Nach sechs Jahren großer Rats-Koalition mit der SPD wechseln die Christdemokraten den Partner: In Kürze beginnen Verhandlungen mit den Grünen.
Sie haben sich Zeit gelassen, sechs Wochen lang. In immerhin drei „Sondierungs“-Runden und jeweils stundenlang loteten Essens Christdemokraten mit SPD und Grünen aus, wer von beiden ihnen zur Seite stehen soll, wenn es darum geht, in den kommenden fünf Jahren die Stadtpolitik zu gestalten. Wer zwischendurch nachfragte, bekam bescheinigt, es gebe da „keinen geborenen Partner“, die Gespräche stünden „fifty-fifty“. Nach dem dritten Durchgang an diesem Wochenende aber musste die CDU sich entscheiden, und sie entschied sich – für die Grünen.
Absage also an die SPD und das Aus für jene „große Ratskoalition“, die fast sechseinhalb Jahre lang und nach außen größtenteils geräuschlos eine ganze Reihe lokalpolitischer Probleme aus dem Weg geräumt hatte. „Für uns als CDU war es besonders wichtig, einen für die gesamte Wahlperiode verlässlichen Partner zu finden, mit dem wir Essen gemeinsam zukunftsfest gestalten, den Zusammenhalt in unserer Stadt stärken sowie Investitionen und solides Haushalten gewährleisten können“, so brachten es CDU-Parteichef Matthias Hauer und der Fraktionsvorsitzende Fabian Schrumpf auf den Punkt: „Wir sind der Auffassung, dass sich eine größere Chance bietet, diese Ziele mit Bündnis 90/Die Grünen umzusetzen.“
So geht es im Stadtrat weiter
Am Mittwoch tritt der neue 86-köpfige Rat – coronabedingt in der Grugahalle – zu seiner ersten Sitzung zusammen, doch Inhalte sind dort eher Mangelware.
Vielmehr werden personelle Weichen gestellt: OB Thomas Kufen vereidigt, die Ratsmitglieder in ihr Amt eingeführt, drei Bürgermeister gewählt und die Rats-Ausschüsse neu gebildet. Die Arbeit beginnt in den folgenden Ratssitzungen am 2. und 16. Dezember.
Hüben die Grünen als Partei der Stunde, drüben der Wahlverlierer SPD
Dass nun eine schwarz-grüne Koalition angepeilt wird, war für politische Beobachter keine große Überraschung: Die Grünen gelten trotz mancher Vorbehalte mit ihren Themen einer neuen Mobilität und der Frage eines umfassenden Klimaschutzes, aber auch vor dem Hintergrund ihrer jüngsten Wahlerfolge als die Partei der Stunde: Bei der Rats-Wahl im September erzielten sie 18,6 Prozent der Stimmen, satte 7,4 Prozentpunkte mehr als 2014.
Der SPD haftet hingegen ein Wahlverlierer-Image an: Beim Stadt-Ergebnis abgestürzt von 34,0 auf 24,3 Prozent, der eigene OB-Kandidat krachend gescheitert, dazu wie im Bund auch vor Ort die schwelende Frage, ob man sich selbst eigentlich einen Gefallen damit tut, an GroKos aller Art festzuhalten – das dürfte trotz aller lobenden Worte für die gute Zusammenarbeit mit Fraktions-Chef Ingo Vogel und seinem Team mitentscheidend gewesen sein.
Keine unüberwindbaren Probleme: „Es saß immer ein Brückenbauer mit am Tisch“
Überdies betritt Essens CDU mit einer schwarz-grünen Kooperation ja kein Neuland: Schon in den Jahren von 2004 bis 2009 fanden die beiden Parteien zueinander. Und bereits damals mit am Tisch: der heutige Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) und die grüne Fraktionschefin im Rat, Hiltrud Schmutzler-Jäger. Als 2009 die rot-grünen Kooperations-Gespräche scheiterten, mischten die Grünen gemeinsam mit FDP und Essener Bürger Bündnis in dem von Kufen gezimmerten Viererbündnis mit.
Die Grünen des Jahres 2020 wollen dagegen nicht mehr eine Partei von mehreren sein, sondern – wenn auch als Juniorpartner – das Heft mit in der Hand halten: „Sehr selbstbewusst“ seien sie aufgetreten, heißt es von christdemokratischer Seite, „und gut vorbereitet“. In den Verhandlungen sei es auch des öfteren strittig zugegangen, berichtet ein grüner Teilnehmer, „aber es saß auch immer ein Brückenbauer mit am Tisch“.
Der dritte Bürgermeister-Posten – auch ein Zeichen für drei Parteien auf Augenhöhe
Überhaupt, der Versuch, zwischen den drei großen Ratsfraktionen Brücken zu bauen, ist unübersehbar. Sichtbarstes Zeichen hierfür ist der von allen Seiten schon vor der endgültigen CDU-Entscheidung abgesegnete Plan, den Posten des dritten Bürgermeisters nach sechs Jahren Pause wieder einzuführen. Die Rückkehr der dritten Stellvertretung für OB Kufen, einst beantragt von den Linken, gestützt von der SPD und beschlossen in geheimer Abstimmung, soll den Umstand würdigen, dass die zweit- und drittstärkste Kraft im Rat nach Kopfzahl nicht mehr allzu weit auseinander liegen.
Und so nominierte die SPD am Montagabend einstimmig einmal mehr den inzwischen 76-jährigen Rudolf Jelinek aus Stoppenberg, die Grünen wollen wieder Rolf Fliß (61) aus Rüttenscheid im Amt sehen, und die CDU schickt mit Julia Jacob (45) aus Huttrop die einzige Frau ins Rennen. Die eigentlichen Koalitions-Verhandlungen folgen erst: Bis Anfang Dezember soll das Bündnis unter Dach und Fach sein.