Essen. Die SPD und ihr OB-Kandidat erleben einen bitteren Wahlabend. Die Abrechnung steht den Sozialdemokraten noch ins Haus.
Am Morgen war Oliver Kern noch daheim in der Sauna. Das macht er sonntags immer so, um zu entspannen. Ein außergewöhnlicher Wahlkampf lag da hinter dem Oberbürgermeister-Kandidaten der SPD. Ein Wahlkampf unter Corona-Bedingungen, was für ihn als Herausforderer ein Nachteil war. Dennoch: „Ich hoffe auf einen Durchmarsch. So selbstbewusst muss man sein“, sagt Kern am späten Nachmittag im Rathaus, kurz bevor die Wahllokale schließen. Dass es kein Durchmarsch werden würde, weiß Kern sehr wohl, seit eine repräsentative Umfrage ihn weit abgeschlagen hinter Amtsinhaber Thomas Kufen einsortierte. Eine Stichwahl wäre deshalb schon „ein Riesenerfolg“, räumt Kern ein. Am Ende soll es nicht einmal dafür reichen.
„Das ist ein enttäuschendes Ergebnis, sagt Kern am späten Abend, als nur noch wenige weiße Flecken auf der nahezu vollständig schwarzen Stadtkarte zu sehen sind, die der Beamer in Sitzungsraum 220 an die Wand wirft. „Ich hatte eine andere Stimmung wahrgenommen. Aber Stimmungen sind keine Stimmen.“ Nun sei er „ein bisschen platt“. Wie er sich fühlt, steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Mit seinem Ruf nach sozialer Gerechtigkeit konnte Oliver Kern nicht durchdringen
Dass es so kommen würde, zeichnet sich ab mit jedem Wahllokal das ausgezählt ist. Der Abend wird zu einem Desaster für Oliver Kern und die SPD. Wie konnte es dazu kommen? Kern will es nicht auf Corona schieben. „Ich sehe nicht, dass es an mir lag“, sagt er noch und wiederholt, was er im Wahlkampf häufig gesagt hat: „Ich bin ein linker Sozialdemokrat.“
Doch mit seinem Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, nach Bildung, nach bezahlbaren Wohnungen und mehr Kita-Plätzen ist der Herausforderer nicht durchgedrungen. Dass er öffentlich gegen die eigene Ratsfraktion geschossen hat, weil diese nach seinem Geschmack zu wenig eigenes Profil zeigte in der großen Koalition mit der CDU, hat in der Fraktion nicht jedem gefallen. Von einer „Kernspaltung“ ist die Rede. Klingt so, als gebe es noch Gesprächsbedarf. Als Erklärung für die Wahlniederlage, die nichts anderes ist als eine Klatsche, kann der Zwist zwischen Kern und Fraktion nicht herhalten.
SPD-Parteichef Thomas Kutschaty sucht das wenige Positive für die SPD bei dieser Wahl
Parteichef Thomas Kutschaty sucht das wenige Positive aus Sicht der SPD an dieser Wahl, was verzweifelter wirkt, je weiter der Abend fortschreitet. Die Rathäuser in Bottrop und Remscheid haben die Genossen im ersten Wahlgang geholt. Seinem Parteifreund im Bergischen gratuliert Kutschaty persönlich am Telefon. Wichtiger noch: Schwarz-Gelb habe im Land keine Mehrheit mehr. „Na wenn das ein Erfolg sein soll“, sagt Kutschaty trotzig.
In seiner Heimatstadt hat seine Partei dagegen Wahlkreise verloren, die für die Sozialdemokraten als sicher galten. In früheren Jahrzehnten hätte die SPD dort auch einen Besenstil aufstellen können, auch der wäre gewählt worden, hieß es gerne. Diese Zeiten sind vorbei, aber dass Schonnebeck, Katernberg oder auch Altendorf an die CDU fallen könnten, das galt bislang als undenkbar. 21 Jahre lang hat Ota Hortmanns Altendorf im Rat der Stadt vertreten. Diesmal verlässt sie den Sitzungssaal als Verliererin. Dass Thomas Kufen „ein gutes Standing hat auch in Altendorf, das sei für sie keine Überraschung, sagt Hortmanns. Alles andere lässt sie ratlos zurück. Sicher sei nur, dass nicht mehr sicher sei, sagt Fraktionschef Ingo Vogel, während Mitglieder seiner Fraktion Ursachenforschung betreiben. Lag es an der großen Koalition? „Die CDU stand ständig auf der Bremse und wir kriegen die Arschkarte gezeigt“, ereifert sich Ratsherr Martin Schlauch.
Kutschaty hebt den Sieg der SPD in Haarzopf hervor - und kritisiert die Verlierer
Eine große Koalition sei für die kleinere Partei immer ein Risiko, sagt Thomas Kutschaty, für dessen persönlich Ambitionen in der Landespolitik das Wahlergebnis ein herber Dämpfer ist. Auf Nachfrage will er darauf nicht weiter eingehen. Eine Erklärung hat er für das „enttäuschende Ergebnis“: Kutschaty zeigt nach Haarzopf, wo es Philipp Rosenau gelungen ist, seinen Wahlkreis klar zu gewinnen. Rosenau sei engagiert in Vereinen und Verbänden im Stadtteil. „,Das zeigt, wie wichtig ein ständiges Engagement ist“, lobt Kutschaty und lässt durchblicken, dass es seiner Meinung nach so manch anderer, der für die SPD angetreten ist, an Engagement hat vermissen lassen. Auch darüber werde zu reden sein. Es kommen ungemütliche Zeiten auf die Genossen zu. Am Montag treffen sich die Spitzen von Partei und Fraktion zur Wahlnachlese.
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