Essen. Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün sind die realistischen Koalitionen. Doch Essens Rats-CDU sucht nicht zuletzt nach der Person, die sie führt.

Vor einem Monat haben sie nach einer Ausschuss-Sitzung im Ratssaal schon mal probegesessen: Es soll schließlich neue Ratssessel geben, wird langsam Zeit, die alten sind arg verschlissen. Auch Jörg Uhlenbruch und Barbara Rörig gehörten dabei zu jenen, die nach ihrem fachkundigen Urteil über den Sitzkomfort gefragt wurden. Doch weil sie das Mandat verpassten, werden sich künftig weder der Noch-Fraktionschef der CDU noch seine Stellvertreterin, die übrigens als neue Bürgermeisterin ausgeguckt war, ins erwählte Vitra-Modell schmiegen und den „Kopf“ für die Christdemokraten im Rat hinhalten. Was die Frage aufwirft: wer dann?

Zumindest am Montagabend gab es darauf noch keine Antwort: Die neue 30-köpfige Ratsfraktion braucht offenbar Bedenkzeit, sich nach dem personellen Aderlass zu sortieren. Formell wird dies mit Hinweis auf die Sitzung des Kommunalwahl-Ausschusses am kommenden Montag begründet: Das Gremium segnet das amtliche Endergebnis der Ratswahl ab, und nicht wahr, wer wisse schon, ob da nicht der Ruf nach einer Nachzählung hier und dort laut wird. Viermal nämlich fielen die Entscheidungen zu den Direktmandaten in einer Art Fotofinish: Bei zwei Mandaten lag der jeweilige CDU-Kandidat nur mit sechs beziehungsweise zehn Stimmen vorn, in zwei anderen Fällen mussten sich die Christdemokraten mit sechs oder gar nur vier Stimmen weniger geschlagen geben. Unterschwellig schwingt da der Gedanke mit: Vielleicht ist ja für den alten Fraktionschef Uhlenbruch noch gar nicht alles verloren.

Im Gespräch als neuer Fraktionschef der CDU im Rat: der Landtagsabgeordnete Fabian Schrumpf.
Im Gespräch als neuer Fraktionschef der CDU im Rat: der Landtagsabgeordnete Fabian Schrumpf. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Fabian Schrumpf gilt vielen als möglicher Nachfolger Uhlenbruchs

Wenn doch, dann zeigen inner- wie außerhalb der CDU viele Finger inzwischen auf den Landtagsabgeordneten Fabian Schrumpf: Dem 37-jährigen Rechtsanwalt aus Heisingen trauen sie nicht nur das Doppelmandat zu, sondern auch die führende Rolle in der örtlichen Ratsfraktion. Wer ihn mit diesem Gedanken konfrontiert, erntet den ebenso augenzwinkernden wie vielsagenden Hinweis, dass dies „so oder so für mich auf jeden Fall ein spannendes Jahr wird“, denn die Familie Schrumpf, sie wächst: Zwillinge kündigen sich an. Ob der Papa dann neben vier Kindern noch eine Ratstruppe hüten wollte, müsste sich erweisen.

Denn auf die CDU im Rat kommt es bei der Mehrheitsbildung an, so viel steht mal fest: Angesichts von 86 Ratsleuten liegt die Mehrheit bei 44. Die Christdemokraten bringen 30 eigen Ratsmitglieder mit, es wäre also Schwarz-Rot und damit die Fortsetzung der großen Rats-Koalition aus CDU und SPD genauso möglich wie Schwarz-Grün: 51 Köpfe zählte, die eine, 46 die andere Kombination, jeweils zuzüglich OB.

Zwei Briefe an die Kokurrenz läuten die Verhandlungen ein

Für alle anderen Mehrheits-Konstrukte müsste die CDU entweder auf die AfD oder auf die Linken zurückgreifen, was die CDU kategorisch ausgeschlossen hat. Und auch für die SPD wäre ein rot-grünes Gebilde mit dann erstmal nur 37 Stimmen erst dann handlungsfähig, wenn – abseits der AfD – noch drei weitere Parteien mit ins Boot kämen. Abenteuerlich.

Rechnen für die Ratsmehrheit

Das Wahlergebnis zum Stadtparlament lässt den beteiligten Parteien nicht allzu viele Möglichkeiten für Koalitionsvarianten: Bei 86 Mitgliedern zuzüglich OB liegt die Mehrheit bei 44.

Die CDU bringt 30 Sitze mit, die SPD 21, die Grünen 16 Mandate. Die AfD mit 6 Sitzen wurde als Partner vorab ausgeschlossen.

Drei jeweils dreiköpfige Fraktionen – Linke, FDP und EBB – sind ebenso wenig hilfreich für eine stabile Mehrheitsbildung wie die zwei jeweils zweiköpfigen Ratsgruppen PARTEI und Tierschutz.

Sollte die CDU weder mit der SPD noch mit den Grünen auf einen Nenner kommen, bliebe es bei wechselnden Mehrheiten.

Das macht die Sache naturgemäß sehr überschaubar. Und so hat CDU-Parteichef Matthias Hauer erst einmal zwei Briefe geschrieben: einen an die SPD, einen an die Grünen. Mit beiden Parteien will man als stärkste politische Kraft des Rates in der kommenden Woche über eine mögliche Zusammenarbeit sprechen, vorausgesetzt, diese wollen es ebenfalls. Während die Grünen intern schon eine zehnköpfige Verhandlungskommission bestimmt haben, lassen sich die Genossen Zeit. Sie haben am Montag erst einmal nur Wahlnachlese betrieben und auch noch keine Fraktionsspitze bestimmt.

Bis November soll sich der Koalitions-Nebel gelichtet haben

Man hat ja schließlich noch Zeit: Die aktuelle Ratsperiode wie auch die erste Amtszeit von Oberbürgermeister Thomas Kufen laufen offiziell bis zum 31. Oktober diesen Jahres, bis dahin gibt’s noch zwei Wochen Herbstferien und eine letzte, die 51. Ratssitzung am 30. September in der Grugahalle. Die konstituierende Sitzung des Stadtparlaments ist dann für den 4. November vorgesehen.

Bis dahin, so heißt es bei der CDU, sollte sich der Koalitions-Nebel allerdings auch gelichtet haben. Dann wird man sehen, ob es wieder einen dritten Bürgermeister gibt, welche Rats-Ausschüsse sich in welcher Stärke bilden und ob man die Corona-bedingte Buchung der Grugahalle als Tagungsort für den Rat über November hinaus verlängern muss. Bis dahin sind dann auch die neuen Ratssessel eingetroffen.