Essen. Essens Kultureinrichtungen müssen wieder schließen. Entscheidung sorgt für Frust und Unverständnis. Viele fürchten nicht nur finanzielle Folgen.
Enttäuschung, Frust, Unverständnis. In der Essener Kulturszene herrscht nach der Entscheidung über einen Lockdown light tiefe Verunsicherung. Wird das kulturelle Leben in der Stadt nach einer weiteren Zwangspause noch tieferen Schaden nehmen? Sind zumindest noch Proben erlaubt, um im Dezember mit neuen Produktionen wieder fürs Publikum da sein zu können? Werden digitale Formate noch einmal Ersatz schaffen können? Oder ist das Publikum vom ewigen hin und her der Absagen und Platzreduzierungen am Ende so zermürbt, dass es sich noch weiter von der Kultur entfernt?
Keine Konzerte mehr im Bürgermeisterhaus: „Wir sind geschockt“
In vielen Häusern geht die Angst um, dass die neuerliche Schließung nicht nur wirtschaftlich schweren Schaden hinterlässt. „Wir sind geschockt“, sagt beispielsweise Carsten Linck. Im Werdener Bürgermeisterhaus war der Betrieb mit maximal 50 Zuhörern zuletzt wieder gut angelaufen, die Auslastung lag bei 70 bis 100 Prozent. Anfang November hätte Star-Cellistin Maria Kliegel an zwei Abenden Benefizkonzerte geben wollen – jetzt fällt alles aus. Linck sieht nicht nur viele Häuser in existenzieller Gefahr. Man werde schlichtweg eines Grundrechts zur freien Berufsausübung beschnitten, findet Linck. Und das, „obschon ich keine Kultureinrichtung kenne, die aufgrund von Corona schließen musste“.
Dass es trotz aufwendiger Hygienekonzepte, hocheffizienter Lüftungsanlagen und penibler Daten-Rückverfolgung nicht weitergehen darf, trifft viele. Zumal nicht nur Linck darauf hinweist, dass sich ein Kulturbetrieb eben nicht einfach ab- und wieder aufschließen lässt. Es sei „illusorisch zu denken“, dass das Publikum sofort wieder den Schalter umdrehe. „Es dauert seine Zeit, bis die Leute wieder kommen“, weiß der Geschäftsführer.
Premieren im Aalto-Theater werden möglicherweise im Dezember nachgeholt
Und doch heißt es weitermachen. Die aktuelle Verordnung der Stadt Essen lag am Donnerstag zwar noch nicht vor, trotzdem hat die Theater und Philharmonie (TuP) bereits entschieden, den Spielbetrieb im November komplett einzustellen. Ein herber Rückschlag für das Festival Now!“, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert. 16 Veranstaltungen, darunter Konzerte mit 22 Uraufführungen, eine Installation, ein Workshop sowie ein Schulprojekt standen auf dem Programm. Nun muss das Angebot auf ein einziges Festival-Wochenende eingedampft werden.
Auch interessant
Auch die geplanten Premieren der Oper „Dido und Aeneas“ sowie des Tanzabends „Tütü mit Schuss“ können nicht stattfinden. Ob sie im Dezember nachgeholt werden, hänge vor allem davon ab, ob man die Produktionen im November weiter vorbereiten kann, heißt es seitens der TuP. Sprich: Ob Proben am Ende „berufliche Zusammenkünfte“ sind. Immerhin: Das für den 5./6. November geplante Sinfoniekonzert der Essener Philharmoniker soll vom WDR aufgenommen und später ausgestrahlt werden.
Essener Theaterchef René Heinersdorff findet die Entscheidung „nicht nachvollziehbar“
„Wir stehen selbst enttäuscht und seh’n betroffen – Den Vorhang zu und alle Fragen offen“, formuliert die Studio-Bühne in Kray frei nach Brecht und macht aus der Enttäuschung über die nach Meinung vieler undifferenzierte Entscheidung keinen Hehl. „Beschlüsse von Bund und Ländern zwingen uns vom 2. bis 30. November zur erneuten Schließung“, heißt es auf der Homepage des Theaters. 13 Vorstellungen müssen nun ausfallen, darunter zwei geplante Premieren. Immerhin darf „Käpten Knitterbart“ am Samstag noch seine Abenteuer vor Publikum erleben.
„Nicht nachvollziehbar“ findet auch René Heinersdorff, Chef des Essener Rathaus-Theaters, die Entscheidung, alle Bühnen und Kultureinrichtungen wieder zu schließen, obwohl dort bisher kein größeres Infektionsgeschehen bekannt geworden seien. Anders als bei vereinzelten Gottesdiensten, die aber sehr wohl noch stattfinden dürften. Religionsfreiheit vor Berufsausübungsfreiheit – auch für einen Christen wie Heinersdorff ist das durchaus diskussionswürdig.
Dass die Institutionen nun mit 75 Prozent des Vorjahres-Umsatzes entschädig werden sollen, hält Heinersdorff zudem „für rausgeschmissenes Geld, wenn man den Besuchern gleichzeitig suggeriert, dass Theater gefährliche Orte sind“. Gleichwohl hofft der Boulevard-Bühnenchef, dass es bald weitergeht. Möglicherweise würde die gesamte Saison nun vier Wochen weiter in den Sommer geschoben. „Es soll keiner auf der Strecke bleiben“, sagt Heinersdorff. Und das soll nicht nur für die Abonnenten gelten.