Essen. Essen-Altendorf: Wo Nachbarn ehrenamtlich Müll am See aufsammeln und wo Drogenhandel und Gewalt hervorstechen. Ein Stadtteil im Fokus.
Manfred Koch ist verärgert. Wie immer, so ist sein Eindruck, wurde über seinen Stadtteil nur Negatives berichtet. Zum Beweis hält er Zeitungsausschnitte in der Hand. Die jüngste Überschrift, in der es um „gefährliche Orte“ in Essen geht, schmerzt sein Altendorfer Herz besonders, weshalb er sich an Bezirksbürgermeister Klaus Persch gewandt hat, und dieser wiederum an die Redaktion.
Den Herren brennt etwas unter den Nägeln. Sie wollen den Reportern und der Öffentlichkeit bei einem Streifzug durch das Viertel zeigen, „wie Altendorf wirklich ist“: Ein Stadtteil zwischen Idylle am Niederfeldsee, stetem Drogenhandel auf dem Ehrenzeller Markt und wiederholten Clan-Razzien.
An diesem Morgen spaziert die Kita-Gruppe vorbei, die Mädchen und Jungen lachen, während ein Streifenwagen den See umrundet. Ein Mannschaftswagen der Polizei fährt wenig später um den Ehrenzeller Platz, wo die ersten ihre Bierflaschen geöffnet haben. Eine Frau mit Kinderwagen gesellt sich dazu. Wenige hundert Meter weiter unterhalten sich Zivilbeamte mit einer Sozialarbeitern.
Gemütlicher Kaffee-Treff mit Blick auf den See
Am Seeufer steigen indes Senioren von ihren Rädern und kehren im Café ein, das in einem Neubau entstanden ist, in dem die Wohnungen mit Blick aufs Wasser und den großen Dachterrassen zehn Euro pro Quadratmeter Kaltmiete kosten. In den hinteren Reihen seien es noch 7,50 Euro, weiß Manfred Koch. Seit 30 Jahren betreibt der Innenausstatter sein Geschäft in Borbeck, 1995 zog er von Frintrop in das Altendorfer Einfamilienhaus. Schlechter Ruf? Damals überhaupt kein Thema, sagt er. Heute seien Bekannte mitunter entsetzt, weil er es doch gar nicht nötig habe, dort zu wohnen, sagen sie. „Das ist nicht fair“, entgegnet er.
Urban und lebenswert finden es Koch und Persch (selbst Frohnhauser) in Altendorf. Die beiden haben zur Uferpromenade des Niederfeldsees geladen. Durch die Kooperation von Stadt, RVR und Allbau ist hier eine kleine Oase nur 500 Meter von der Altendorfer Straße entfernt entstanden. Mit der Aushebung des Niederfeldsees setzte der Allbau 62 Neubauwohnungen an den See – das Uferviertel entstand.
20 Jahre lang habe sich die Situation im Stadtteil verschlechtert und nun dauere es entsprechend, das wieder wett zu machen: „Wandel braucht Zeit“, sagt Persch, der überzeugt ist, dass der Drogenhandel sich Ende der 1990er nach Altendorf verlagert habe, als man ihn rund um den Hauptbahnhof nicht mehr habe dulden wollen.
Es sei daher auch mitnichten alles in Ordnung, die Sorgen der Anwohner nehme er durchaus ernst. Aber viele fühlten sich ungerecht behandelt, wenn ihr Einsatz für das Viertel nicht anerkannt oder nicht einmal gesehen werde.
Kontraste in Essen-Altendorf
Optisch immerhin wirkt die Neubausiedlung heute wie eine Insel – hebt sich deutlich ab von anderen Teilen Altendorfs, vor allem von der nur wenige Meter entfernten Altendorfer Straße. Ein scheinbar unvereinbares Kontrastbild entsteht, wie auch andernorts in Essen - etwa im Hörsterfeld, wo eine riesige Hochhaussiedlung zahlreichen Einfamilienhäusern mit penibel gepflegten Vorgärten gegenübersteht. (Lesen Sie hier: Hörsterfeld: Essens berüchtigte Großwohnsiedlung im Fokus).
Ein Kontrastbild, bei dem nach Ansicht von Manfred Koch, in der Wahrnehmung der Menschen einzig die hässlichen Seiten haften bleiben, weshalb er eine andere Seite von Altendorf aufzuzeigen versucht.
Koch sammelt jeden Samstagvormittag zusammen mit 30 bis 40 Altendorfern rund um den Niederfeldsee den Müll auf, den andere dort hinterlassen haben. Der 68-Jährige und seine Mitstreiter, die selbst von der Helenenstraße herkämen, machen das, weil sie sich als Anwohner in der Verantwortung sehen, „dieses Idyll zu pflegen, was uns die Stadt hier gebaut hat“.
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Ob er sich nicht ärgert, wird er gefragt. Koch schüttelt den Kopf. „Natürlich sollte jeder seinen Müll ordnungsgemäß entsorgen, aber viel interessanter und berichtenswerter als der Müll, ist doch die Gemeinschaft, die hier entstanden ist, die sich einbringt, weil Altendorf lebenswert bleiben soll“. Verbote würden vielleicht helfen, aber die wolle doch hier keiner: „Die Menschen sollen doch herkommen, sie haben den See längst als Ausflugsziel entdeckt.“
Lärm, Dreck, Beleidigungen
Bezirksbürgermeister Persch pflichtet ihm bei, gibt aber dann auch zu, dass er von den meisten Bürgern im Stadtteil nur angerufen wird, wenn es um Probleme geht. Und derer gibt es einige, auch am Niederfeldsee.
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Dass die Polizei hier am See Streife fährt, hat natürlich seine Gründe. Rund um die Weuenstraße und Uferpromenade beklagten Anwohner schon mehrfach nächtliche Ruhestörungen, Autorennen, wildes Parken und starke Vermüllung. Mit der Idylle sei es schnell vorbei, wenn überwiegend junge Leute abends und nachts mit ihren Autos zum See kommen.
Dreck, Randale, Lärm sind auch Gründe gewesen, die mancher bereits angab, als er wieder wegzog vom Niederfeldsee. In warmen Nächten gehe es bis zum Morgengrauen rund, berichteten Anwohner unserer Redaktion noch Ende Februar. „Wenn wir um 23 Uhr um Ruhe bitten, dann wird man als „Nazi-Hure’ beschimpft. ,Verpiss Dich, zieh’ doch aus!’ heißt es dann“, sagte eine 66-Jährige, die als ehemalige Wirtin einer Altendorfer Kneipe sicherlich ein dickes Fell hat: „Aber hier gibt es keine Lebensqualität mehr.“
22.691 Menschen leben in Altendorf
22.691 Menschen leben in Altendorf. Rund 3000 von ihnen haben neben der Deutschen auch noch eine weitere Staatsangehörigkeit, 8411 sind Nichtdeutsche. Viele sind in den vergangenen Jahren aus Südosteuropa zugewandert, vornehmlich aus Rumänien und Bulgarien, sagt Persch. Zu Konflikten führe das nicht, jedenfalls nicht mehr als andernorts auch.
Und dennoch, sagt der Bezirksbürgermeister, mehr Kontrollen durch Polizei und das Jugendamt wären wünschenswert. Auch wegen der vielen Kinder, die bis tief in die Nacht über den Ehrenzeller Platz toben.
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Die Essener Polizei hatte Quartiere in Altendorf und in der Nördlichen Innenstadt als „Gefährliche Orte“ im Sinne des Polizeigesetzes definiert, weil dort mehr Straftaten registriert werden als anderswo. Dass Altendorf inzwischen nicht mehr als „kriminogener Ort“ gilt, was Polizisten die Möglichkeit eingeräumt hatte, ohne konkreten Tatverdacht Personen zu kontrollieren, bedauert manch ein Beamter inzwischen, wie ein Zivilbeamter einräumt, der gerade in Altendorf seine Runden dreht, als Koch und Persch durch den Stadtteil führen.
Drogen statt Obst und Gemüse auf dem Ehrenzeller Markt
Ins Detail will der Zivilbeamte nicht gehen, dafür aber Bezirksbürgermeister Persch: „Auf dem Ehrenzeller Markt gibt es alles, nur keinen herkömmlichen Markt.“ Samstag stehen dort noch drei Stände (Kleider, Molkereiprodukte, Geflügel), ansonsten floriert an der Stelle der Drogenhandel. Und gegen die Raserszene haben sie mal Unterschriften gesammelt, diese bei der Stadt eingereicht – passiert sei aber nichts.
In einer Auswertung zur Polizeilichen Kriminalstatistik der Deutschen Polizei-Hochschule heißt es: „Fast ein Drittel aller registrierten Drogendelikte fanden im Stadtkern Essens statt. Altendorf ist der einzige weitere Stadtteil, in dem eine dreistellige Anzahl von Delikten erfasst wurde.“ Außerdem sticht Altendorf in der Auswertung hervor, weil es neben Stadtkern, Frohnhausen und Altenessen-Süd zu den Stadtteilen zählt, in denen die meisten Körperverletzungen begangen wurden, was häufig Polizeieinsätze mit einem Großaufgebot nach sich zieht, weil sich in Altendorf in Windeseile große Gruppen gegenüber stehen.
Diese „Schattenseiten“ des Stadtteils sind dem überzeugten Altendorfer Manfred Koch bewusst, wie er sagt. Nicht von ungefähr kommt etwa, dass Altendorf in einer großen WAZ-Stadtteilumfrage die schlechtesten Noten von seinen eigenen Bewohnern auf die Frage bekam, wie gerne sie dort leben?
Aber Altendorf sei eben mehr als Kriminalität und Müll. „Es ist ein Stadtteil mit einem großen Zusammenhalt, mit engagierten Menschen, mit schönen Ecken.“ Und wenn sie den Dreck anderer Leute wegräumen, dann tun sie das auch, weil sie nicht immer nur nach der Stadt rufen wollten, so Manfred Koch. „Jeden Tag sehe ich, wie der Stadtteil sich zum Besseren entwickelt“, sagt er über Altendorf – sein Zuhause.