Essen-Rüttenscheid. Mit dem Umbau der Rüttenscheider Straße in eine Fahrradstraße will Essen den Radverkehr fördern. Doch gerade die Zielgruppe ist wenig begeistert.
Mit dem Fällen von vier überwiegend kleinen Bäumen haben jüngst die Vorarbeiten zum Umbau der Rüttenscheider Straße in eine Fahrradstraße begonnen, und schon dies sorgte dafür, dass die Stimmung im Stadtteil hitzig wurde. Musste das Schlagen von Lücken in der allseits geschätzten Kirschbaumallee wirklich sein, fragen viele Bürger und verweisen auf den in ihren Augen absurden Umstand, dass zur Förderung des umweltfreundlichen Fahrradverkehrs Straßenbäume fallen, deren Unversehrtheit ja ebenfalls ein wichtiges Umweltziel ist. Ein nicht optimaler Beginn für die bevorstehende, knapp drei Monate lange Umbauphase, die in Rüttenscheid einiges umkrempeln wird - und das parallel zum demnächst beginnenden Kommunalwahlkampf.
Das Vorhaben stand schon bislang unter keinem guten Stern
Unter einem guten Stern stand das Projekt Fahrradstraße schon bislang nicht. Die Kosten haben sich mittlerweile gegenüber der ersten Schätzung mehr als verdoppelt und liegen jetzt bei 780.000 Euro, was indes öffentlich niemanden in der Ratspolitik groß zu bekümmern scheint. Die Grünen und der Fahrradverband ADFC votierten gegen die Fahrradstraße, da sie den Fahrradverkehr zu wenig bevorzuge, ja sogar schade. „Ein Schnellschuss ohne Sinn“, schimpft der Rüttenscheider Grünen-Politiker Rolf Fliß, der sich mehr Zeit und Mut fürs Experimentieren gewünscht hätte, wie es an der benachbarten Alfredstraße geschehe. Dort testet die Stadtverwaltung zunächst, ob und wie sich eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h auswirkt, bevor Fakten geschaffen werden. Die Bedingungen sind allerdings weit unkomplizierter.
Für Ärger sorgt besonders die Tatsache, dass auf der künftigen Fahrradstraße weiterhin viele Autos fahren werden - derzeit sind es laut Fliß im Schnitt 9000 innerhalb eines gesamten Tages. „Jeder Fachmann sagt, dass das nicht funktionieren kann“, so Fliß, der auf der nahezu gesamten Länge der Rüttenscheider Straße lieber ein System von Einbahnstraßen gesehen hätte, das nur Radfahrern auf speziell abgetrennten Radwegen freie Fahrt in beiden Richtungen hätte gewähren sollen.
Die Rü als Einbahnstraße für Autos, wie es die Grünen wollen, war technisch und politisch nicht umsetzbar
Eine Idee, die Verkehrsgutachter wegen des vielfach zu schmalen Straßenquerschnitts jedoch als technisch nicht umsetzbar bewerteten. Die Einbahnstraße war aber auch deshalb kein Thema, weil CDU und SPD wie auch der Interessengemeinschaft Rüttenscheid (IGR) die dann unvermeidliche Benachteiligung der Rüttenscheider Autofahrer und der Anlieferer für Geschäfte und Gastronomien viel zu weit ging. Verworfen wurde aus ähnlichen Gründen auch, die direkte Einfahrt in den zentralen Teil der „Rü“ für Autos durch Abbiegezwänge zu erschweren, was immerhin ein Wunsch der Stadtverwaltung war.
Das ändere aber nichts daran, dass die Radfahrer künftig faktisch das Tempo auf der gesamten Rüttenscheider Straße von Bredeney bis zur Huyssenallee bestimmten und beispielsweise auch nebeneinander fahren dürften, sagt IGR-Vorsitzender Rolf Krane. Er wirft den Grünen vor, die Vorteile für die Radfahrer bewusst kleinzureden. „Ich sehe in dieser Kompromisslosigkeit eine undemokratische Grundhaltung“, so Krane. Und: „Bei aller Bereitschaft Millionen für den Radverkehr in Essen auszugeben, muss man sehen, dass es auch noch andere Gruppen mit berechtigten und für Essen wichtigen Interessen gibt.“
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Einige Grüne würden angesichts des Bürger-Unmuts so tun, als hätten sie nichts damit zu schaffen, dass für den Umbau der Rü eben auch Bäume fallen müssen, ärgert sich Krane. Ihm zufolge hätte die Säge in jedem Fall In Aktion treten müssen, um Platz zu schaffen für die Flächen, die Radfahrern es ermöglichen sollen, sich an roten Ampeln vor die Autos zu stellen. Falsch, sagt Fliß, und verweist wieder auf die Einbahnstraßen-Idee, bei der alle Bäume hätten stehen bleiben können, was aber – siehe oben – schon technisch offenbar nicht möglich war.
Es ist eben alles ziemlich kompliziert in Rüttenscheid.
Und es gibt weitere Misshelligkeiten. So sind viele Radfahrer erbost darüber, dass sie künftig im Südteil der Rüttenscheider Straße die Fahrbahn benutzen müssen. Der dortige kombinierte Rad-Gehweg, der stets für reichlich Konflikte sorgte, wird aufgehoben und exklusiv den Fußgängern zugeschlagen. Rechtlich ist es nicht zulässig, eine Fahrradstraße auszuweisen und direkt daneben einen Radweg zuzulassen. „Die Fußgänger scheinen den Grünen gleichgültig zu sein“, so Krane spitz.
Künftig müssen sich Radfahrer, Autofahrer und Lkw-Fahrer auf der Fahrbahn arrangieren
Rolf Fliß argumentiert indes so: Da die Fahrradstraße wegen der zu zahlreichen Autos zu viele Gefahren berge, sei es fatal, dass nun auch der Radstreifen auf dem Gehweg entfalle. Tatsächlich vermag man sich nur schwer vorzustellen, wie künftig auf der Fahrbahn das Miteinander von Rädern, Autos und Lkws im Ladevorgang konfliktfrei funktionieren soll.
„Dann hätte man die Fahrradstraße nicht fordern und in Auftrag geben dürfen“, so wiederum Krane. „Die Grünen haben etwas auf den Weg gebracht und wollen jetzt, wo auch ein Preis gezahlt werden muss, nicht dazu stehen, sondern schieben den anderen Parteien den schwarzen Peter zu.“
Festzuhalten bleibt: Die Rüttenscheider Straße ist wegen des knappen Straßenraums und der allseits selbstbewusst vorgetragenen Ansprüche vieler Nutzer kein leichtes Pflaster für größere Umbauten. Neben Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern sind auch noch die vielen Gastronomien mit ihren Außen-Tischen zu berücksichtigen. Folge: Am Rüttenscheider Stern etwa wird es an einigen Stellen enger für Fußgänger und Gastronomiegäste.
Baustellen sind für die „Rü“-Geschäfte nach Corona eine weitere Belastungsprobe
Und die Zeit drängt. Schon bis Ende September soll alles umgesetzt sein, dieses Datum ist mit der Deutschen Umwelthilfe in einem Vertrag festgelegt, der die Kommunalpolitik in starkem Maße bindet, manche sagen auch entmachtet. Die Baustellen führen zu erheblichen Zufahrtsbeschränkungen, IGR-Chef Rolf Krane befürchtet nach Corona für die Geschäfte eine weitere schwere Belastungsprobe.
Folgende größere Umbauten sind geplant:
- An den großen Kreuzungen am Stern und an der Martinstraße soll es an den Ampeln bis zu fünf Meter große Aufstellbereiche für Radfahrer geben, damit diese sich vor die Autos stellen können. Dazu müssen die Fahrbahnen breiter werden, was erhebliche Umbauten auch der Gehwege bedeutet. Es fallen außerdem 16 Parkplätze weg.
- An der südlichen Rüttenscheider Straße soll der optisch abgegrenzte rote Fahrradstreifen zumindest an den Einmündungen zu den Querstraßen durch einen neutralen Belag ersetzt werden, um klarzumachen, dass hier kein Radweg mehr ist. Das sind rund 30 kleine Baustellen. Diese Maßnahme war zunächst in der ersten Baukostenschätzung unberücksichtigt.
- Die Rüttenscheider Straße wird komplett zur Vorfahrtsstraße, damit Radfahrer schnell vorankommen. Derzeit gilt fast überall rechts vor links.
- Die Fahrbahn erhält zahlreiche Piktogramme, um allen Verkehrsteilnehmern zu verdeutlichen, dass sie sich auf einer Fahrradstraße bewegen.
Baudezernentin Simons Raskob teilt nach eigenen Angaben die Skepsis nicht, die vor allem die Grünen zur Fahrradstraße verbreiten, und plädiert dafür, nun erst einmal zu schauen, wie sich die Umbauten auswirken. „Falls sich nach einer gewissen Zeit herausstellen sollte, dass weiterhin zu viele Autos dort fahren, können wir gegensteuern.“ Sprich: Dann kann es richtig unangenehm werden für diejenigen, die in Rüttenscheid Auto fahren wollen oder müssen.
Vertrag mit der Umwelthilfe
Um den Fahrverboten für Diesel-Fahrzeuge zu entgehen, hat die Stadt Essen vor dem Verwaltungsgericht einen Vertrag mit der Deutschen Umwelthilfe geschlossen: Er sieht unter anderem eine Erhöhung des Anteils des Fahrradverkehrs zu Lasten des Autoverkehrs vor. Die Fahrradstraße in Rüttenscheid ist dazu eines von mehreren Vorhaben.
Hintergrund sind zu hohe Schadstoffwerte an Essener Messstellen, die sich zuletzt aber auch ohne Restriktionen im Normbereich bewegten.