Essen. Die Stadt Essen will den Durchgangsverkehr von der Rüttenscheider Straße zugunsten des Radverkehrs verbannen. Der Einzelhandel ist alarmiert.
Auf keiner anderen Straße in Essen sind wohl mehr Radfahrer unterwegs als auf der Rüttenscheider Straße. Und doch ist das Radeln auf der beliebten Einkaufs- und Flaniermeile häufig alles andere als ein Vergnügen. Im Berufsverkehr macht der dichte Verkehr ein schnelles Vorwärtskommen unmöglich. Die Stadt Essen möchte das ändern, in dem sie Fahrradfahrern Vorrang einräumt und den Durchgangsverkehr verbannt. Ungeteilten Applaus gibt es dafür nicht. In Gegenteil. Die Interessengemeinschaft Rüttenscheid (IGR) warnt vor „Kollateralschäden“ zu Lasten von Einzelhändlern und Anwohnern.
Geht es nach dem Vorschlag der Verwaltung, dann wird die Rüttenscheider Straße zu einer zentralen Verkehrsachse für den Radverkehr in Nord-Süd-Richtung. Die „Rü“ soll deshalb zur Fahrradstraße werden. Das heißt: Radfahrer dürfen nebeneinander fahren, ihrer Geschwindigkeit müssen sich Autofahrer anpassen. Mehr noch: Da es sich um ein Projekt aus dem Bundesprogramm „Lead City“ für saubere Luft handelt, würde die Rüttenscheider Straße zur Vorfahrtsstraße. Die Stadt drückt in Sachen Radverkehr buchstäblich aufs Tempo.
Nur Radfahrer und Lieferverkehr dürfen geradeaus fahren
Damit es auf der „Rü“ schneller voran geht, soll der Durchgangsverkehr allen voran auf die Alfredstraße geleitet werden. Wie, ist allerdings umstritten. Die Verwaltung schlägt vor, dass der motorisierte Verkehr in Fahrtrichtung Bredeney am Rüttenscheider Stern nur noch nach links oder rechts abbiegen darf. Weiter geradeaus fahren dürften nur Radfahrer und der Anlieferverkehr. In Fahrtrichtung Innenstadt wäre für motorisierte Verkehrsteilnehmer an der Martinstraße Schluss; nur Fahrradfahrer und Lieferfahrzeuge dürften weiter die Rü entlang fahren, alle anderen müssten nach links oder rechts abbiegen.
Aus Sicht der Verwaltung handelt es sich bei dem Vorschlag um einen tragfähigen Kompromiss. Wohl wissend, dass eine Einbahnstraßenregelung auf der Rüttenscheider Straße politisch kaum durchsetzbar sein dürfte. Eine solche Regelung, von der Radfahrer ausgenommen wären, würden die Radfahrverbände bevorzugen. Für den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) ist ein Abbiege-Gebot am Stern und an der Martinstraße deshalb allenfalls die zweitbeste Lösung. Denn: „Es wird sich nicht jeder daran halten“, fürchtet ADFC-Sprecher Mirko Sehnke. Deshalb betrachtet der ADFC das Konzept der Verwaltung mit Skepsis. Erforderlich seien zudem mehr Abstellplätze, auch für Lastenräder. Sicherzustellen sei, dass Straßeneinmündungen gut einsehbar sind.
Der Radstreifen auf dem Bürgersteig soll wegfallen und so Platz für Fußgänger schaffen
Rolf Krane, Vorsitzender Interessengemeinschaft Rüttenscheid (IGR) treiben andere Sorgen um: Durch das von der Verwaltung favorisierte Abbiege-Gebot würde der Verkehr nicht nur auf die hochbelastete Alfredstraße gedrängt, sondern auch in Nebenstraßen. Die Folge sei nicht weniger, sondern mehr Verkehr auf den Straßen. „Für die Bewohner dort wird das zum Problem.“ Schlimmer noch aus Sicht der IGR: „Sie leiten ja nicht nur den Durchgangsverkehr um, sondern auch alle anderen Autofahrer.“ Leidtragende wären die Einzelhändler zwischen Stern und Martinstraße. Rückendeckung erhält die Interessengemeinschaft vom Einzelhandelsverband: Er könne nur davor warnen, einen Stadtteil mit einem funktionierenden Einzelhandel zu gefährden, sagt Hauptgeschäftsführer Marc Heistermann.
Stadt will Radverkehrsanteil erhöhen
Mit der Ausweisung der Rüttenscheider Straße zur Fahrradstraße will die Stadt Essen einen weiteren Beitrag zur Förderung des Radverkehrs leisten, betont die Verwaltung. Erklärtes Ziel ist es, den Radverkehrsanteil bis zum Jahr 2035 auf 25 Prozent zu erhöhen. Stadtweit liegt der Anteil bei sieben Prozent, im Stadtbezirk II, zudem Rüttenscheid gehört, bei 13 Prozent.
Die Fahrradstraße ist zudem Bestandteil des Vergleichs von Stadt, Land und Deutscher Umwelthilfe zur Vermeidung von Fahrverboten. Mitte März soll der Bau- und Verkehrsausschuss entscheiden.
Doch auch die IGR kann dem Konzept der Stadt Positives abgewinnen: Der schmale rote Fahrradstreifen, der streckenweise auf dem Bürgersteig verläuft, würde auf der gesamten Rü wegfallen. „Für Fußgänger ist das ein Vorteil“, so Krane. Für Radfahrer, die gehofft hatten, weiterhin am Stau vorbei zu radeln, weil sie nicht darauf vertrauen, dass es auf der Rü künftig flotter vorangeht, mögen enttäuscht sein. Doch eine Fahrradstraße plus Radweg – das wäre auch aus Sicht der Stadt dann doch des Guten zuviel.