Essen. Luxusautos, teure Uhren und dann das aggressive Imponiergehabe: Clan-Experten sehen darin ein „charakteristisches Geschäftsmodell“.

Organisierte Kriminalität kennt keine Grenzen und hat keine Heimat. Die Russen mischen in diesem internationalen Genre kräftig mit, die Polen wie auch die Albaner, seit jeher die italienische und korsische Mafia. Und nicht zu vergessen die Deutschen. Aber wohl keine ethnische Gruppierung tritt dermaßen aggressiv und überheblich auf wie die kriminellen Mitglieder arabisch-kurdischer Clans. Sie legen eine demonstrative und oft demütigende Rohheit an den Tag, die selbst gestandene Ermittler irritiert. „Sie tun das, was wir sie haben machen lassen“, sagt ein erfahrener Zollfahnder. Ein leicht resignativer Unterton ist unüberhörbar.

Aberwitzig aufgemotzte Mercedes-Limousinen und italienische Sportwagen, schwere Jungs mit aufgepumpten Tattoo-Oberarmen und selbst ernannte Gangsta-Rapper mit tellergroßen Luxusuhren: Sie unternehmen scheinbar alles, um ihr groteskes Brutalo-Image zu kultivieren.

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Polizisten in der Clan-Hochburg Essen bekommen die in Familienclans weit verbreitete Verachtung des Rechtsstaates beinahe täglich zu spüren: in ständig neuen Formen von Respektlosigkeit und Einschüchterungsversuchen. Das Erschreckende an diesem Phänomen: Inzwischen wirken selbst Frauen und Mädchen daran mit.

Frau schreit Polizisten an: „Ihr seid Hunde in Uniform“

Ein aktuelles Beispiel aus dem Essener Polizeialltag: Es ist ein harmloses Vergehen, weshalb die beiden jungen Polizisten, eine Kommissarin und ein Kommissar, Anfang Juni mit dem Streifenwagen rausfahren müssen. Am Friedhof am Hallo, der das größte muslimische Gräberfeld der Stadt beheimatet, behindert ein schwarzer BMW andere Autofahrer. „Eigentlich eine Lappalie“, sagen die beiden Polizisten.

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Doch als sie am Einsatzort eintreffen, schlägt ihnen blanker Hass entgegen. Auf einem Handy-Video ist die verstörende Szene festgehalten. Die Frau mit dem schwarzen Tuch rastet aus, sie schreit und gestikuliert und schimpft. „Ihr seid Hunde in Uniform“, schreit sie. Und: „Ihr habt mein Leben gef***t, mach fertig und hau ab.“

Die Frau sei den Polizisten schon häufiger unangenehm aufgefallen, sie habe anscheinend gute Verbindungen zu einer Essener Clan-Größe. Die jungen Kommissare lassen sich nicht beirren und setzen auch in diesem Fall auf Null-Toleranz-Strategie. Als der Polizist die Diensthandschuhe anzieht und der Frau Entschlossenheit signalisiert, lenkt sie endlich ein. Als sie mit dem Wagen davonfährt, zeigt das 14 Jahre alte, ebenfalls aggressive Mädchen auf der Rückbank den Polizisten den gestreckten Mittelfinger.

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Das Besorgniserregende daran: Die Essener Polizei beobachtet immer häufiger, dass junge Clan-Frauen es in punkto Aggressivität den Männern gleich tun wollen. „Sie treten zum Beispiel in Tumultlagen feindseliger auf gegenüber Außenstehenden und werden dafür von jüngeren Männern entsprechend akzeptiert“, heißt es.

Drohungen: „Ich kenne dich, ich mache dich fertig“

Der Polizist aus der Innenstadt-Wache versieht seinen Dienst seit gut 30 Jahren. Beleidigungen, Bedrohungen und Widerstand gehörten inzwischen zum Alltag. Über die kriminellen Typen des Clan-Milieus sagt der Kommissar: „Wenn wir sie bei illegalen Autorennen anhalten, fordern wir sofort Verstärkung an.“ Aus den Wagen schallen ihm und seinen Kollegen dann Standard-Drohungen entgegen wie: „Wir sind fünf.“ Oder „Ich kenne dich, ich mach dich fertig.“

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Die Stimmung sei ständig aggressiv und dass die Clan-Leute das Gewaltmonopol ignorierten, werde deutlich artikuliert, berichtet der Polizist. Das Feindbild Polizei schweißt die Clan-Mitglieder eng zusammen. Binnen Minuten würden sie über Messenger-Dienste wie Whatsapp Dutzende Kumpel zusammentrommeln. Familie und Ehre verteidigen, das wirkt sofort. Nicht selten ziehen sie nur eine billige Show ab, bei der die Straße als Bühne dient. Doch die Botschaft an die Einsatzkräfte bleibt unmissverständlich klar. „Sie signalisieren uns: Wir lassen uns nichts gefallen, wir ziehen es durch!“, sagt der Polizist.

Clan-Experte spricht von einem „charakterischen Geschäftsmodell“

Der Clan-Experte und Islam-Wissenschaftler Mathias Rohe kennt dieses Phänomen bei Clans sehr genau: „Es ist ein charakteristisches Geschäftsmodell, durch gewaltbetontes und aggressiv-selbstbewusstes Imponiergehabe den öffentlichen Raum zu besetzen.“ Spektakuläre Straftaten und Drohungen sowie Beleidigungen gegen Vertreter von Polizei, Justiz und anderen Behörden verschaffe den Akteuren Ansehen – nicht zuletzt in der Gruppe der jungen Männer schlichten Gemüts und erst recht bei solchen „mit einer kurzen Zündschnur“.

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Traditionelle kriminelle Clan-Strukturen gebe es seit jeher etwa unter Italienern, diagnostiziert Mathias Rohe. Aber anders als diese wirkten die arabisch-kurdischen Clans nicht im Verborgenen. „Mediale Präsenz durch Rapper oder heroisierende Serien wie ‘4 Blocks’ stützten noch dieses Geschäftsmodell“, sagt der Clan-Experte.

Zu den prominentesten Beispielen zählt der Rapper Bushido, der offenbar mehr als zehn Jahre lang Verbindungen zum Abou-Chaker-Clan hatte und mit ihnen Geschäfte gemacht haben soll, ehe er sich im Streit von ihnen trennte. Bushidos neuer Beschützer soll nach einem Bericht der Berliner Zeitung BZ die Berliner Clan-Größe Ashraf Remmo sein. Als in Essen vor kurzem der Streit zweier Clans eskalierte, eilte Ashraf Remmo nach Essen. Bilder in sozialen Netzwerken zeigen ihn mit einem Essener Clan-Mitglied.

Momentan angesagt: die „Dubai Rolex“ mit Edelsteinen für 60.000 Euro

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Wer Macht demonstrieren will, prahlt gerne mit Luxus: mit PS-Boliden wie einem Lamborghini GT und sündhaft teuren Uhren. Insider wissen, wie das Milieu tickt: Die „Dubai Rolex“ mit arabischem Zifferblatt sei momentan absolut angesagt, der mit Edelsteinen besetzte Chronometer koste zwischen 50.000 und 60.000 Euro. Und wenn das nötige Kleingeld für solche Statussymbole fehlt? Dann darf es, so die Erkenntnis der Essener Ermittler, gerne auch gefälschte Designerware sein. „Betrug und Hochstapelei ist innerhalb der Clans verbreitet, es zählt der Schein nach außen“, heißt es in einer aktuellen Analyse über arabische Familienclans.

Sie nennen sich gerne Löwen und lieben die große Pose. In ihren Geschäftsräumen zeigen sie sich gerne mit riesigen Schwertern an der Wand und Fotos, die Marlon Brando in seiner berühmtesten Rolle zeigen: „Der Pate“. Eine Frau hat sich nach ihrem archaischen Weltbild dem Manne zu fügen. Wenn eine Polizistin sie bei einer Verkehrskontrolle auffordert die Fahrzeugpapiere auszuhändigen, passiert meistens dasselbe. „Sie verhalten sich arrogant, spöttisch, aggressiv, anzüglich oder sie flirten offensiv“, heißt es.

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Die junge Essener Kommissarin kennt solche Fälle: „Sie ignorieren mich und schauen mich nicht einmal an.“ Oft wird der Führerschein sogar auf den Boden geworfen, wenn eine Polizistin kontrolliert. Erfolgreich sind sie mit dieser Macho-Masche trotzdem nicht. Erst recht nicht, seitdem die neuerdings propagierte Null-Toleranz-Strategie zunehmend unerbittlicher umgesetzt und obendrein durch Vor-Ort-Staatsanwälte wie etwa in Duisburg und Essen flankiert wird. „Ich fühle mich mehr unterstützt“, sagt die Kommissarin.

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