Essen. Ruhr Museum beleuchtet das Verhältnis zwischen Mensch und Tier im Revier. 100 Exponate fügen sich zur Betrachtung einer langen Machtgeschichte.
Die Tierwelt im Ruhrgebiet, sie erschien lange als ziemlich übersichtliches Biotop: die Taube im Schlag, die Ziege im Garten, der Haushund auf der Fensterbank. Und seit das Grubenpferd Geschichte ist wie inzwischen auch der Bergbau, ist sogar noch eine gefährdete Spezies hinzugekommen: Das Heimchen hat keine Untertage-Heimat mehr. Verdrängt wie der Hakenwurm, der sich im Darm des Bergmanns wohl fühlte. So tierisch breitgefächert ist also das Spektrum, mit dem sich die Ausstellung „Mensch und Tier im Revier“ des Ruhr Museums beschäftigt.
Die Ausstellung ist auch erster Ausweis des 2015 gegründeten Arbeitskreises „Mensch und Tier im Ruhrgebiet“, dem sich inzwischen namhafte Kunst-, Industrie- und Naturkundemuseen im Ruhrgebiet unter der Maßgabe des „Animal-Turn“, der neuen Sicht auf das Verhältnis von Mensch und Tier, angeschlossen haben. In den kommenden drei Jahren wird es in Dortmund und Ratingen weitere vertiefende Ausstellungen zum Thema geben.
Endlich einmal mit den Tieren „auf Augenhöhe“ sein: Das funktioniert in dieser konzentrierten und komprimierten Schau ganz leicht mit den größtenteils vom Fotoclub „Wildes Ruhrgebiet“ aufgenommenen Porträts von Eichhörnchen, Wasserfrosch und Turmfalke. Der Fotoinszenierung stehen beispielsweise ein hölzernes Schaukelpferd, ein Mercator-Himmelsglobus mit Tierkreiszeichen oder eine Mausefalle mit Fallblöcken gegenüber. Denn die Schau in der 21-Meter-Ebene-Galerie des Ruhr-Museums beackert ein weites Feld, zeitlich und thematisch. Bringt archäologische Entdeckungen, Natur- und Ruhrgebietsgeschichte, Kuriositäten und weniger amüsante Wahrheiten über dieses Jahrtausende alte Mensch-Tier-Verhältnis zusammen.
Von der Labormaus bis zum Braunbär Max
Dass es eine Machtgeschichte ist, lässt diese ebenso kurzweilig wie interdisziplinär angelegte Schau keinen Moment aus dem Blick und hat somit nicht nur Streicheleinheiten für die von Klimanotstand und Insektensterben geschundene Besucherseele parat. Wie nahe „Tiere lieben“ und „Tiere töten“ schließlich beieinander liegen kann, dafür steht nicht nur die dicht arrangierte Ausstellungsarchitektur, die mit rund 100 Ausstellungsobjekten eine breite Übersicht über die veränderte Sichtweise, die unterschiedliche Nutzung sowie die religiöse und wissenschaftliche Bedeutung und manchmal auch über die Vermenschlichung des Tieres gibt: Von der goldenen Urne für Fußball-Orakel-Krake Paul, der bei der WM 2010 alle Spielausgänge der deutschen Nationalmannschaft richtig vorhersagte bis zur Hasenpfote als Glücksbringer. Von der Labormaus bis zum präparierten Braunbär Max, der 30 Jahre lang im Bochumer Tierpark zu den Besucherlieblingen gehörte .
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Die Tiere sind im Foto, im Film und als Objekt vertreten. Das Subjekt, der Mensch, betrachtet sie – und sieht sich selbst. Denn auch wenn die Ausstellung bei aller politischen Brisanz von Themen wie Fleischkonsum und Artensterben keine Position vorgeben will, macht die Schau bei näherem Hinsehen doch manches bewusst. „Man entwickelt zu vielen Themen eine andere Haltung“, sagt Ausstellungsmacherin Ulrike Stottrop, der am Ende sogar auf einem Bauernhof im Deilbachtal abgeholte Insektenklebefalle vor Augen führte, wie eigenmächtig wir über Leben und Tod von Lebewesen bestimmen. Und dass für das nostalgisch geadelte „Arschleder“ der Bergleute etliche Kalbshäute herhalten mussten, dass für die kostbare Pergamenthandschrift aus der Essener Münsterkirche sechs tierische Produkte von der Schweinehaut bis zur Gänsefeder benutzt wurden und Schweine bei der Hausschlachtung im 20. Jahrhundert manchmal vielleicht nicht weniger leidvoll gestorben sind, weil der Bolzen oft unzuverlässiger war als die Kohlendioxid-Betäubung, die heute nach Grünlicht und Panflötenmusik auf das Schlachtvieh wartet – von alledem erzählt die Schau im Vorbeigehen.
Wer tiefer eintauchen möchte in diesen Kosmos aus Tier hüten, opfern, idealisieren und vernichten, dem sei der exzellente Katalog angeraten, der viele der in der Schau nur angerissene Themen weiterführt. Und am Ende sogar erklärt, warum auch im Flohzirkus festgelegte Pausenzeiten gelten.