Essen. . Thomas Seidelmann ist einer der letzten Kohlenhändler im Ruhrgebiet. Wie er auch in Zukunft das Revier mit Kohle beliefern möchte.

Dieser Text handelt von einem fossilen Brennstoff. Eigentlich aber geht es um Liebe, Treue und ums Wohlfühlen. Deutschland verabschiedet sich von der Steinkohle, aber einer der letzten Kohlenhändler Essens macht weiter, noch Jahre, Jahrzehnte womöglich. „Wir hatten allein im letzten Jahr noch über 100 Kunden, die sich einen neuen Kohle-Ofen in ihre Keller haben einbauen lassen“, sagt Thomas Seidelmann.

Es ist sieben Uhr morgens, der 50-Jährige lenkt seinen tintenblauen Laster durch Kray, Nieselregen, sieben Grad, der Himmel ist aschfahl, es wird gerade hell.

Eine Welt, die nicht untergehen will

Wer mit Seidelmann die Region bereist und seine Kunden kennenlernt, erlebt eine Welt, die nicht untergehen will. Es geht zu Leuten, die unverdrossen auf die Kohle als Heizmaterial schwören.

Ein Bild aus einer vergangenen Zeit: Mit dem Presslufthammer löst der junge Bergmann 1952 auf Zeche Carl Funke die Kohle im Streb. Eine zehrende Arbeit.
Ein Bild aus einer vergangenen Zeit: Mit dem Presslufthammer löst der junge Bergmann 1952 auf Zeche Carl Funke die Kohle im Streb. Eine zehrende Arbeit. © Ruhr Museum

Von denen gibt es viel mehr, als man gemeinhin annimmt, mögen Gas, Öl oder Fernwärme auch bequemer sein, mögen die Verfechter der Energiewende auch die Kohle verteufeln.

Ehemalige Bergleute bekommen immer noch ihr „Deputat“

Das liegt nicht nur an den rund 3500 ehemaligen Bergleuten, die Seidelmann regelmäßig mit Heizmaterial versorgt. Sie erhalten das berühmte „Deputat“ von ihrem ehemaligen Arbeitgeber, der Ruhrkohle, und müssen entsprechend weniger zahlen.

Wer mit Seidelmann unterwegs ist, lernt Kohle-Fans kennen, die längst hätten umsteigen können, aber nicht wollen.

Gelsenkirchenerin schwört auf die Kohle

Der Laster hält schnaufend in Gelsenkirchen-Hassel, Doppelhaus-Hälften der 1920er Jahre, viele mit notdürftig verputzten Setzrissen. Es sind Bergbauschäden, ein später Gruß der verlassenen Stollen unter Tage. Doch Kundin Angelika Scholle (58) steht in plüschigen Hausschuhen vor ihrer Tür und sagt: „Kohle macht eine Wärme, die kriegen Sie mit Gas oder Öl nicht hin.“

Und noch viel wichtiger: „Meine Nachbarn sind in den letzten Jahren alle umgestiegen, jetzt haben die Schimmel in der Bude.“ Doch bei ihr sei es immer „muckelig warm. Ich hab’ eine Schildkröte, die macht keinen Winterschlaf, weil sie denkt, es ist immer Sommer.“

Anthrazitkohle kommt über eine Rutsche in den Keller

Seidelmann und sein Mitarbeiter Marcus Engel ziehen eine Alu-Rutsche aus dem Laster, legen das Gerät ins Kellerfenster des Hauses von Angelika Scholle, und dann jagt klirrend eine Tonne Anthrazitkohle hinein, kleine Brocken, man spricht von Nussgröße zwei.

Über eine Alu-Rutsche  befördert Marcus Engel die Anthrazitkohle in den Keller der Doppelhaushälfte in Gelsenkirchen-Hassel.
Über eine Alu-Rutsche befördert Marcus Engel die Anthrazitkohle in den Keller der Doppelhaushälfte in Gelsenkirchen-Hassel. © ANDRE HIRTZ

Sie kommen rasend schnell im Untergeschoss an, wo Scholles Lebensgefährte Jürgen Sochwira (60) mit einer gigantischen Schaufel mitten in den schwarzen Klumpen steht. „Bei uns in der Siedlung haben noch 70 Prozent der Leute Kohle. Und die wissen auch, warum.“ Sochwira hat eine Atemschutzmaske auf, trägt außerdem einen Papier-Anzug, gegen den Dreck, doch seine Liebe zum schwarzen Gold ist unerschütterlich: „Unser Opa ist 103 Jahre alt geworden“, berichtet Sochwira, „der hat sich mit 90 noch einen neuen Kohle-Ofen einbauen lassen.“

3000 Privatkunden bestellen ihre Kohle bei dem Familienunternehmen

Keine Viertelstunde dauert die Anlieferung, Angelika Scholle bezahlt in bar, gut 350 Euro für die Tonne, und ist hochzufrieden. „Damit kommen wir jetzt erst mal wieder ‘ne Zeit lang hin.“

Das Familienunternehmen Seidelmann, tätig in vierter Generation, verzeichnet rund 3000 Privatkunden, plus die ehemaligen Bergleute. Es sind noch mehr ganz einfache Gründe, die die Leute bei der Stange halten, beziehungsweise an der Kohle: „Viele scheuen die Investitionen in eine Umstellung“, sagt Thomas Seidelmann. „Sie müssen sich ja erst die Anschlüsse legen lassen, da sind gut und gerne 10 000 Euro fällig.“ Das könne sich nicht jeder leisten, schon gar nicht im Alter.“

Die nächste Station: Ein Gastarbeiter der ersten Stunde

Die Rundreise Seidelmanns an diesem Morgen ist auch eine Tour zu den Gastarbeitern der ersten Generation: An der Stadtgrenze Essen/Gelsenkirchen wohnt Eduardo Lucena, 81 Jahre alt. 1962 kam er aus Spanien, fing auf Zeche Consol in Gelsenkirchen an.

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Jetzt steht er im Nieselregen und empfängt sanft lächelnd Seidelmanns Laster. „Was Besseres als Kohle gibt es nicht.“ Wieder rutscht eine Ladung Anthrazitkohle in hoher Geschwindigkeit durch eine Luke in den Keller, auch Lucena zahlt am Ende bar, mit Scheinen, die er vorher sorgfältig gefaltet in einen Briefumschlag gesteckt hat. Um mal ein abgedroschenes Wortspiel zu wagen: Kohle gegen Kohle. Handfester Handel, alles wie früher, wie immer.

Kohle kommt aus der ganzen Welt ins Revier

Dabei haben sich Dinge durchaus längst geändert. Dass die Ruhrkohle die beiden letzten Bergwerke Prosper Haniel und Ibbenbühren schließt – die Kunden werden’s nicht merken: Die Eierkohlen von Thomas Seidelmann kommen schon jetzt aus Wales, Großbritannien. Und das ist nur ein Beispiel.

Früher waren  Kohlehaufen auf der Straße ein vertrautes Bild, reingeschippt haben die Kunden selbst oder die Rutsche kam zum Einsatz. Das Bild ist seltener geworden, aber ganz verschwunden ist es keineswegs.
Früher waren Kohlehaufen auf der Straße ein vertrautes Bild, reingeschippt haben die Kunden selbst oder die Rutsche kam zum Einsatz. Das Bild ist seltener geworden, aber ganz verschwunden ist es keineswegs. © ANDRE HIRTZ

Die Firma hat Kohle auf ihrem Lagerplatz, die aus Tschechien kommt, aus Kolumbien, aus Vietnam, aus Sibirien. Und ja, auch Ibbenbühren sei dabei, „da haben wir noch zwei Jahre gesicherte Lieferungen“, sagt Seidelmann.

Ware aus dem Ausland ist billiger – die Qualität gleich

Doch die Ware aus dem Ausland sei eben viel billiger – bei gleicher Qualität: „Da steckt ja überall deutsches Know-How in den Bergwerken“, sagt Wilhelm Seidelmann (54), Thomas’ älterer Bruder. „Die werden noch Jahrzehnte liefern, das wissen wir.“

Und dass moderne Kohle-Öfen in den Kellern heute noch Dreck machen, stimme einfach nicht: „Das ist genau so sauber wie bei anderen Energie-Trägern, das würden sonst die Schornsteinfeger nicht mitmachen. Die Vorschriften gelten schließlich für alle.“ Holz-Pellets? „Machen viel Feinstaub.“ Erdgas? „Denken Sie mal an Fracking, was für eine Sauerei.“

Junge Handwerksbetriebe entdecken die Kohle für sich

Und so fahren Seidelmanns acht blaue Laster vom Firmensitz in Steele weiter durch die Region, durch ganz Deutschland, die Zahl der Kunden bleibe gleich. Wo alte Bergleute sich für immer verabschieden, da wachsen neue Kunden nach: „Auch viele junge Handwerksbetriebe schwören auf Kohle, selbst in neuen Gebäuden.“

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Und das, was anderen Händlern zu schaffen macht – das Internet, der Online-Handel –, spiele bei der Kohle so gut wie keine Rolle. Seidelmann sagt: „Klar können Sie Kohle auch online bestellen. Doch das machen die Leute einmal und dann nie wieder. Sie wissen nie, was Sie bekommen. Kohle brennt nicht gleich gut.“

Es gab mal einen Werbespruch für das Waschmittel Persil, der hieß: „Da weiß man, was man hat.“ Er könnte gut und gerne auch für die Kohle gelten. Gestern, heute, und morgen wahrscheinlich immer noch.

Ein aussterbender Beruf: Kohlenhändler im Ruhrgebiet

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