Essen. . Der türkeistämmige Politologe Burak Copur warnt vor einer Spaltung der türkischen Community, auch in Essen. Inzwischen kennt ihn selbst Erdogan.

Burak Copur ist in diesen Tagen ein gefragter Gesprächspartner. Der Politikwissenschaftler, der für die Grünen im Rat der Stadt saß, forscht im Institut für Turkistik an der Universität-Duisburg Essen und ist ein ausgewiesener Türkei-Experte. Das Land am Bosporus steht am 16. April vor einer richtungsweisenden Entscheidung. Dann stimmen die Türken in einem Referendum darüber ab, ob sie noch mehr Macht in die Hände von Staatspräsident Recep Erdogan legen wollen. Kritiker sagen, die Türkei sei auf dem Weg in eine Autokratie. Längst geht ein Riss durch die türkische Gesellschaft und auch durch die hier lebenden türkeistämmigen Migranten.

Der Essener Politikwissenschaftler Burak Copur vertritt eine kritische Haltung zur Politik Erdogans.
Der Essener Politikwissenschaftler Burak Copur vertritt eine kritische Haltung zur Politik Erdogans. © imago

Burak Copur hat dazu eine klare Meinung. Die Bild-Zeitung, der er jüngst ein Interview gegeben hatte, titelte ihren Bericht mit einem Zitat: „Atatürk hätte mit Nein gestimmt“. Der legendenumwobene Staatsgründer der Türkei sei zwar autoritär gewesen, aber nicht totalitär. Eine Provokation für viele, die es mit Erdogan halten und dennoch den religionsfernen Atatürk verehren. Erdogan griff das Boulevardblatt daraufhin scharf an. Wann hat ein Politikwissenschaftler einen Staatspräsidenten mit einem einzigen Interview schon mal so weit gebracht?

Copur macht sich unter Migranten keine Freunde

Im Gespräch klingt durch, dass Copur sich auch unter türkischen Migranten damit keine Freunde gemacht hat. Weder bei den Anhängern von Erdogans nationalistischer AKP, noch bei kurdischstämmigen Migranten. Für ihn ein Beleg dafür, wie aufgeheizt die Stimmung ist. „Erdogan gießt Öl ins Feuer, in dem er die türkeistämmige Gesellschaft in Deutschland in Ja-Sager und Nein-Sager spaltet.“

Als Wissenschaftler ist Copur es gewohnt, Dinge aus der Distanz zu beobachten und scharf zu analysieren. Diesmal liegen die Dinge anders. Copur stammt aus der Türkei, als er drei Jahre alt war, kam er mit seinen Eltern ins Ruhrgebiet. Copur besitzt den deutschen Pass, den türkischen nicht, und doch ist er Teil türkeistämmigen Community. Eben deshalb werden sie dort genau hinhören, was er zu sagen hat.

Situation scheint bedrohlicher als viele glauben

„Wenn Erdogan es auch hierzulande schafft, kritische Geister mundtot zu machen, dann hat er gewonnen“, sagt Copur. Deshalb will er nicht schweigen. Die aktuelle Situation, wie er sie beschreibt, scheint bedrohlich – bedrohlicher als es sich so mancher wird vorstellen wollen. „Wir sitzen auf einem Pulverfass“, sagt der Wissenschaftler und meint damit nicht allein die Lage in der Türkei.

Copur hält es nicht für ausgeschlossen, dass der Konflikt zwischen Anhängern und Gegnern Erdogans eskaliert, auch in Deutschland, ganz gleich wie das Referendum ausgehen mag. „Da ist enormer Druck im Kessel.“ Mit einer Niederlage werde sich Erdogan nicht einfach abfinden.

Der Ausgang des Referendums sei völlig offen. 2015, bei den Wahlen zum türkischen Parlament, stimmten in Deutschland 60 Prozent der Migranten für Erdogans AKP. Allerdings hatten nur 40 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.

Erdogan-Anhänger aus zweiter und dritter Generation stimmen Politologen bedenklich

Dass Erdogan gerade unter hier lebenden Migranten der zweiten und dritten Generation viele Anhänger hat, stimmt Copur bedenklich. Eine Erklärung dafür hat der Politikwissenschaftler aber parat: „Viele identifizieren sich mit ihm weil er selbst von ganz unten kommt und sich gegen das Establishment durchgesetzt hat.“ In ihren Augen zeige Erdogan es Europa, auch Deutschland, das viele für ihre angeblich missliche Lage verantwortlich machten.

Was folgert für Copur daraus? Wie immer sich die Türkei entscheiden wird: „Man darf die Integration nicht dem Zufall überlassen. Wir müssen hier klotzen statt kleckern.“ Und: „Die Politiker müssen versuchen, die Herzen der hier lebenden Türkeistämmigen zu gewinnen, sonst verlieren wir einen Teil der türkischen Community.“