Essen. . Der Journalist und Autor Can Dündar spricht zum Auftakt der Literatürk-Lesereihe über seine Zeit im Gefängnis und die Zukunft der Türkei.

Als Can Dündar das letzte Mal im Herbst 2015 in Essen gelesen hat, wurde er kurze Zeit später in seiner türkischen Heimat verhaftet. Zeugnis seiner 92-tägigen Haftzeit ist das Buch „Lebenslang für die Wahrheit“, das er am Montag zum Auftakt des 12. Literatürk Festivals in der Lichtburg vorstellte. Einer der selten Auftritte des gerade für den Sacharow-Preis nominierten Autoren.

Strenge Eingangs-Kontrollen und starke Polizeipräsenz

Was diesmal passieren würde, wenn der Erdogan-Kritiker und Enthüllungsjournalist, der erst im Frühjahr knapp einem Attentat entgangen war, zur Lesung nach Essen kommen würde, war nicht abzusehen. Strenge Eingangs-Kontrollen und starke Polizeipräsenz kündeten von der Brisanz dieser Lesung. Doch Provokationen und Störungen blieben aus. Fast schon symbolisch stand der fast ausverkaufte, vor allem von vielen türkischstämmigem Gästen besuchte Kinosaal bei Dündars Ankunft auf.

Keine weitere Dramatik, aber eine etwas straffere Dramaturgie hätte man dem Abend dann doch gewünscht, beim Ablauf wie auch bei der Moderation. Dündar, dieser unerschrockene, freundlich-grauhaarigen Herr, ist natürlich ein talentierter Erzähler, der von der kargen Einrichtung seines Zelle so farbig berichtet wie von seinem Protest durch laute Musik.

Die kritische Stimme soll auch aus dem Exil gehört werden

Doch waren nicht wenige gekommen, um von Dündar vor allem etwas zum Putsch in der Türkei und der Gleichschaltung der Medien zu hören. Fast 2000 Journalisten seien nach dem Putsch arbeitslos geworden, sagt Dündar, wie die vielen Lehrer, Richter, Beamte. Statt einer Militärregierung habe man nun einen Polizeistaat, beklagt der 55-Jährige, der während des Putsches außer Landes war und seither im Exil lebt. Bei aller Besorgnis blitzt auch immer wieder leise Ironie auf, wenn Dündar aus dem Brief an seine Wärter zitiert. Ein „Dankesschreiben“ – für ungeahnte Publicity und weltweite Textanfragen von „Spiegel“ bis „Washington Post“. Seine kritische Stimme will Dündar auch in Zukunft erheben – und von Deutschland aus eine „mediale Alternative“ aufbauen zu verstummten, kritischen Kollegen in der Türkei. Die Europäer will er im Kampf um die westlichen Werte dabei nicht aus der Verantwortung entlassen. Eine laizistische Türkei zu verlieren, sei angesichts der politischen Lage ein Verlust für die ganze Welt, warnt er: „Europa muss auf der richtigen Seite stehen!“