Essen-Altenessen. . Die Altenessener Straße war Teil einer alten Handelsroute und ein Grund für den Aufschwung im 19. Jahrhundert. Schnell ging es aber auch bergab.
Dichter Verkehr, gravierende Müllprobleme, viele Leerstände: Die Altenessener Straße gilt nicht gerade als Juwel. Dabei ist sie für die Geschichte Essens von großer Bedeutung und prägte die Entwicklung zur Großstadt entscheidend mit.
Das weiß kaum jemand besser als der Historiker Christoph Wilmer, der in Altenessen aufgewachsen ist und bis heute am Schlusenkamp lebt. „Altenessen ist heute ein Stadtteil mit vielen Problemen, da gibt es nichts schön zu reden. Das liegt in seinem rasanten Wachstum und dem ebenso raschen Strukturwandel mit der Schließung der Zechen begründet, von denen wir allein in Altenessen sieben hatten“, sagt der 58-Jährige.
Altenessener Bürger verklagten preußischen Staat
Die Altenessener Straße selbst ist einer der Gründe für den Aufschwung des Stadtteils im 19. Jahrhundert: „Die Altenessener war damals die wichtigste Verbindung für die Kaufleute nach Norden“, erklärt Christoph Wilmer. Ärgerlich für die damals noch eigenständigen und vielfach als Bauern tätigen Altenessener war, dass sie selbst für den Unterhalt der Straße aufkommen mussten.
„Das wollten sich die wehrhaften Altenessener irgendwann nicht länger gefallen lassen und verklagten 1840 den preußischen Staat – mit Erfolg. Wenig später wurde die Straße ordentlich gepflastert“, weiß Wilmer.
Der älteste Bahnhof der Stadt
Der zentrale Standort, vor allem aber die Bodenschätze, sorgten wenig später für Goldgräberstimmung rund um die Altenessener Straße: Vor 170 Jahren, am 15. Mai 1847, eröffnete die Cöln-Mindener Eisenbahngesellschaft den ersten Essener Bahnhof in Altenessen, der damit 15 Jahre älter als der Hauptbahnhof ist. „Noch in meiner Kindheit wurde er als Fernreisebahnhof genutzt, konnte man von Altenessen aus mit dem Hellas-Express bis nach Athen fahren, auch der Paris-Warschau- und der Oberstdorf-Express fuhren hier ab“, erinnert sich Christoph Wilmer an das große Fernweh in der Nachkriegszeit.
Viele Hotels und Gaststätten waren schon lange vorher rund um den Bahnhof entstanden. „Die Viehhändler und Bergleute brachten ihren Lohn direkt dorthin“, erklärt Wilmer den gut funktionierenden Wirtschaftskreislauf. Altenessen war förmlich explodiert: Binnen 60 Jahren wuchs die Bevölkerungszahl von 1111 Einwohnern auf 45 000 im Jahr 1914 an.
450 000 Schweine wurden in Altenessen abgefertigt
Neben dem Bahnhof und den umliegenden Zechen war Schlachtvieh zentrale Einnahmequelle der florierenden Gemeinde: Viele alteingesessene Viehhändlerfamilien nutzten mit dem Bau des Bahnhofs die Gunst der Stunde und errichteten den Schweinemarkt – mit wachsendem Erfolg: 1897 wurden 450 000 Schweine von Altenessen aus abgefertigt. Die zeitweise katastrophalen hygienischen Zustände hatten zur Folge, dass 1902 ein öffentlicher Schlachthof an der Altenessener Straße, Ecke Palmbuschweg, entstand.
Die Altenessener Straße
Steinerner Zeitzeuge dieser einst florierenden Branche ist heute der ehemalige Molkereibetrieb, der schon seit der Jahrtausendwende leer steht. „Für den Schweinemarkt ist ja zum Glück ein Investor gefunden, es ist schön, wenn sich am Bahnhof endlich etwas tut“, sagt Wilmer, auch mit Blick auf den Leerstand dort.
Für ihn ist Altenessen eine Herzensangelegenheit. Führt der Historiker beruflich Touristen durch Städte wie Trier und Liverpool, sind die Führungen durch Altenessen für ihn eben ein Heimspiel mit jeder Menge Lokalstolz. „Das Rathaus etwa“, sagt er, „ist bis heute ein Symbol für die Eigenständigkeit Altenessens vor seiner Eingemeindung im Jahr 1915. Der ursprünglich im Jahr 1873 errichtete, wilhelminische Prachtbau wurde leider im Krieg zerstört und danach als typischer Zweckbau wieder aufgebaut“.
Vorzeichen der Großstadt
Auch mit dem Kaiser-Wilhelm-Park und mit dem Bau des heutigen Leibniz-Gymnasiums habe Altenessen damals großstädtisches Leben beweisen und fördern wollen. „Bis heute sind die Preise für Wohnen in diesem Umfeld am höchsten“, erklärt Wilmer. Dabei lassen sich noch mehr Brücken in die Gegenwart schlagen: Mit dem Bau der noch immer erhaltenen Kirchen St. Johann Baptist 1862 und der Herz-Jesu 1891 entstand auch das bürgerliche Leben an der Altenessener Straße.
„Bis heute ist dieser Bereich der Altenessener Straße Treffpunkt für die Bürger im Stadtteil, vor allem seit 1973 dort das Alleecenter entstanden ist“, sagt Wilmer, der dankbar ist, dass die damals grassierende Stadtteilsanierung in Altenessen nicht umgesetzt wurde. „Stattdessen wurde die Wilhelm-Nieswandt-Allee gebaut, um die Altenessener Straße zu entlasten und die Aufenthaltsqualität zu steigern, was ja auch gut funktioniert hat.“
Großer Einsatz für Altenessen
Bei allem Wissen um die Geschichte und ihre Folgen weiß Wilmer, dass die Herausforderungen rund um die Altenessener Straße nicht kleiner werden. „Aber es gibt viele Menschen“, ist der Historiker zuversichtlich, „die sich für den Stadtteil einsetzen und die Probleme gemeinsam anpacken wollen“.
Zu einstiger Pracht wird die Altenessener Straße wohl nicht zurückfinden – vielleicht bieten Investitionen wie jene am Schweinemarkt aber die Chance, sich ein Stück weit neu zu erfinden.