Essen. .
Ein 14-Jähriger, der eine Firma leitet - das war Anfang des 19. Jahrhunderts weniger exotisch als es heute scheint. Ehe das Eisenbahn-Massengeschäft den Durchbruch bringt, muss Alfred Krupp lange kämpfen.
Man starb früh damals, übernahm als Erbe folglich auch früh Verantwortung, und ausgedehnte Jugend ist ohnehin ein Phänomen späterer Zeiten. Als Firmengründer Friedrich Krupp 1826 verarmt stirbt, blieben der Witwe und den vier Kindern nur zwei Möglichkeiten: entweder das Unternehmen zu liquidieren und das Scheitern zu akzeptieren; oder auf den immerhin vorhandenen Grundlagen aufzubauen.
Alfred, der älteste, verlässt die Schule und geht mit zäher Verbissenheit und einigen verbliebenen Arbeitern ans Werk. Obwohl die Krupps tief gesunken sind, stehen die verwandten und verschwägerten Essener Kaufmannsfamilien ihm mit Rat und vor allem Geld zur Seite. Trotz seiner jungen Jahre ist Alfred aus anderem Holz geschnitzt als der Vater. Man muss ihn sich als ernsten Jüngling mit hoher Arbeitsdisziplin vorstellen. Die Lehre, die er aus den vorangegangenen Problemen zieht, ist die, sich realistische Ziele zu setzen. Im Gegensatz zum Vater fehlt ihm ein gewinnendes Wesen, was die Geschäfte nicht immer erleichtert. Doch sein Durchstehvermögen, seine technische Besessenheit und der Wille zur Qualität lassen die Firma die harten Jahre bis zur endgültigen Konsolidierung überstehen.
Krupps größtes Problem sind der Mangel an Wachstumsprodukten und das fehlende Massengeschäft. Seine Werkzeuge, einmal gekauft, halten lange, und die Spezialwalzen für Münzen, Bestecke und Blechwaren sind teuer, ebenfalls langlebig und finden nur wenig Abnehmer. Der junge Krupp muss Klinken putzen und reisen, muss den Markt, den er für den unvergleichlich belastbaren Gussstahl zu sehen glaubt, erst schaffen. Mit einigem Erfolg. Unter Goldschmieden, Uhrmachern, Feinmechanikern bekommt der Name Krupp langsam einen guten Klang. 1834 beschäftigt das Unternehmen immerhin 45 Arbeiter, und es geht weiter bergauf. Hilfe erhält Alfred von seinen zwei technisch ebenfalls hochbegabten Brüdern, die Mutter - nominell Eigentümerin - erledigt den Haushalt.
Schon früh sucht Alfred Krupp die Nähe des Staates, in dessen Interesse - so glaubt er - es doch liegen müsste, ein Unternehmen wie seines zu unterstützen. Freihandel und Liberalismus, Ideen also, die viele Wirtschaftsbürger Mitte des 19. Jahrhunderts elektrisieren, lassen ihn kalt. Das gilt sowohl wirtschaftlich wie in der Politik, einer Sphäre, der er zutiefst misstraut und die er für Zeitverschwendung hält.
Arbeiter, die er in Verdacht hat, politisch tätig zu sein, können nicht auf eine lange Zugehörigkeit zur Firma hoffen. Wer sich aber seinem Willen unterwirft und den „Herr im Hause“-Standpunkt akzeptiert, wer treu dabei bleibt, Wille zu Qualifizierung und Leistung zeigt, kann im Gegenzug auch in schlechten Zeiten mit seiner Treue rechnen. „Sie sollen einen außergewöhnlich guten Lohn im Vergleich gegen andere Arbeiter an demselben Orte verdienen, sie sollen an die Fabrik gekettet sein durch Neigung und Interesse“,schreibt Alfred Krupp im Jahre 1844. Der „Kruppianer“ als Sinnbild einer verschworenen Werksgemeinschaft, an der die klassenkämpferischen Konflikte der Epoche vorbeigehen oder doch an Schärfe verlieren, ist in diesem Satz bereits als Konzept geboren.
Verachtete Revolution
Das Buhlen um direkte, auch finanzielle Gunst des Staates bleibt vergeblich. Doch nach dem Scheitern der von Krupp verachteten Revolution von 1848 setzt ein Aufschwung ein, den der Staat durch Förderung eines neuen Transportmittels massiv unterstützt: der Eisenbahn. Krupp wiederum kann wie nur wenige andere den zunächst noch privaten Eisenbahngesellschaften Lösungen für ihre Probleme anbieten: zunächst Federn und Achsen aus Gussstahl, die nicht mehr brechen und damit die Unfallhäufigkeit senken. 1849 erhält die Firma einen ersten Großauftrag der Köln-Mindener Eisenbahn, deren Trasse einige Kilometer nördlich der Fabrik entlangführt und die so etwas wie die Schlagader für die Industrialisierung des Ruhrgebiets werden sollte. Für Waggons und Lokomotiven sind 3000 Federn und über 300 Achsen zu liefern. Um die dafür erforderlichen Werkserweiterungen zahlen zu können, nimmt Krupp voll Vertrauen in die Zukunft, aber zum Entsetzen seiner stillen Anteilseigner hohe Kredite auf. Geld ist für ihn nur Mittel zum Zweck, nichts an dem sein Herz hinge. „Geld verloren - wenig verloren, Ehre verloren - viel verloren, Mut verloren - alles verloren“, lautet sein gern zitierter Spruch.
Die auf der ganzen Welt sprunghaft wachsende Eisenbahn wird das eine Standbein, auf dem Krupps Erfolg für die folgenden Jahrzehnte ruhen wird. Das andere: die Rüstung.
Schon um 1836 hat Alfred Krupp begonnen, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob und wie sich Gewehrläufe und Geschützrohre aus Gussstahl herstellen ließen. Die Grundidee: Gussstahl ist weit widerstandsfähiger, aber ähnlich flexibel wie das bis dato übliche Bronze, wenn es gilt Belastungen auszuhalten - somit müsste es auch als Material für Waffen taugen. Es sind Überlegungen, die keiner besonders kriegslüsternen Gesinnung bedürfen. Das technische Zeitalter ist jung und ganz unfangen, und die Frage, ob ein Produkt moralisch vertretbar ist, stellen sich weder Alfred noch andere seines Schlages.
Nach Jahren des Experimentierens gelingt ihm 1847 ein brauchbares Rohr zu schmieden, das begleitet mit viel Hoffnung seine Reise von Essen ins preußische Kriegsministerium nach Berlin antritt. Dort bleibt es zwei Jahre liegen. Selbst als nach dem Probeschießen die gute Qualität der Kanone erwiesen ist, besteht im konservativen Militär zunächst kein Interesse. Die Karriere der Firma Krupp als Rüstungsunternehmen könnte damit bereits wieder zu Ende sein - wenn nicht Alfreds Zähigkeit wäre und sein Wille, Recht zu behalten.