Essen-Rüttenscheid. . Die Achse zwischen Rü und Südviertel vereint Wohnen und Gewerbe: Wo früher Konserven und Pillen produziert wurden, arbeiten heute viele Kreative.

Würde die Stadt Essen einen Preis für urbane Lebensqualität ausloben, die Annastraße hätte sicherlich gute Chancen: War sie früher Standort unzähliger Kleingewerbe und Fabriken, sind die ehemaligen Produktionshallen und Werkstätten heute schicken Loftwohnungen, Gastronomiebetrieben und Denkerschmieden aus der Kreativwirtschaft gewichen.

Illustrator Helge Jepsen etwa lebt und arbeitet seit über zehn Jahren an der Verbindungsachse zwischen Rüttenscheid und dem Südviertel – und will nicht mehr weg. „Die Lage im Hinterhof bietet absolute Ruhe, gleichzeitig ist man mittendrin, hat Einkaufsmöglichkeiten und Gastronomie direkt vor der Tür“, sagt Jepsen.

Altes Logo erinnert bis heute an Pharma-Hersteller

Wohnen und arbeiten da, wo Pharmahersteller Roland früher Pillen produzierte: Illustrator Helge Jepsen und seine Frau Kiki Pakusch.
Wohnen und arbeiten da, wo Pharmahersteller Roland früher Pillen produzierte: Illustrator Helge Jepsen und seine Frau Kiki Pakusch. © Stefan Arend

Gemeinsam mit seiner Frau Kiki Pakusch wohnt der 50-Jährige in den früheren Fabrikräumen des Pharma-Herstellers Roland. Bis 1973 vertrieb das Unternehmen Produkte wie das Nahrungsergänzungsmittel Sanostol von seinem Sitz an der Annastraße 38 aus. Architektin Lena Popal, die den Gebäudekomplex 2008 kaufte und umfangreich sanierte, restaurierte auch das alte Logo; bis heute erinnert ein „R“ in der Fassade an die Vergangenheit.

„Die Geschichte der Annastraße ist genauso spannend wie ihr Wandel“, sagt Lena Popal. Mittlerweile zieht es viele Kreative wie Fotografen und Designer hierher, auch Clubbetreiber Kay Shanghai bezog vor kurzem ein Büro in der Straße. Statt vieler Köpfe qualmten dort früher die Schornsteine, war die Annastraße, die erstmals 1874 in Karten verzeichnet wurde, voll von Fabriken.

Chemie- und Feinkostfabrik prägten die Straße

Die Aufnahme zeigt die Annastraße im Jahr 1910. Das Viertel war von gutbürgerlichem Wohnraum ebenso geprägt wie von Gewerbe.
Die Aufnahme zeigt die Annastraße im Jahr 1910. Das Viertel war von gutbürgerlichem Wohnraum ebenso geprägt wie von Gewerbe. © IG Rüttenscheid

Im frühen 20. Jahrhundert war die Kombination aus Leben und Arbeiten dabei längst nicht so angenehm wie heute, zogen Rauch und Gerüche durch die Siedlung: So musste etwa die 1903 an der Annastraße 10 errichtete Chemie-Fabrik Brunstein-Hahme, die Back- und Puddingpulver herstellte, strenge Auflagen erfüllen, um die Gesundheit der Anwohner nicht durch Qualm oder Lärm zu gefährden.

Produzierendes Gewerbe fand sich damals zuhauf in der gerade einmal 450 Meter langen Straße: So baute der spätere NRW-Arbeitsminister August Halbfell 1934 an der Annastraße 35-37 eine Feinkostfabrik auf, die Mayonnaise und Heringssalat herstellte und bis in die 1970er Jahre in Betrieb war. Die heute unter anderem von dem Kinder- und Familiencafé Kuckuck sowie einem Yogastudio genutzten Räume haben dabei eine besonders wechselvolle Geschichte hinter sich: Nach dem Ende der Feinkostfabrik wurden dort Pornofilme im Auftrag der Essener Magma-Filmstudios vertont.

Eisenwarenbetrieb ist umgezogen

Der Wandel an der Annastraße ist an vielen Ecken unübersehbar: An die Tabakfabrik Gottfried Vollmer erinnert nur noch eine Inschrift über dem Hinterhofeingang.

Auch der alteingesessene Eisenwarenbetrieb Meinrich, der seit 1954 fest zur Annastraße gehörte, ist vor knapp anderthalb Jahren an die Corneliastraße umgezogen. Die Miete sei ihm zu teuer geworden, begründet Inhaber Manfred Andrzejczak. Heute findet sich in den alten Eisenwarenräumen eine Fachhandlung für Hockeybedarf. Bis heute sind zahlreiche verschiedene Gewerbe an der Annastraße registriert, vom kleinen Buchverlag über dutzende Büros von Designern, Fotografen und Architekten bis hin zur Papier-Restauration reicht das Spektrum.

Die Annastraße in Rüttenscheid

Vor einem Jahr eröffneten Julian Kühn und Igor Albanese das Kabü an der Annastraße.
Vor einem Jahr eröffneten Julian Kühn und Igor Albanese das Kabü an der Annastraße. © Stefan Arend
Die Aufnahme zeigt die Annastraße im Jahr 1910. Das Viertel war von gutbürgerlichem Wohnraum ebenso geprägt wie von Gewerbe.
Die Aufnahme zeigt die Annastraße im Jahr 1910. Das Viertel war von gutbürgerlichem Wohnraum ebenso geprägt wie von Gewerbe. © IG Rüttenscheid
Die Annastraße ist vor allem durch die Hinterhöfe geprägt, die bewohnt oder zum Arbeiten genutzt werden. Diese Aufnahme entstand nahe der Kreuzung Cäcilienstraße mit Blickrichtung Rüttenscheider Straße.
Die Annastraße ist vor allem durch die Hinterhöfe geprägt, die bewohnt oder zum Arbeiten genutzt werden. Diese Aufnahme entstand nahe der Kreuzung Cäcilienstraße mit Blickrichtung Rüttenscheider Straße. © Michael Gohl
An vielen Stellen in der Annastraße erinnern Schriftzüge und Fassaden noch an frühere Nutzer, wie die Tabakfabrik Gottfried Vollmer.
An vielen Stellen in der Annastraße erinnern Schriftzüge und Fassaden noch an frühere Nutzer, wie die Tabakfabrik Gottfried Vollmer. © FUNKE Foto Services
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid.
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid. © Stefan Arend
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid.
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid. © Stefan Arend
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid.
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid. © Stefan Arend
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid.
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid. © Stefan Arend
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid.
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid. © Stefan Arend
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid.
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid. © Stefan Arend
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid.
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid. © Stefan Arend
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid.
Unterwegs auf der Annastraße in Essen-Rüttenscheid. © Stefan Arend
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Eine Bandbreite, die viele fasziniert: „Mich hat diese Straße von Anfang an umgehauen“, sagt Julian Kühn. 2016 eröffnete er mit Igor Albanese das „Kabü“ an der Annastraße 51, einen Mix aus Café, Arbeitsplatz für Freiberufler und Netzwerk-Plattform.

Direkt nebenan ist in der ehemaligen Trinkhalle „Anne Bude“ mit dem „Le Fou“ eine weitere kulturelle Plattform entstanden. „Es macht Spaß, den Wandel hier zu verfolgen“, sagt Julian Kühn, „die Straße inspiriert.“

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