Essen. Das Herz des Zugverkehrs schlägt im Essener Stellwerk. Von hier aus steuern die Fahrdienstleiter Signale und Weichen.

Ein Zug hupt. Und für einen kurzen Moment lassen die Männer mit ihren Augen ab vom Computerbildschirm und der großen Panoramawand mit den vielen Verästelungen. Einer von ihnen steht auf, geht zum Fenster, guckt nach draußen, runter zu den Gleisen – alles in Ordnung. Der Zugverkehr im Essener Hauptbahnhof rollt.

Dennis Bartels vor dem Stellwerk.
Dennis Bartels vor dem Stellwerk. © Christian Stahl

„Wenn im Betrieb alles normal läuft, sind wir kontrollierende Zuschauer“, sagt Dennis Bartels. Er leitet den Betrieb im Essener Stellwerk, sozusagen dem Herzen des Hauptbahnhofes. Bis zu 1000 Züge lotst sein Team jeden Tag durch den Bahnhof – vom hunderte Meter langen Gütertransport, über die S-Bahnen bis hin zum ICE. Das Stellwerk gehört zu den größten in ganz Nordrhein-Westfalen. Wer hier arbeitet, ist Herr über hunderte Weichen und Signale.

Dieser Vormittag ist so ein Tag, bei dem mehr kontrolliert, als eingegriffen wird: Kaum Verspätungen, keine Zugausfälle, keine Störungen. Vier Fahrdienstleiter sitzen vorne und regeln den Betrieb, dahinter lernen zwei Azubis. Der Raum ist ein bisschen schmucklos, was man halt so in den 1970ern zweckmäßig fand. Genau wie das Gebäude, ein unscheinbarer Klinkerbau am Nordende der Bahnsteige, beschmiert mit Graffitis.

Essen hat ein Relais-Stellwerk

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Essen hat ein sogenanntes Relais-Stellwerk, 1976 in dieser Form gebaut und immer noch die in Deutschland am meisten verbreitete Form. Gesteuert werden die Weichen über Drucktasten und nicht über den Computer, wie etwa im modernen digitalen Stellwerk in Duisburg. Im Gegensatz zu den Kollegen in Duisburg können die 23 Mitarbeiter in Essen noch aus dem Fenster gucken und haben dabei einen Panoramablick auf Bahnsteige und Gleise.

„Das ist das Schöne hier, dass man den Ort des Geschehens im Blick haben kann“, sagt Bartels. Das zentrale Instrument für die Arbeit der Fahrdienstleiter ist aber die große Panoramatafel im Raum. 200 Kilometer Gleise und mehr als ein Dutzend Bahnhöfe sind hier zu sehen. Mehrstellige Zahlenkombinationen leuchten dort auf, rote und weiße Lichter bewegen sich, grüne bleiben starr.

Für jede Bahn leuchtet ein Lämpchen

An den Lämpchen lässt sich jede einzelne Bahn, jede Lok verfolgen, die in den Bahnhof einfährt: Wechselt das Licht von weiß auf rot, ist der Gleisabschnitt besetzt, der Zug da. Wie der Regionalexpress RE 2, der sich in Münster auf den Weg gemacht hat und nun kurz vor der Einfahrt steht. Als die roten Pünktchen näher kommen, reicht der Blick aus dem Fenster: Der Regionalexpress ist tatsächlich da. Pünktlich auf die Sekunde.

Der Essener Hauptbahnhof in Zahlen

2

Minuten dauert die Fahrt vom Hauptbahnhof zum S-Bahn-Halt Essen West. Kein Bahnhof ist näher dran am Hauptbahnhof. 609 Minuten im ICE sind es hingegen zum Hauptbahnhof in Wien, dem am weit entferntesten von Essen ohne Umsteigen erreichbare Ziel.

6

Eisenbahnverkehrsunternehmen fahren den Hauptbahnhof derzeit an: DB Regio, Abellio und die Nordwestbahn im Regionalverkehr, DB Fernverkehr, Thalys und der Hamburg-Köln-Express (HKX) im Fernverkehr. In diesen Markt kommt in den nächsten Jahren ordentlich Bewegung.

5700

Quadratmeter Vermietungsfläche gibt es insgesamt im Hauptbahnhof. Im Vergleich mit Köln (11.500 Quadratmeter), Düsseldorf (9928 Quadratmeter) und Dortmund (9693 Quadratmeter) steht Essen deutlich zurück.

40

Mieter hat der Bahnhof derzeit – von der Bahnhofsbuchhandlung über mehrere Bäcker bis zum Schnellrestaurant. Mit Starbucks, McDonalds oder Subway findet man die typischen Gastronomie-Ketten, zu den Besonderheiten gehört die Filiale des Discounters Lidl, auch die Drogeriekette DM hat dort eine Niederlassung. 

12

Kassen gibt es in der Lidl-Filiale, 54 Mitarbeiter arbeiten dort, 1600 Produkte sind im Angebot. Mehr will die Pressestelle des Unternehmens nicht über das Geschäft verraten.

0

Bahnhofskneipen gibt es im Hauptbahnhof. Die Traditionskneipe „Bierfass“ mit ihrer rustikalen Eichenholzeinrichtung überlebte den Umbau zur Kulturhauptstadt nicht, passte nicht mehr ins Konzept.

170 000

Besucher hat der Essener Hauptbahnhof am Tag. Gemessen an dieser Zahl gehört er zu den zehn größten in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen zählen lediglich die zentralen Bahnknotenpunkte in Köln (280.000) und Düsseldorf (250.000) mehr Besucher.

81 Prozent

der Deutsche-Bahn-Kunden denken beim Stichwort Bahn zuerst an den Bahnhof. Das hat zumindest eine Kundenumfrage der Bahn ergeben. Demnach ist der Bahnhof der Identifikations-Faktor Nummer eins für Zugreisende, deutlich vor dem ICE.

55

Bahnhöfe werden insgesamt vom Bahnhofsmanagement Essen betreut. Dazu gehören insgesamt 26 Bahnhöfe auf Essener Stadtgebiet, zuvorderst der Hauptbahnhof. Hinzu kommen unter anderem die Hauptbahnhöfe in Bochum, Gelsenkirchen, Wanne-Eickel oder Witten. Das Bahnhofsmanagement kümmert sich um Organisation und Service.

57

Millionen Euro hat der Umbau des Hauptbahnhofes rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr 2010 gekostet. Gearbeitet und saniert wurde insgesamt 16 Monate lang.  Zum Vergleich: Für die im kommenden Jahr beginnende Modernisierung des Duisburger Hauptbahnhofes sind rund 150 Millionen Euro veranschlagt.

24

Stunden am Tag ist der Bahnhof für die Öffentlichkeit zugänglich. Es halten auch die gesamte Nacht über Züge im Bahnhof. Wer mitten in der Nacht Hunger verspürt: Das McDonalds-Restaurant schließt seine Türen nie.

800

Züge im Linienverkehr halten durchschnittlich am Bahnhof – und das jeden Tag: 400 S-Bahnen, 220 Regionalzüge und 180 Fernverkehrszüge.

664

Meter misst der längste Bahnsteig in Essen - der Bahnsteig an Gleis 4. Essen ist damit in der Rangliste der längsten Bahnsteige in Deutschland weit vorne, angeblich hat Mainz den längsten mit über 700 Meter. Zum Vergleich: Der neue ICE 4 ist 346 Meter lang.

14

Gleise gibt es im  Hauptbahnhof insgesamt. Gleis drei hat keinen Bahnsteig, acht Gleise sind Durchgangsgleise, außerdem gibt es fünf sogenannte Stumpfgleise. Diese Gleise enden am Hauptbahnhof. Die abgetrennten Seitenbahnsteige 21/22 weichen von der durchgehenden Nummierung ab. Die Bahnsteige 13 bis 20 fehlen deshalb komplett.

3

Stellwerke im Stadtgebiet sind ständig besetzt. Neben dem am Hauptbahnhof  noch die in Steele und Altenessen. Vom großen Stellwerk aus wird nicht nur der Bahnhofsverkehr gesteuert, sondern unter anderem die S6-Strecke bis Ratingen.

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Jahre musste die Essener Bundespolizei darauf warten, wieder in den Bahnhof einziehen zu können. Während des Umbaus wurde die Wache 2009 an die Herkulesstraße verlegt, 800 Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Eigentlich war der Rückumzug früher geplant, doch weil eine bei den Arbeiten beteiligte Firma pleite ging, verzögerte er sich bis Juli 2016.

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Natürlich läuft es längst nicht immer so reibungslos. Gerade bei größeren Störungen, etwa als im September gleich zwei Oberleitungen im Gebiet des Stellwerks ihre Funktion versagten, bricht unter den Fahrdienstleitern angespannte Betriebsamkeit aus. „Dann tobt hier der Bär“, sagt Dennis Bartels.

In hektischen Situationen muss Ruhe bewahrt werden

Deshalb ist in einem großen Stellwerk wie in Essen vor allem eins sehr wichtig, meint der Chef: genügend Erfahrung, um auch in hektischen Situation die Ruhe zu bewahren. Viele, die im Stellwerk arbeiten, waren vorher in anderen Bereichen der Bahn tätig. „Wenn größere Störungen auftauchen, ist es gut, wenn die Kollegen hier oben wissen, was dann unten am Bahnsteig los ist“, sagt Bartels.

Es ist aber auch die Verantwortung der Männer und Frauen hinter den Steuerpulten, die in Ausnahmesituationen noch zunimmt. Schließlich sitzen täglich Zehntausende Menschen in den Zügen, die unter den großen Fensterscheiben des Stellwerks im Minutentakt über die Gleise fahren.

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