Essen. . Klaus Oberheim ist Bahnhofsmanager. Seine Aufgaben? So vielfältig, dass selbst die Mitarbeiter der Bahn manchmal den Durchblick verlieren.
Klaus Oberheim kommt ein paar Minuten zu spät zum Interview. Schuld ist aber kein unpünktlicher Zug – der Mann ist einfach gefragt. Ein wichtiger Anruf auf dem Handy, danach noch schnell eine Mail verschickt. „Entschuldigung, aber das ist mein Job.“ Oberheim ist der Chef des Essener Hauptbahnhofes, der Bahnhofsmanager. Bei ihm läuft alles zusammen – von den Gesprächen mit der Politik bis hin zum kaputten Aufzug an Gleis vier.
Kurze Zeit später sitzt Klaus Oberheim an seinem Schreibtisch, vor ihm ein Computerbildschirm, ein Tablet und ein aufgeklappter Laptop; zwischendurch unterschreibt er Unterlagen. Hinter dem Fenster direkt neben der Eingangstür zum Büro sind die Bahnsteige zu sehen: Züge halten, Menschen steigen ein und aus. Gewusel.
Experte für viele Bereiche
Der Bahnhofsmanager muss Herr werden über dieses Gewusel, Organisation in den riesigen Organismus Essener Hauptbahnhof bringen, mit seinen täglich 170 000 Menschen, die hier lang kommen, als Fahrgäste, als Passanten.
Der Job ist nicht ganz gewöhnlich, in der Ausschreibung würde wohl stehen: „Den Bewerber erwartet ein breites Aufgabenfeld.“ Die Chefs am Bahnhof sind Betriebswirte, Lobbyisten, Personalleiter, Ansprechpartner für Kunden, Polizei oder Wirtschaft, Experten für Baurecht, manchmal Hausmeister. „Es gibt selbst Kollegen bei der Deutschen Bahn, die nicht genau wissen, was wir eigentlich alles machen“, sagt Oberheim.
Zuständigkeit für Sauberkeit und Sicherheit
In Essen ist eines von zehn Bahnhofsmanagements in Nordrhein-Westfalen angesiedelt. Die 85 Mitarbeiter betreuen nicht nur den Hauptbahnhof hier, sondern sie sind für Bahnhöfe und Haltepunkte in der gesamten Region zuständig – bis nach Wanne-Eickel, Witten oder Gelsenkirchen.
Der Essener Hauptbahnhof in Zahlen
2
Minuten dauert die Fahrt vom Hauptbahnhof zum S-Bahn-Halt Essen West. Kein Bahnhof ist näher dran am Hauptbahnhof. 609 Minuten im ICE sind es hingegen zum Hauptbahnhof in Wien, dem am weit entferntesten von Essen ohne Umsteigen erreichbare Ziel.
6
Eisenbahnverkehrsunternehmen fahren den Hauptbahnhof derzeit an: DB Regio, Abellio und die Nordwestbahn im Regionalverkehr, DB Fernverkehr, Thalys und der Hamburg-Köln-Express (HKX) im Fernverkehr. In diesen Markt kommt in den nächsten Jahren ordentlich Bewegung.
5700
Quadratmeter Vermietungsfläche gibt es insgesamt im Hauptbahnhof. Im Vergleich mit Köln (11.500 Quadratmeter), Düsseldorf (9928 Quadratmeter) und Dortmund (9693 Quadratmeter) steht Essen deutlich zurück.
40
Mieter hat der Bahnhof derzeit – von der Bahnhofsbuchhandlung über mehrere Bäcker bis zum Schnellrestaurant. Mit Starbucks, McDonalds oder Subway findet man die typischen Gastronomie-Ketten, zu den Besonderheiten gehört die Filiale des Discounters Lidl, auch die Drogeriekette DM hat dort eine Niederlassung.
12
Kassen gibt es in der Lidl-Filiale, 54 Mitarbeiter arbeiten dort, 1600 Produkte sind im Angebot. Mehr will die Pressestelle des Unternehmens nicht über das Geschäft verraten.
0
Bahnhofskneipen gibt es im Hauptbahnhof. Die Traditionskneipe „Bierfass“ mit ihrer rustikalen Eichenholzeinrichtung überlebte den Umbau zur Kulturhauptstadt nicht, passte nicht mehr ins Konzept.
170 000
Besucher hat der Essener Hauptbahnhof am Tag. Gemessen an dieser Zahl gehört er zu den zehn größten in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen zählen lediglich die zentralen Bahnknotenpunkte in Köln (280.000) und Düsseldorf (250.000) mehr Besucher.
81 Prozent
der Deutsche-Bahn-Kunden denken beim Stichwort Bahn zuerst an den Bahnhof. Das hat zumindest eine Kundenumfrage der Bahn ergeben. Demnach ist der Bahnhof der Identifikations-Faktor Nummer eins für Zugreisende, deutlich vor dem ICE.
55
Bahnhöfe werden insgesamt vom Bahnhofsmanagement Essen betreut. Dazu gehören insgesamt 26 Bahnhöfe auf Essener Stadtgebiet, zuvorderst der Hauptbahnhof. Hinzu kommen unter anderem die Hauptbahnhöfe in Bochum, Gelsenkirchen, Wanne-Eickel oder Witten. Das Bahnhofsmanagement kümmert sich um Organisation und Service.
57
Millionen Euro hat der Umbau des Hauptbahnhofes rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr 2010 gekostet. Gearbeitet und saniert wurde insgesamt 16 Monate lang. Zum Vergleich: Für die im kommenden Jahr beginnende Modernisierung des Duisburger Hauptbahnhofes sind rund 150 Millionen Euro veranschlagt.
24
Stunden am Tag ist der Bahnhof für die Öffentlichkeit zugänglich. Es halten auch die gesamte Nacht über Züge im Bahnhof. Wer mitten in der Nacht Hunger verspürt: Das McDonalds-Restaurant schließt seine Türen nie.
800
Züge im Linienverkehr halten durchschnittlich am Bahnhof – und das jeden Tag: 400 S-Bahnen, 220 Regionalzüge und 180 Fernverkehrszüge.
664
Meter misst der längste Bahnsteig in Essen - der Bahnsteig an Gleis 4. Essen ist damit in der Rangliste der längsten Bahnsteige in Deutschland weit vorne, angeblich hat Mainz den längsten mit über 700 Meter. Zum Vergleich: Der neue ICE 4 ist 346 Meter lang.
14
Gleise gibt es im Hauptbahnhof insgesamt. Gleis drei hat keinen Bahnsteig, acht Gleise sind Durchgangsgleise, außerdem gibt es fünf sogenannte Stumpfgleise. Diese Gleise enden am Hauptbahnhof. Die abgetrennten Seitenbahnsteige 21/22 weichen von der durchgehenden Nummierung ab. Die Bahnsteige 13 bis 20 fehlen deshalb komplett.
3
Stellwerke im Stadtgebiet sind ständig besetzt. Neben dem am Hauptbahnhof noch die in Steele und Altenessen. Vom großen Stellwerk aus wird nicht nur der Bahnhofsverkehr gesteuert, sondern unter anderem die S6-Strecke bis Ratingen.
7
Jahre musste die Essener Bundespolizei darauf warten, wieder in den Bahnhof einziehen zu können. Während des Umbaus wurde die Wache 2009 an die Herkulesstraße verlegt, 800 Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Eigentlich war der Rückumzug früher geplant, doch weil eine bei den Arbeiten beteiligte Firma pleite ging, verzögerte er sich bis Juli 2016.
Oberheims Team kümmert sich um den betrieblichen Ablauf auf dem Bahnhof: um die Sauberkeit, um die Information der Kunden, als Schnittstelle zur Bundespolizei um die Sicherheit. Auch die Überwachung der Anlagen fällt in den Bereich des Bahnhofsmanagements, von den Anzeigen auf der großen Informationstafel über die Ausstattung der Bahnsteige bis hin zu den Aufzügen. Nicht mehr dazu gehört, was in den Zügen passiert. „Unsere Zuständigkeit beginnt mit dem Eingang in den Bahnhof und hört an der Bahnsteigkante auf“, sagt Oberheim.
Der Bahnhofs-Chef ist Pendler
Der 49-Jährige hat sein Geschäft „von der Pike aufgelernt“, wie er es selbst sagt. Oberheim ist verbeamtet, hat noch zu Bundesbahn-Zeiten angefangen. Er hat während seiner Ausbildung Fahrkarten am Schalter verkauft, im Stellwerk hintern den Knöpfen gestanden, Expressgut in die Züge gehievt oder die Ansagen gemacht. Leute wie Oberheim nennen sie bei der DB „Bahner“, auch heute kennt er an „seinen“ Bahnhöfen jeden Stein.
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Oberheim kennt aber auch die Verwaltungsseite. Er hat in den Zentralen in Frankfurt und Berlin gearbeitet, erst im Personalbereich, Anfang der 1990er-Jahre wirkte er mit beim Übergang der staatlichen Bundesbahn in das private Unternehmen Deutsche Bahn. 1999 wechselt er zu der für die Bahnhöfe zuständigen Tochter Station&Service, arbeitet erst im Bahnhofsmanagement in Bonn, 2005 wird er Chef in Duisburg. Seit dem ersten September diesen Jahres hat Oberheim zusätzlich die Stelle als Manager in Essen übernommen.
Deswegen pendelt er derzeit zwischen den beiden Ruhrgebietsstädten, mit dem Zug natürlich. Dann sitzt er mal vormittags in Duisburg im Büro und steht nachmittags in Essen auf dem Bahnsteig. Seinen Beruf kann Oberheim nie so ganz ablegen. „Wenn ich irgendwo in den Bahnhof reinfahre“, erzählt er, „dann gucke ich nach: Sind die Bahnsteige in Ordnung, funktionieren alle Anzeigen.“ Fällt ihm etwas auf, gibt er das weiter an die Kollegen vor Ort. Gehört sich so – unter Bahnhofsmanagern.
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