Essen. . NRW-Justizminister wurde beim Parteitag der SPD Essen mit fast 95 Prozent gewählt. Der Karnaper Ratsherr Guido Reil wollte Vize werden, erhielt aber nur 22 Prozent.

  • Thomas Kutschaty ist neuer Chef der Essener SPD
  • Ratsherr Guido Reil scheitert als Partei-Vize
  • Diskussion um SPD-Rebllen eskaliert

Thomas Kutschaty ist neuer Vorsitzender der Essener SPD. Bei einem Unterbezirksparteitag am Samstag in der Messe Essen erhielt der NRW-Justizminister 149 von 157 abgegebenen Stimmen, was knapp 95 Prozent entspricht. Der 47-jährige Borbecker übernimmt das Amt von der Landtagsabgeordneten Britta Altenkamp, die nach parteiinternen Querelen um die Flüchtlingspolitik Anfang Februar zurückgetreten war. Unmittelbarer Anlass waren integrationskritische Äußerungen und Aktionen in den SPD-Ortsvereinen des Essener Nordens. Altenkamp hatte vergeblich versucht, diese zu beenden.

Der Streit in der Essener SPD um die Flüchtlingspolitik und um angeblich zu viele „Berufspolitiker“ in leitenden Parteifunktionen beherrschte den Parteitag über weite Strecken. Der Karnaper SPD-Ratsherr Guido Reil, der zur Symbolfigur der „Rebellen“ geworden war, wollte einer der drei Stellvertreter Kutschatys werden, bekam aber nur 21,5 Prozent der Stimmen und scheitert damit klar. Seine Redebeiträge waren begleitet von heftigen verbalen Gegenreaktionen. Gewählt wurden die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz (84,8%), die schon bislang Parteivize war, Bürgermeister Rudolf Jelinek (77,8%) und der Altenessener Ratsherr Karlheinz Endruschat (63,9%). Alle Wahlen fanden geheim statt. Jelinek war kurzfristig als Kandidat aufgeboten worden, nachdem der eigentlich von der Parteispitze vorgesehene Kandidat Arno Bischof verzichtet hatte. Begründet hatte Bischof dies in einer emotionalen Rede mit den Querelen der letzten Monate, die ihn belastet hätten.

Kutschaty ließ durchblicken, er habe das Amt auch aus Pflichtgefühl übernommen, als Minister habe er eigentlich „genug zu tun“. Bundesweit gehe die SPD durch eine schwere Zeit, ihre Spielräume als „Mitte-Links-Partei“ würden durch eine CDU begrenzt, die sich unter Angela Merkel in die Mitte bewegt habe. Familienpolitik und soziale Gerechtigkeit seien sozialdemokratische Kernkompetenzen, die es auch in Essen stärker zu betonen gelte. Dazu passe zum Beispiel nicht der Verkauf von Allbau-Wohnungen in der Oststadt, kritisierte Kutschaty ein konkretes kommunalpolitisches Vorhaben.

Die SPD solle „raus aus der Edelholz-Etage des Rathauses“ und sich öfter in die Stadtteile begeben. Die Partei werde gebraucht, allerdings nicht mehr so sehr vom klassischen Arbeiter („das sind nur noch ganz wenige“), sondern von Menschen, die in schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs ihr Geld verdienten. Er habe zudem eine Hoffnung: „Einen CDU-Oberbürgermeister darf es in dieser Stadt nur für eine ganz kurze Übergangszeit geben.“

Von Spaltern und Weichspülern

Es war schon morgens klar, dass dies nicht der Tag des Guido Reil werden würde. Der Parteitag der Essener SPD hatte am Samstag noch nicht begonnen, da kursierte ein Interview, das der Karnaper SPD-Ratsherr dem Essener Lokalmedium „Informer“ gegeben hatte und das pünktlich zum Parteitag im Internet zu lesen war. Reil erneuerte darin nicht nur seine Thesen über die angebliche oder tatsächliche Basisferne der Essener SPD-Spitze, er teilte auch kräftig aus gegen Thomas Kutschaty, dem designierten Parteichef. Er, Reil, habe eine Weile daran geglaubt, dass Kutschaty einen Kompromiss mit der SPD-Zukunftswerkstatt suchen würde, jenem Kreis von Basispolitikern, die die SPD personell und inhaltlich erneuern wollten. In den letzten Tagen aber habe er festgestellt: „Der Thomas Kutschaty ist völlig weichgespült. Er hat keine Führungspersönlichkeit und hält sich aus allem immer schön raus.“

Das waren Töne, die vielen Delegierten gerade noch gefehlt hatten, die ohnehin schon – was Reil und seine Freunde betrifft – mit Wut im Bauch zum Parteitag gefahren waren. Diese Wut wurde nicht gerade geringer, als Vertreter der Zukunftswerkstatt verschüchtert einen Antrag zurückzogen, in dem sie gefordert hatten, dass künftig hauptberufliche Mitarbeiter von SPD-Abgeordneten oder Fraktionen nicht mehr in den Vorstand gewählt werden sollten. Jedem war klar – auch den Antragstellern –, dass dies gegen die Parteisatzung verstieß und nur ein Zeichen sein sollte. Aber die Art, wie die verhinderten Rebellen klein beigaben, lud zu Spott und scharfer Kritik ein. „Der Antrag soll uns manipulieren, ein Unding“, schimpfte ein Delegierter; die „Scheißdebatte“ möge endlich enden, meinte eine andere und als Europa-Abgeordneter Jens Geyer dem Karnaper attestierte, er sei ein „Spalter“ brach die Zukunftswerkstatt sang- und klanglos zusammen. Ein Parteitag ist immer auch ein Disziplinierungsinstrument. Wer da als Minderheit wider den Stachel löcken will, aber schlecht vorbereitet ist, wird gnadenlos von den rhetorisch meist versierten Platzhirschen abgeledert. Eine Spezialität der Essener SPD ist das ausdrücklich nicht.

Dass Guido Reil sich dann überhaupt noch auf die Bühne traute, um fahrig und unkonzentriert seine Bewerbung als Parteivize zu begründen, war fast schon beachtlich. „Keiner kann sich daran erinnern, dass die Partei jemals in einer so beschissenen Situation war“, ließ Reil wissen. Dies sei vor allem Folge einer umfassenden Realitätsverweigerung der SPD. Er wisse zwar, dass ihn viele, die hier säßen, für dumm hielten. „Aber ich habe eine Meinung, und das ist auch gut so.“ Mit Mut habe dies nichts zu tun. Mut könnten die Delegierten beweisen, indem sie ihn wählten.

Glanzstück politischer Rhetorik

Dass das dann immerhin 34 von 158 tatsächlich taten, war angesichts der aufgeheizten Stimmung im Saal wohl das Maximum. Denn die Parteispitze hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst vorgenommen, ein Exempel zu statuieren an „Medienstar“ Reil, der eine Weile vielleicht der bekannteste Essener Sozi war – auf jeden Fall aber der mit den meisten Fernsehauftritten.

Wirkung zeigte diese Prominenz durchaus. Viele, die beim Parteitag das Wort ergriffen, arbeiteten sich – meist indirekt – an Reil ab. Die SPD dürfe nicht „den Nährboden für fremdenfeindliche Tendenzen“ verbreitern, hieß es etwa. Und gleich mehrere SPD-Hauptamtliche beteuerten mehr oder weniger beleidigt, sie hätten auch als Mitarbeiter eines Abgeordneten einen eigenen Kopf und seien keineswegs „geklont“, wie Reil und seine Freunde kritisiert hatten.

Ein Glanzstück politischer Rhetorik lieferte Arno Bischof, Mitarbeiter von Jens Geyer und bislang SPD-Vize. Er begründete den Verzicht auf eine erneute Kandidatur mit der bitteren Enttäuschung, die ihm die Genossen im Norden bereitet hätten. Er habe sie in vielen Jahren gemeinsamer Parteiarbeit als aufrechte Sozialdemokraten kennengelernt, „und es ist mir nicht egal, was ihr über mich denkt“, so Bischof in einer emotional klingenden Rede, bei der es mucksmäuschenstill im Saal war.

Selbst die etwas kühne Bemerkung Kutschatys zum Thema SPD-Klientel – „den klassischen Arbeiter gibt es kaum noch“ – könnte man als Antwort auf Reil münzen. Einen Teil seiner öffentlichen Aufmerksamkeit bezieht der Karnaper schließlich aus der Tatsache, dass er noch aktiver Bergmann ist.

Reil hatte sich übrigens noch am Morgen bei Kutschaty für sein kritisches Interview entschuldigt. Aber das rettete dann auch nichts mehr.