Essen. Essens Stadtplaner Hans-Jürgen Best wirbt für neue Siedlungen auch auf geschützten Flächen, weil nur so eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Essen möglich sei. Einwohnerzahl steige auf jeden Fall.
Herr Best, viele Bürger sind besorgt über die Pläne, Freiflächen zu opfern, um Siedlungen für Flüchtlinge zu bauen. Haben Sie Verständnis?
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Hans-Jürgen Best: Selbstverständlich. Ich verstehe jeden, der für das kämpft, was vor seinem Haus, vor seiner Wohnung an freier Fläche vorhanden ist.
Vielen geht es sicherlich auch um mehr als „nur“ um das Gewohnte und Liebgewonnene. Es geht um Klimaschutz, um den Schutz von Natur und Landschaft.
Best: Diese Aspekte müssen letztlich gegeneinander abgewogen werden. Wir habe es mit einer Entwicklung zu tun, mit der keiner gerechnet hat. Die Wohnungsnachfrage-Analyse von 2013, basierend auf Prognosen aus 2011, ging davon aus, dass im Jahr 2015/16 in Essen 555.000 Menschen leben werden. Jetzt müssen wir feststellen, dass es fast 585.000 sind, also rund 30.000 Einwohner mehr. Erst allmählich verstehen immer mehr Menschen, was das bedeutet.
Wir reden also nicht alleine über Flüchtlinge?
Best: Nein. Die Zahl der Flüchtlinge wird auf rund 12.000 geschätzt. So genau weiß das ja keiner.
Sie haben 15 Flächen vorgeschlagen, 13 davon in Landschaftsschutzgebieten. Warum haben Sie diese Flächen ausgewählt?
Best: Im November gab es auf Bundesebene eine Gesetzesänderung. Danach dürfen Flächen, die im Außenbereich liegen und an eine Wohnbebauung grenzen, mit einfachen Bauten für Flüchtlinge belegt werden.
Das sind alles einfache Bauten?
Best: Ja, es sind im Grunde Holzbauten. Leichte Gebäude mit dünnen Wänden. Nicht etwas, in dem man gerne auf Dauer wohnt. So etwas lässt sich auch leicht wieder beseitigen.
Ihre Ausgangs-These war, wir haben 30.000 Einwohner mehr. Die Stadt braucht also Wohnraum?
Best: Wir müssen uns zunächst ausschließlich um die Flüchtlinge kümmern. Wenn man sagt, sie müssen aus den Zelten raus, dann müssen sie irgendwo hin. Die Frage ist, wohin? Darauf gibt keiner eine praktikable Antwort. Nehmen wir die Vorschläge der Grünen. Sie bedeuten, dass wir die Menschen fast alle im Essener Norden unterbringen, weil hier die großen Brachen liegen! Dann brauchen wir die landwirtschaftlichen Flächen natürlich nicht. Aber dann hätten wir zu Recht die Diskussion über die Ungleichverteilung von Flüchtlingen.
Die Grünen haben auch Flächen im Essener Süden benannt.
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Best: Nicht eine einzige davon ist geeignet. Die Fläche am Karrenbergsfeld in Kettwig liegt in der Abluftfahne einer Biogasanlage. Da riecht es. Am Breloher Steig in Horst gehört der Stadt nicht ein einziges Grundstück. Da kommen Sie in zehn Jahren nicht dran. Die Fläche an der Barkhovenallee/Jakobsallee in Heidhausen will Grün und Gruga vermarkten; dort steht sie in der mittelfristigen Finanzplanung. Dann wäre da der Parkplatz P 2 an der Veronikastraße in Rüttenscheid...
...der zum größten Teil der Messe gehört und den sie ständig nutzt.
Best: Eben! Es wird den überlauten Aufschrei der Messe Essen geben, weil sie während der bald startenden Umbauphase permanent Flächen braucht als Ersatz für Messeveranstaltungen. Man kann alles machen, aber man muss immer überlegen, wie hoch der Preis dafür ist. Unser eigentliches Problem ist doch ein quantitatives. Es kommen jeden Tag 35 Flüchtlinge. Das sind die geschätzten 6400 im nächsten Jahr. Ich muss dafür sorgen, dass die irgendwo unterkommen.
Warum nicht in städtischen Immobilien, die leer stehen?
Best: Gute Idee, aber zum Umbau braucht man zweieinhalb bis drei Jahre und die Kapazität reicht für ca 1400 Flüchtlinge. Abgesehen davon stehen auch die großen Immobilien wieder alle im Norden: an der Söllingstraße, an der Seumannstraße...
Die Leerstandsquote für Wohnungen erscheint plötzlich sehr niedrig.
Best: Die Wohnungsgesellschaften in Essen nennen aktuell Leerstandsquoten zwischen 0,6 und 2,8 Prozent. Der Eigentümerverein Haus und Grund schätzt die Situation ähnlich ein, mit einer etwas höheren Leerstandsquote.
"Wir müssen Quartiere bauen, egal wo, um die Menschen zu integrieren"
Aus Ihrer Sicht gibt es zu Freiflächen also keine Alternative?
Best: Es sei denn man fällt die Entscheidung, wir bringen die Menschen im Krupp-Gürtel unter, im Stadthafen oder auf Emil-Emscher. Im Süden gibt es allerdings kein erschlossenes Gewerbegebiet, das leer steht. Karstadt wird immer wieder genannt. In der jetzigen schwierigen Situation für das Unternehmen frage ich dort aber nicht nach.
Sie fürchten, dass Karstadt sonst Essen verlässt?
Best: Das haben Sie gesagt.
Bleiben wir bei den 13 sensiblen Flächen. Es wird Ihnen der Vorwurf gemacht, Sie wollen durch die Hintertür neue Baugebiete erschließen.
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Best: Wir brauchen keine Einfamilienhaussiedlungen. Wir müssen Quartiere bauen, egal wo, um die Menschen zu integrieren. Denn aus Flüchtlingen werden Bleibende. Das kann nur dann gelingen, wenn auf fünf oder sechs einheimische Familien eine Flüchtlingsfamilie kommt.
Das hieße Geschosswohnungsbau auch auf den Flächen, für deren Erhalt die Leute kämpfen?
Best: Einige Flächen eignen sich auf den ersten Blick dafür. Etwa Mecklenbeckswiese in Horst, da passt ein solcher Siedlungstyp hin. Auch die Fläche Am Handwerkerpark in Katernberg wäre geeignet, ebenso die der „Marina“ in Altenessen und auch die Haarzopfer Flächen. Im übrigen schaut Stadtplanung in Wachstumsstädten wieder auf Freiflächen, selbst in kleineren Großstädten werden 100 bis 150 Hektar neu besiedelt.
Stichwort Bevölkerungswachstum: Muss die Stadt Versäumtes nachholen? Ihnen wird der Vorwurf gemacht, im Sozialwohnungsbau sei über Jahre nichts passiert.
Best: Aber was hat denn die Stadtplanung falsch gemacht? Weder die Stadtverwaltung noch die Politik haben beispielsweise für das Univiertel Sozialwohnungen vorgeschlagen, wegen der damaligen Förderbedingungen hat man da eine soziale Schlagseite befürchtet, auch wusste doch niemand, ob das Univiertel überhaupt als Wohnstandort angenommen wird. Ähnliches könnte man für andere Wohnbauprojekte in Altendorf sagen. Der eigentliche Witz ist aber der: Die Investoren wollten gar kein Geld haben für Sozialwohnungsbau, weil sie das beim Vermarkten behindert.
Heißt das, die Mittel werden in Essen gar nicht abgerufen?
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Best: So ist es. Die meisten Wohnungen werden außerdem auf Basis alter Bebauungspläne gebaut oder in Baulücken. Da können wir den Leuten sowieso nichts aufzwingen. Es geht nur dann, wenn die Stadt Grundstücksverkäufer ist.
Der Planungsausschusses erwartet ein Konzept für den sozialen Wohnungsbau. Was darf man erwarten?
Best: Wenig bis nichts. Ich kann die Gesetze nur anwenden, wie sie sind. In einem neuen Bebauungsplan kann eine Quote für Sozialwohnungen festgelegt werden und zwar für neue Häuser, bei denen die Grundrisse dem sozialen Wohnungsbau entsprechen; ob der Investor die neuen Wohnungen fördern lässt, entscheidet er. Ansonsten können wir nur sehr viel Werbung machen bei allen Wohnungsbaugesellschaften, bei allen Investoren. Die jüngsten Förderbedingungen sind sehr attraktiv für Investoren geworden.
Stößt die „wachsende Stadt“ bereits an ihre Grenzen?
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Best: So lange zahlungswillige und zahlungskräftige Nachfrage da ist für Wohnen in Essen, sehe ich überhaupt kein Limit. Bisher ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Person immer gestiegen. Städte wie München, Berlin Frankfurt, und Düsseldorf wachsen bezogen auf die Einwohnerzahl, gleichzeitig werden viel zu wenige Wohnungen gebaut. Was passiert? Die Leute rücken zusammen, und bezahlen dafür auch noch mehr. Wer rückt zusammen? Die untere Mittelschicht und die armen Leute. Diejenigen, die Geld haben, kaufen sich weiter fröhlich Quadratmeter.
Auch in Essen steigt der Druck?
Best: Im nächsten Jahr wird das losgehen. Ich erwarte, dass die Mieten deutlich steigen. Wenn Städte ihre Freiflächen schonen, drückt alles in den Bestand. Wenn die Wohnungsreserve stark schrumpft, galoppieren die Preise. Das nennt man Markt.