Essen. . Blockiert der Entwässerungs-Stau im Walpurgistal den Wohnungsbau ausgerechnet in einem der beliebtesten Stadtviertel? Die Bezirksregierung droht, der OB grummelt, und Baudezernentin wie Stadtwerke verteidigen sich jetzt: „Schneller ging’s nicht...“

Eine schrumpfende Stadt, die wachsen will, aber nicht darf, weil ein Entwässerungs-Stau seit Jahr und Tag neuen Wohnungsbau und damit neue Zuzügler in einem besonders beliebten Stadtquartier ausbremst: Wo dieser Vorwurf im Raum steht, da ist die bohrende Frage nach den Schuldigen nicht weit. Und deshalb beeilten sich gestern Baudezernentin Simone Raskob genauso wie die Stadtwerke Essen zu erklären, was einem auf den ersten Blick irgendwie unerklärlich erscheint: Wie kann ein sattsam bekannter Missstand, den man schon vor acht Jahren hat angehen wollen, so eskalieren, dass die Kommunalaufsicht anno 2014 die Reißleine zieht?

Weil, so geben die Stadtwerke zu bedenken, der geplante Bau eines Abwasserkanals im Walpurgistal, zwischen Rüttenscheid und Rellinghausen, Bergerhausen und Stadtwald, zu den wohl kompliziertesten Projekten gehört, die man je zwischen den Fingern hatte: 1,7 Kilometer Kanalstrecke, die eine 323 Hektar (= 650 Fußballplätze) große Fläche im Stadtgebiet entwässern soll; Rohre mit bis zu 4,40 Metern Durchmesser; ein Kanal, der unter Höchstbelastung 40 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in die richtigen Wege leiten muss; und ein Bau, der zu allem Überfluss bei Aufrechterhaltung des alten Kanalsystems zu stemmen ist.

Reine Entwässerung ist Stadtwerkesache

Diese Zig-Millionen-Investition, sie fiel den Stadtwerken im Jahre 2006 vor die Füße, als der Ruhrverband durch Berechnungen erkannte, dass nicht mehr er das Vorhaben stemmen muss, wie bis dato kalkuliert. Denn die mechanische Reinigung des Schmutzwassers ließ sich schon im ersten Bauabschnitt sicherstellen. Für die reine Entwässerung aber sind nunmal die Stadtwerke zuständig, seit die Stadt das Kanalnetz und die Entwässerung in eine eigene Tochterfirma der Stadtwerke, die „EEG“ ausgliederte.

Seither kannte ein seit Jahrzehnten bekannter Problemstau eine neue Adresse: Und dort machte man sich, so betonen die Stadtwerke, umgehend an die Arbeit: Allein für die Frage, ob man den Kanalbau nun im unterirdischen Vortrieb oder in offener Bauweise errichtet, brauchte es Zeit bis Anfang 2008, die anschließende Entwurfsplanung zog sich bis März 2010 hin, und bis die Genehmigungsplanung unter Dach und Fach war, schrieb man bereits das Jahr 2014.

Parallel dazu mussten Gutachten beauftragt, und mit 44 betroffenen Grundstückseigentümern Vereinbarungen ausgehandelt werden, allein ein Kleingarten-Areal bescherte 70 Partner, und auch auf einen Ponyhof galt es, Rücksicht zu nehmen.

Genehmigungen per Ordnungsverfügung

Derweil war für die städtischen Planer das Leben alles andere als ein Ponyhof: Sie mussten ein ums andere Mal Kratzfuß’ bei der Bezirksregierung machen, damit diese die Entwässerungs-Genehmigungen per Ordnungsverfügung verlängerte. Bis den Düsseldorfern im Oktober offenbar die Hutschnur platzte und sie eine folgenschwere Formulierung aufnahmen: „Die entwässerungstechnische Erschließung dieser Gebiete ist z.Zt. nicht gesichert.“

Für weitere Baupläne im fraglichen Gebiet ein echtes Problem, doch Heinrich Busch vom Netz-Engineering der Stadtwerke sieht keine Versäumnisse auf Seiten seines Unternehmens: „Ich wüsste nicht, wie wir damit anders hätten umgehen können.“

Nachher gebe es immer „Superschlaue“, die es besser wüssten, so Heinrich Busch von den Stadtwerken, aber aus Sicht seines Unternehmens wäre ein verschärftes Tempo bei der Planung entweder auf Kosten der Sicherheit gegangen – die Kanaltrasse liegt schließlich in einem ehemaligen Bergbau-Areal – oder hätte ein erhöhtes Risiko bei der Bauausführung mit sich gebracht. Und schließlich, auch wenn man der ursprünglichen Zeitplanung hinterherhinke: Mit dem Bau wurde bereits begonnen, Versorgungsleitungen wurden bereits umverlegt, vorbereitende Rodungsarbeiten laufen schon seit Februar. Wenn alles gut geht, ist der neue Kanal im Walpurgistal Anfang 2018 am Netz.

Bezirksregierung lässt sich nicht mit Versprechnungen abspeisen

Doch mit dem Verweis, die Lösung sei ja irgendwie schon im Kommen, lässt sich die Bezirksregierung in Düsseldorf augenscheinlich nicht abspeisen. Ihr Sprecher William Wolfgramm betonte gestern auf NRZ-Anfrage, dass der Stadt das Problem des hydraulisch überlasteten Sammlers im St. Annental seit vielen Jahren bekannt sei, „das ist ja nichts Neues“. Also man in den neuen Verfügungen darauf hingewiesen.

Dass die vier neuen Verfügungen nach Jahr um Jahr durchgewinkten „Ausnahmen“ jetzt erstmals einen strengeren Passus enthalten, der zuletzt fehlte, mochte Wolfgramm gestern nicht kommentieren. Er ließ zudem offen, ob für den Fall, dass die Bezirksregeierung hart bleibt, bei einzelnen Lückenschlüssen ausnahmsweise Baugenehmigungen möglich sind. Grundsätzlich gelte jedenfalls: Die Entwässerungs-Situation darf sich nicht verschlechtern, und das heißt: Neue Baugebiete werden erst abgesegnet, wenn der Mega-Kanal am Netz ist.

Baudezernentin ist alarmiert

Baudezernentin Simone Raskob ist alarmiert: „Ich kann nicht versprechen, dass wir diese Verfügung wegbekommen“, bekannte sie gestern. Versuchen wird man’s, immerhin ist die Stadt aufgefordert, im Rahmen einer formellen Anhörung bis zum 9. Januar ihre Sicht der Dinge zu schildern. Danach will die Bezirksregierung entscheiden, wie sie weiter vorgeht. Sich mit ihr über eine Klage beim Verwaltungsgericht anzulegen, gilt als heikel. „Ob wir unsere bisherigen Spielräume weiter nutzen können, müssen wir prüfen“, so Raskob.

Oberbürgermeister Reinhard Paß ließ gestern offiziell seinen „Unmut“ über das befürchtete Entwicklungshemmnis für die Stadt verkünden. Ob er damit jemanden persönlich im Auge hat, blieb offen.