Essen. Berufsberater haben momentan viel zu tun, denn die Bewerbungsphase um Lehrstellen ist bereits in vollem Gange. 50 bis 60 Versuche sind in der Regel nötig, bis der ersehnte Ausbildungsvertrag in den Briefkasten flattert. Der Terminkalender von Beraterin Stephanie Temmen ist dementsprechend voll.
Berufsberaterin Stephanie Temmen hat in diesen Tagen viel zu tun. Acht persönliche Beratungsgespräche sind es in der Regel pro Tag. Dazu kommen zahlreiche Informationsveranstaltungen an Schulen und auf Messen. Gerade im Herbst fragen viele Jugendliche um Rat, denn wer einen Ausbildungsplatz für das kommende Jahr sucht, der muss spätestens jetzt fleißig Bewerbungen schreiben. 50 bis 60 Versuche sind in der Regel nötig, bis der ersehnte Lehrvertrag in den Briefkasten flattert – entsprechend voll ist derzeit Temmens Terminkalender. Doch nicht alle Jugendlichen haben genaue Vorstellungen davon, was sie machen wollen. Viele sind verunsichert, haben Angst, sich für den falschen Lehrberuf zu entscheiden und bewerben sich für ganz verschiedene Branchen, ohne sich darüber ausreichend informiert zu haben. Wieder andere suchen bei der Agentur für Arbeit nach einer ersten Orientierung.
Bei der Berufswahl spielen vor allem die Medien eine große Rolle. Was in der Vorabendserie als trendig und modern präsentiert wird, landet kurze Zeit später als Berufswunsch auf dem Schreibtisch von Stephanie Temmen. Die gebürtige Niedersachsin verdreht kurz die Augen, als sie auf „mieten, kaufen, wohnen“ angesprochen wird. Der Sender Vox hat bereits über 1000 Folgen seiner erfolgreichen Doku-Soap ausgestrahlt. Resultat: Seit dem Serienstart wollen deutlich mehr Jugendliche Immobilienkaufmann werden. Entsprechende Anfragen mit Verweis auf das TV-Format erhält Stephanie Temmen fast täglich. Ähnlich verhält es sich mit den momentan so beliebten Kochshows.
Temmens Tipp: Lehrer und Eltern fragen
„Den meisten ist schon klar, dass diese Sendungen realitätsfern sind“, berichtet Temmen. „Wir gucken dann gemeinsam, wie der Arbeitsalltag tatsächlich aussieht, welche Qualifikationen erforderlich sind, und ob der Beruf zu einem passt.“ Im vergangenen Jahr gab es in Essen insgesamt 3.612 Ausbildungsplätze. Bei den Männern zählt nach wie vor der Kfz-Mechatroniker zu den beliebtesten Berufen. Junge Frauen wollen besonders gerne Medizinische Fachangestellte oder Kauffrau im Einzelhandel werden. Aber auch Bürokaufmann, Industriekaufmann, Verkäufer und Bankkaufmann stehen bei beiden Geschlechtern ganz hoch im Kurs. Entsprechend groß ist hier auch die Konkurrenz.
Stephanie Temmen wusste bereits in der 9. Klasse, das sie Berufsberaterin werden will. Noch heute erinnert sie sich gut an diese Lebensphase und an die Fragen, die man sich in dem Zusammenhang stellt. „Mein Tipp für alle, die noch nicht genau wissen, was sie machen sollen, lautet: Fragt Lehrer und Eltern. Was kann ich gut, was kann ich nicht so gut und was macht mir Spaß?“, sagt Temmen. In ihren Kundengesprächen stellt die Essenerin dann auch oft genau diese Fragen, um ein Gespür für die Jugendlichen zu bekommen. „Ich frage zum Beispiel, was die Eltern machen, was die Lieblingsfächer sind und wie der Alltag des Schülers ist, was seine Hobbys sind.“
Manche Ausbildungsbetriebe haben 20 freie Stellen
Manchmal klaffen dann jedoch Wunsch und Wirklichkeit auseinander. Entweder, weil die Jugendlichen mit recht exotischen Berufen liebäugeln – oder weil für die Tätigkeit ein Studium notwendig ist. „Der Arzt ist ein gutes Beispiel“, erklärt Temmen. „Viele wollen Arzt werden, wissen aber gar nicht, was man dafür machen muss. Dann kommt die Info, dass man lange studieren muss und die Ausbildung sehr anspruchsvoll ist.“ Die Berufsberaterin greift in solchen Fällen zu einem der Bücher auf ihrem Schreibtisch oder verweist auf die Online-Angebote der Agentur.
Auf ihrem Rechner öffnet sich eine Liste mit Ausbildungsstellen zum Tierpfleger – auch ein sehr gefragter Beruf. Allerdings gibt es in Essen keine und im Umfeld von 50 Kilometern insgesamt nur fünf Stellen für diesen Lehrberuf. Dann tippt Stephanie Temmen „Kaufmann im Einzelhandel“ in die Suchmaske. Ein paar Sekunden später spuckt der Computer weit über 200 Angebote aus – mehr als die Abfrage auf einmal erfassen kann. Temmen: „Schon in der Stadt Essen gibt es 130 Ausbildungsbetriebe. Manche davon haben bis zu 20 freie Stellen.“
Wenn es dann irgendwann mit der Bewerbung klappt, landen hin und wieder Danke-Mails im elektronischen Postfach der Berufsberater. Manchmal gibt es auch Tränen. Die aktuellen Bewerber werden sich noch ein wenig gedulden müssen. Während die Fristen in den kaufmännischen Berufen größtenteils abgelaufen sind, fangen Handwerksbetriebe erst jetzt mit ihrer Suche an. „Im nächsten Schritt geht es zum Test und zum Gespräch. Auch darauf bereiten wir vor“, sagt Temmen. Manche Jugendliche wird die junge Beraterin noch mehrfach sehen, denn mit einem einzigen Gespräch ist es nicht getan. Temmen: „Das Verfahren wird sich noch bis ins Frühjahr hinziehen.“