Essen. In den vergangenen 30 Jahren hat der Verein Schuldnerhilfe in Essen 26.000 Menschen aus der Schuldenfalle geholfen. Die Anfänge waren jedoch mühsam und mit viel Bitten und Betteln verbunden. Ein Interview mit zwei Kämpfern der ersten Stunde.

Der Verein Schuldnerhilfe Essen gehörte vor 30 Jahren zu den Vorreitern der Schuldnerberatungen in Deutschland. Der Vorsitzende Hartmut Laebe (61) und Wolfgang Huber (58), Leiter der Beratungsstelle, erinnern an den Pioniergeist und die Hürden damals.

Herr Laebe, Herr Huber, Sie sind sozusagen die Zwegats von Essen.

Hartmut Laebe: Bis zu einem gewissen Punkt mag das stimmen. Herr Zwegat ist ein Kollege, der weiß, was er erzählt. Ab dem Punkt aber, an dem er sich im Fernsehen vermarktet, trennen sich die Gemeinsamkeiten. Oder wäre das was für Dich, Wolfgang?

Wolfgang Huber: Nein, auf keinen Fall.

Hat die TV-Sendung in der Wahrnehmung dennoch genützt?

Laebe: Durchaus. Es gab Zeiten, da sind die Leute Tage ums Haus geschlichen und haben sich nicht in die Beratung getraut, aus Scheu, weil jeder hätte sehen können, dass sie zur Schuldnerhilfe gehen. Das ist heute kein Thema mehr.

Was hat sich in den 30 Jahren Vereinsarbeit verändert?

Laebe: Wir haben Dinge erreicht, von denen wir das nie geglaubt hätten, allem voran die Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz. Ein weiterer Erfolg aus meiner Sicht ist, dass die Schuldnerhilfe heute ein fester Bestandteil im sozialen Beratungsangebot der Stadt ist. Sie wird nicht mehr in Frage gestellt.

Das war früher anders?

Huber: Als ich vor 34 Jahren Schuldnerberater wurde, gab es den Beruf noch gar nicht. Ich war der Fünfte in Deutschland. Damals haben mich Außenstehende oft gefragt, was das für ein Job ist. Und es folgte die ungläubige Frage: Was, die Leute machen Schulden und denen wird auch noch geholfen? Ich hab’ dann meist den Vergleich mit Alkoholikern bemüht – auch wenn der etwas hinkt. Aber die Leute mit Schulden sind ebenfalls in einer Notlage. Es gab keine gesellschaftliche Akzeptanz für diese Arbeit. Das änderte sich erst Ende der 80er Jahre.

Wie wurden Sie Schuldnerberater?

Huber: Ich bin als angehender Sozialarbeiter über dieses Problem gestolpert.

Laebe: Bei mir war es ähnlich. Ich sollte mich als Sozialarbeiter bei der Stadt um Menschen kümmern, denen die Obdachlosigkeit drohte. Zu uns sind nur Leute mit Mietschulden gekommen. Doch schnell wurde klar, dass die Mietschulden nicht die Ursache des Problems sind. Aber uns waren da die Hände gebunden. Aus dieser Erkenntnis heraus haben wir den Verein Schuldnerhilfe gegründet.

Damals gab es das Verbraucherinsolvenzverfahren noch gar nicht. Wie konnten Sie überhaupt helfen?

Laebe: Wir konnten nur an die Gläubiger appellieren. Viele Banken haben einfach den Telefonhörer aufgelegt.

Informationen zum Verein Schuldnerhilfe

Der VSE ist die bundesweit älteste Schuldnerberatungsstelle in freier Trägerschaft.

In den vergangenen 30 Jahren suchten rund 26 000 verschuldete Essener die Hilfe des VSE. Etwa 2700 Mal begleiteten die Berater überschuldete Menschen in die Verbraucherinsolvenz. Der Bedarf wächst: Dieses Jahr dürfte die Zahl der Erstberatungen erstmals die 1400er Marke deutlich überschreiten.

Der Verein finanziert sich aus städtischen und Landesmitteln, sowie Sponsorengeldern.

Kontakt: 82 72 60

Huber: Dass das Thema Schuldnerberatung in den 80ern aufkam, ist kein Zufall. Die ersten Konsumentenkredite gab es in den 60ern. Die 70er Jahre waren goldene Jahre, da konnten viele Menschen die Kredite noch bedienen. Erst in den 80ern, als die Arbeitslosigkeit zunahm, gab es die ersten Probleme, die sich bis heute durchziehen.

Welcher Fall ist Ihnen in Erinnerung geblieben?

Laebe: Die erste Verbraucherinsolvenz Deutschlands. Die haben wir gehabt.

Huber: Als das Gesetz 1999 in Kraft trat, hat unsere Kollegin einfach losgelegt. Bei dem Fall handelte es sich um eine Friseurin mit kleinem Einkommen und Unterhaltspflichten. Es war klar, dass sie die nächsten Jahre keinen Pfennig zurückzahlen kann. Trotzdem haben wir den Gläubigern eine kleine Summe angeboten. Doch die haben abgelehnt. Nach 20 Jahren Bitten und Betteln bei Gläubigern konnte man nun endlich sagen: Dann gehen wir ins Insolvenzverfahren. Dann haben die eben nichts bekommen.

Das Insolvenzverfahren ist ja nicht unumstritten, da es auch zum Schuldenmachen einladen könnte.

Laebe: Die kritischen Töne kennen wir. Ich will auch nicht ausschließen, dass es Menschen gibt, die unvorsichtig Kredite aufnehmen. Aus unserer Praxis wissen wir aber, dass die meisten unverschuldet hineingeraten sind. Durch Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit. Und wenn ich die hohe Sockelarbeitslosigkeit und die zunehmenden prekären Arbeitsverhältnisse in Essen sehe, dann frage ich mich, wie die Menschen eine Chance bekommen sollen, ihre Schulden abzubezahlen.

Was bleibt zu tun?

Laebe: Wir kämpfen weiter für das Verursacherprinzip. Das heißt eine Beteiligung der Banken an der Finanzierung der Schuldnerberatung.

Und wie sehen die nächsten 30 Jahre für den Verein aus?

Laebe: Ich mache den Vorsitz sicher keine 30 Jahre mehr. Wir müssen die Verantwortung in jüngere Hände legen. Aber ich glaube nicht, dass das unter einer ehrenamtlichen Führung wie heute noch geht. Wir werden einen Weg finden müssen, wie wir die Existenz der Schuldnerhilfe mit ihren 16 Mitarbeitern sichern können. Es gibt dazu Überlegungen, aber die will ich noch nicht verraten.