Duisburg-Friemersheim. Ab 4. Juli widmet das Museum St. Laurentius dem Grafiker Heinz Kiwitz (1910-1938) die Ausstellung „Lesefrüchte“ mit Holzschnitten zur Literatur.

Als die Nazis im März 1933 das Atelier des jungen Heinz Kiwitz in Berlin verwüsteten, hatte dieser als Grafiker gerade Fuß gefasst. Seine Drucke griffen soziale Probleme auf, kritisierten die Medienpolitik der späten Weimarer Republik, den Weg Hitlers in die Politik. Jetzt bekam der 22-Jährige die Wucht der Diktatur am eigenen Leib zu spüren. Kiwitz kehrte zu seinen Eltern nach Duisburg zurück, wo er verhaftet wurde. Als man ihn entließ, vernichtete er aus Angst vor weiteren Repressalien die meisten seiner politisch-satirischen Blätter und wandte sich wieder unpolitischen Themen zu; bereits als Jugendlichen hatten ihn literarische Figuren fasziniert.

Und so blickt der, der heute die neue Sonderausstellung im Museum St. Laurentius besucht, auf eine andere Seite des politischen Künstlers. „Lesefrüchte“, rund 80 Holzschnitte und einige Linolschnitte, entführt in die Welt fiktiver Helden wie Rübezahl und Don Quijote. Ausstellungsmacher Horst Günter Krusch kann dabei viel erzählen über ihren Schöpfer Kiwitz, ein großer Menschenfreund und begnadeter Erzähler, der nur kurze Zeit später im Kampf gegen den Faschismus getötet wurde.

Für weitere Nachrichten aus Duisburg können Sie hier unseren Newsletter abonnieren

Einen wunderbaren Rundgang haben Sabine Haustein, Burkhard Biella und Horst Günter Krusch in Friemersheim eingerichtet. Chronologisch sortiert nach Schaffensjahren und in kleine Themenpäckchen geschnürt, führt er einmal quer durch die Weltliteratur – von Oscar Wildes eitlem Dorian Gray, dem der junge Kiwitz bereits 16-jährig Arbeiten widmete, über Charles de Costers kämpferischen Ulenspiegel und Sophokles mutige „Antigone“ bis zu Georg Büchners tragischem „Woyzeck“. Wer nicht sattelfest ist, was die Vorlagen betrifft, kann unbesorgt sein. Das rührige Kuratoren-Trio gibt Besuchern einen Audioguide an die Hand. Und so wird die Zeit, die man hier in Kiwitz’ Welt verbringt, keine kopflastige Tour-de-Force, sondern eine entspannte Reise in die Phantasie.

Einige der Exponate in Friemersheim wurden noch nie gezeigt

Krusch ist stolz, eine derart schöne Schau vorstellen zu können. Bereits das Sammeln der Exponate war aufwendig. Neben Heinrich Johannes Siepmann, der als Neffe den Nachlass des Künstlers verwaltet, stellten Privatleute Arbeiten zur Verfügung, was einiges ans Tageslicht befördert hat: Ein paar Drucke wie etwa ein Holzschnitt der Reihe „Don Juan und Faust“ wurden noch nie gezeigt. Denn auch wenn Krusch Heinz Kiwitz als wichtigsten Duisburger Künstler nach Wilhelm Lehmbruck bezeichnet – so richtig populär ist er nie geworden. Bis heute gibt es kein Werkverzeichnis.

Auch interessant

Ungerecht, denkt man auf dem Weg durch die Schau mit all ihren Begegnungen, pointiert in Szene gesetzt, mal dramatisch, mal witzig, mal böse – immer meisterhaft gezeichnet, geschnitzt, schraffiert.

Don Quijote und sein Kampf gegen Windmühlen

Wir folgen Dorian Gray bis zu seinem Tod im Lampenschein, endlich ein Greis unter dem Jugendporträt. Wir erleben den abenteuerlustigen Simplicissimus und Straßenräuber Olivier im Zweikampf, der zum Beginn einer Freundschaft wird – Hommage an Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, sechs Illustrationen lang. Wenig weiter: Miguel de Cervantes Don Quijote, Ritter von trauriger Gestalt, dem Fiktion und Realität gehörig durcheinandergehen. Erweiterung zur Abstraktion inklusive: Dieser Kampf gegen Windmühlen kann es aufnehmen mit der Phantasie der großen Expressionisten.

Meist hat sich Kiwitz an der Vorlage orientiert. Manchmal hat er sie weitergesponnen. Das zeigt sich bei Enak, Hans Falladas Knecht aus dem „Märchen vom Stadtschreiber, der aufs Land flog“, dem er eine eigene, aus 53 Holzschnitten bestehende Bildergeschichte auf den Leib schnitzte („Enaks Geschichten“). Ein anderer Fall ist Rübezahl, der sagenhafte Riese, „pechrabenschwarze Gestalt von übermenschlicher Größe“, den Kopf gern mal unter dem Arm. Er erschreckt nicht nur alle Welt zu Tode. Sondern entpuppt sich auch als Freund der Kinder, indem er sie über den Fluss trägt. Für Sonderlinge hatte Kiwitz etwas übrig, bestätigt Kurator Krusch. Vielleicht, weil er selbst allein optisch aus der Reihe stach: Mit 1,95 Metern war der Künstler für die damalige Zeit ein Riese.

Die Spur des Künstlers verliert sich in der Schlacht am Ebro

Bis zu Felix Timmermans „Franziskus“ (1936) führt die Reise und endet doch mit einigen politischen Arbeiten: Bücherverbrennung, KZ-Lager und Gestapofolter sind als Kopien zu sehen. Inzwischen lebte Kiwitz in Paris, wo er sich dem Widerstand gegen den Faschismus anschloss. Im Februar 1938 beteiligte er sich an der Ausstellung „Fünf Jahre Hitler-Diktatur“, im März ging er zu den Internationalen Brigaden, die im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Franco-Faschisten kämpften. Seine Spur verliert sich im Sommer in der Schlacht am Ebro.


>>> Die Ausstellung <<<

Die Ausstellung „Heinz Kiwitz: Lesefrüchte“ wird am 4. Juli, 14 Uhr, eröffnet (bis 6. März 2022). Das Museum St. Laurentius liegt an der Martinistraße 7, 47229 Duisburg. Eintritt frei, Spenden willkommen. Der Katalog kostet 13 Euro

Öffnungszeiten sind an jedem 1. Sonntag im Monat, 14 bis 17 Uhr. Info: www.sandor-szombati.de/m-aktuelles.htm