Duisburg-Rheinhausen. Neue Hausarztpraxis am legendären Tor 1 in Rheinhausen wird zum Museum. Wie Bahar Tekin die vielleicht ungewöhnlichste Praxis Duisburgs eröffnet.

Wer zu Bahar Tekin möchte, der muss über die Brücke der Solidarität. Es führt kein Weg daran vorbei: Die Ärztin hat ein Bild des berühmten Bauwerks, das nicht nur Rheinquerung, sondern auch Mahnmal für den Arbeitskampf der Kruppianer ist, auf einen Teppich drucken lassen. Und über diesen wird künftig jeder schreiten, der die neue Hausarztpraxis der 41-Jährigen betritt. Franz-Schubert-Straße 1? Hier war doch mal was. „Wir sind im ehemaligen Verwaltungsgebäude von Krupp“, sagt Bahar Tekin, die hier auf 320 Quadratmetern geschichtsträchtigem Boden optisch die vermutlich ungewöhnlichste Arztpraxis der Stadt eröffnen wird.

Die Rheinhauser können sich nicht nur freuen, dass sie ab dem 31. Mai mit dem neuen Angebot der Internistin eine weitere Adresse für die hausärztliche Versorgung haben werden. Sie bekommen auch einen Ort, an dem die Ära der Rheinhauser Hüttenwerke einen Platz der Erinnerung haben soll. „Krupp war nicht nur ein Arbeitgeber, sondern für viele ein Teil ihrer Identität.“ Bahar Tekin weiß, wovon sie spricht. Die Ärztin ist ein Gastarbeiterkind, geboren in Ostanatolien, als Achtjährige dem Papa nach Deutschland gefolgt, wo er bei Krupp einen Job als Brenner und Schweißer gefunden hatte.

Bahar Tekin in einem ihrer Sprechzimmer. Die Einrichtung der ganzen Praxis in Duisburg-Rheinhausen rankt sich um die Industriegeschichte.
Bahar Tekin in einem ihrer Sprechzimmer. Die Einrichtung der ganzen Praxis in Duisburg-Rheinhausen rankt sich um die Industriegeschichte. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Das Thema Migration liegt der 41-Jährigen am Herzen. „Ich möchte mit meinem Hintergrund offen umgehen“, stellt sie klar. Und dazu gehört eben auch die Geschichte der Hüttenwerke, die den persönlichen Lebensweg ihrer Familie so entscheidend mitgestaltet hat. „Aber all das ist auch unsere gemeinsame Geschichte“, sagt sie. Was wäre denn Rheinhausen ohne Krupp?“

Hier hat einst das Herz derKrupp-Verwaltung geschlagen

Schon lange hatte Bahar Tekin den Wunsch, aktiv dazu beizutragen, dass die Erinnerungen an dieses so prägende Kapitel in Duisburgs Historie nicht verloren gehen. Eine Idee, die plötzlich sehr konkret wurde, als sie auf der Suche nach Räumen für ihre Praxis an der Franz-Schubert-Straße landete. Genau an dem Ort, wo einst das Herz der Krupp-Verwaltung geschlagen hat. Nur einen Katzensprung entfernt vom legendären Tor 1, das heute als Denkmal die Zufahrt zum Logport markiert.

Da war er, der Ort, den sie nicht gesucht und und doch gefunden hatte. Von da an ging alles ganz schnell. Die Ideen sprudelten. In ihrem Kopf formte sich das Konzept, das ihre „Praxis am Tor 1“ zu einem besonderen Ort machen wird. „Da, wo etwas endet, entsteht Raum für Neues.“ So beschreibt die Internistin den Spagat zwischen Geschichte und hoffnungsvoller Zukunft, den sie hier leben möchte. In diesem Fall hat das Ende von Krupp in Rheinhausen Platz für ihre Praxis gemacht.

In der Arztpraxis stehen Vitrinen für die Erinnerungsstücke an die Krupp-Ära

Bahar Tekin entwickelte ein Logo, das für ihre Praxis steht. Es zeigt das Tor 1 aus der Vogelperspektive. Sie ließ Wände mit feurigen Motiven aus der Stahlindustrie tapezieren und den Tresen der Anmeldung ebenfalls in Form des Tor 1 gestalten. Das Herzstück ihres Vorhabens sind die Vitrinen, die sie für den Eingangs- und Wartebereich anfertigen ließ. Hier ist Platz für die Krupp-Erinnerungen der Rheinhauser.

Auf der Suche nach Gleichgesinnten, die etwas für Rheinhausen tun wollen und sie beim Aufbau der Ausstellung vielleicht unterstützen können, ist Bahar Tekin auf die Initiative „Du bist Rheinhausen“ gestoßen. Ein Glückstreffer, denn die engagierte Gruppe sieht sich als Anlaufstelle für all die Menschen im Stadtteil, die die Ärmel hochkrempeln und ihre Heimat selber mitgestalten wollen. Und nachdem sich „Du bist Rheinhausen“ anfangs mehr auf Zukunftsprojekte gestürzt hatte, wollen sie jetzt auch die Vergangenheit mit ins Boot holen.

Logport 1, 2 und 3 heißen die Sprechzimmer. Nicht nur die Krupp-Historie bekommt einen Platz in den Vitrinen der Rheinhauser Praxis. Auch Duisburgs Logport-Gegenwart gehört dazu.
Logport 1, 2 und 3 heißen die Sprechzimmer. Nicht nur die Krupp-Historie bekommt einen Platz in den Vitrinen der Rheinhauser Praxis. Auch Duisburgs Logport-Gegenwart gehört dazu. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Da passt die Zusammenarbeit mit Bahar Tekin ganz wunderbar“, sagt Sabine Hildebrand, eine der Initiatorinnen von „Du bist Rheinhausen“. Und so trommelt die mittlerweile schon sehr gut vernetzte Gruppe nun unter dem Motto „Hömma! Rheinhausen erzählt“ gemeinsam mit der Hausärztin dafür, dass sich Menschen finden, die mithelfen, die Vergangenheit der Stahlindustrie für die nachfolgenden Generationen zu bewahren. „Nur wenn wir die Geschichte unseres Stadtteils verstehen und würdigen, können wir auch gemeinsam die Zukunft gestalten.“

Wer hat noch Helme oder Mitarbeiterausweise?

Gesucht werden jetzt „Geschichtenretter“, die ihre Erinnerungen teilen wollen. Das können Erzählungen oder kleine Anekdoten rund um die Arbeit bei Krupp sein. Außerdem werden Gegenstände für die Vitrinen der Praxis am Tor 1 als Leihgaben gesucht. Mitarbeiterausweise, Schlüssel, Auszeichnungen, Kleidungsstücke, Namensschilder, Fotos. Jede Kleinigkeit ist willkommen. „Erste Sachen haben wir schon“, freut sich Bahar Tekin. Zum Beispiel die letzte Schiene, die in den Hüttenwerken produziert wurde. Tekin selber wird übrigens die Geschichte ihres Vaters erzählen. Ein Stück Erinnerung, das über das von der Arztpraxis selber produzierte „Wartezimmer-TV“ präsentiert wird. Wer mag, kommt mit seinen Beiträgen über Krupp also sogar ins Fernsehen.

Die Patienten dürfen in der neuen Praxis in bequemen Sesseln sitzen

Mit bequemen Sesseln hat die Internistin ihre Hausarztpraxis ausgestattet. „Hier muss keiner auf Holzstühlen hocken“, sagt sie. „Rheinhausen wird oft genug schlechtgeredet. Da war es mir wichtig, mit einer gehobenen Ausstattung gegenzusteuern. Das sind wir uns hier wert im Stadtteil!“ Wie das ungewöhnliche Gesamtkonzept bei den Patienten ankommt, wird sich nach der Eröffnung am 31. Mai zeigen. Gefreut hat sich die Chefin neulich über ein Kompliment des Bauleiters: „Wenn man hier in die Praxis reinkommt, fühlt man sich sofort gesund.“

>>> GESCHICHTENRETTER GESUCHT: BEI DER AUSSTELLUNG KANN JEDER MITMACHEN

  • Hausärztin Bahar Tekin und die Initiative „Du bist Rheinhausen“ suchen gemeinsam nach Menschen, die ihre Erinnerungen an die Krupp-Ära in Rheinhausen mit ihnen teilen. Präsentiert werden sollen Ausstellungsstücke wie Fotos oder Arbeitskleidung in Vitrinen in der Arztpraxis am Tor 1. Erzählte Geschichten können auf der Internetseite von „Du bist Rheinhausen“ öffentlich gemacht werden oder im „Wartezimmer-TV“ ausgestrahlt werden.
  • Ansprechpartnerin für alle Rheinhauser, die etwas über Krupp teilen möchten, ist Sabine Hildebrand. Am besten erreichbar per E-Mail unter geschichtenretter@du-bist-rheinhausen.de. Wer ihr auf diesem Wege eine Telefonnummer hinterlässt, wird zurückgerufen. Wer keinen Zugang zum Internet hat, kann auch einen Brief schicken an Sabine Hildebrand, Paschacker 57, 47228 Duisburg.
  • Am 31. Mai eröffnet Bahar Tekin ihre Hausarztpraxis am Tor 1, Franz-Schubert-Straße 1, 02065 9881190.