Duisburg-Ruhrort. Um sich einen Traum zu erfüllen, zog René Schiering extra nach Ruhrort: Dort schrieb er die Biografie der Punkband „Abstürzende Brieftauben“.

Bei den Messdienern lernte René Schiering das erste Mal Punkrock kennen. So wuchs in ihm schon als Junge der Wunsch, die Geschichte seiner neuen Lieblingsband „Abstürzende Brieftauben“ aufzuschreiben, die sich Jahre später auflöste. „Ich wusste immer: Wenn ich eine Biografie schreibe, dann über sie“, sagt der heute 43-jährige Punker. Dies schien jedoch unmöglich, nachdem 2006 das Gründungsmitglied Konrad Carls starb. Aber dann gründete sich die Band, das Aushängeschild des deutschen Fun Punks, mit Verstärkung 2013 neu und engagierte ihn prompt als Biograf – nur zwölf Minuten nach seiner Anfrage. Um sich seinen Kindheitstraum zu erfüllen, zog er extra nach Ruhrort – wegen der Atmosphäre im Hafenstadtteil, aus der er viel Inspiration schöpft.

Die „Abstürzenden Brieftauben“ aus Hannover sind das Aushängeschild des deutschen Fun Punks. Konrad Carls (geb. Kittner, links) und Mirco „Micro“ Bogumil auf dem Cover eines Demos von 1984.
Die „Abstürzenden Brieftauben“ aus Hannover sind das Aushängeschild des deutschen Fun Punks. Konrad Carls (geb. Kittner, links) und Mirco „Micro“ Bogumil auf dem Cover eines Demos von 1984. © Privatarchiv | Paul M. Berger

Der gebürtige Gladbecker, der jetzt in Gelsenkirchen wohnt, mag das Bodenständige an seiner alten Wahlheimat Ruhrort, ihm gefällt das „urige Milieu“, dem die Schimanski-Tatorte ein Denkmal gesetzt haben.

In Ruhrort mit Punkern, Künstlern, Tätowierern und Studenten zusammengelebt

„Es war sehr wichtig, dass ich hier war, um das Buch zu schreiben“, sagt der promovierte Sprachwissenschaftler, der sich gerne im Alltag mit dem umgibt, womit er sich auch beruflich beschäftigt und so zu einem teilnehmenden Beobachter wird. So hielt es der frühere Uni-Dozent schon bei der Feldforschung. „Hier war ich genau im richtigen Viertel und hatte die richtigen Nachbarn“, betont er über seine Zeit in Ruhrort. Zwei Jahre lang lebte er mit Punkern, Künstlern, Tätowierern und Studenten zusammen in der sogenannten Punkeria an der Harmoniestraße. Dort hatte er zuvor selbst mit seiner Punkrockband Rockwohl Degowski ein Konzert geben.

Der Ruhrpott-Köter kommt heim nach Gelsenkirchen Für seine Recherche und für Interviews mit Zeitzeugen und Weggefährten ist er von Duisburg aus quer durch die ganze Republik gereist. Tatsächlich sollte das Buch ursprünglich bereits 2015 erscheinen. Jedoch verzögerten Diskussionen mit verschiedenen Verlagen über das Manuskript das Projekt jahrelang, bis schließlich die „Abstürzenden Brieftauben“ den Verlag ihres Managements ins Boot holten. Der Biograf nutze indes die Zeit, sein Werk zu überarbeiten und zu erweitern. „Das hat dem Buch gutgetan“, räumt er ein – und diesmal ist es tatsächlich gedruckt worden.

Bravo-Cover, Kinofilm: Fun Punk wird zur deutschen Modeerscheinung

Am Beispiel des Hannoveraner Punk-Duos erzählt Autor René Schiering „wie die Punkwelle in den 70ern nach Deutschland geschwappt ist, wie in der zweiten Generation der Fun Punk aufkam und zu einer deutschen Modeerscheinung wurde“. Daran hatten die beiden Punkrocker Mirco „Micro“ Bogumil und Konrad Carls (geb. Kittner) als Trendsetter großen Anteil, nachdem die Jugendzeitschrift Bravo sie für sich entdeckt hatte. Dadurch erlangten die „Abstürzenden Brieftauben“ größere Bekanntheit in der BRD, es folgten Auftritte im Fernsehen und sogar ein Gastauftritt in Hape Kerkelings erfolgreichem Kinofilm „Kein Pardon“.

„Das ist eine geile Geschichte“, sagt Schiering aufrichtig, der sein Geld sonst beim Privatfernsehen verdient. In seinen Drehbüchern schickte er anfangs tätowierte Muskelprotze und dralle Blondinen auf Verbrecherjagd, neuerdings kämpft darin Anwalt Ingo Lenßen für Gerechtigkeit. „Junkies, Säufer, Zuhälter und Nutten, das sind meine Themen“, sagt er und meint neben den Drehbüchern auch seine Ruhrpott-Romane.

Mirco „Micro“ Bogumil (links) und Konrad Carls (geb. Kittner) auf einem der späteren Pressefotos.
Mirco „Micro“ Bogumil (links) und Konrad Carls (geb. Kittner) auf einem der späteren Pressefotos. © Independent Entertainment | Andreas Barthel

Bei der Bandbiografie spart er ernste Themen nicht aus, behandelt die Alkoholkrankheit und den Tod von Konrad Carls aber äußerst pietätvoll. Dass er Fan geblieben ist, verhehlt er nicht, bemüht sich aber um eine objektive Sichtweise. So schreibt er auch kritische Äußerungen auf, etwa von Rodrigo González (Die Ärzte). Denn auch andere prägende Punkbands dieser Ära finden Erwähnung, vor allem die Toten Hosen, die Ärzte und Goldene Zitronen.

So habe er das Buch, das die Geschichte der klassischen Besetzung der „Abstürzenden Brieftauben“ erzählt, nicht nur für Fans geschrieben, sondern für alle, die sich für die Jugendszene von damals und für Funk Punk im Speziellen interessieren.

„Wenn alles gut läuft, kann ich davon leben wie Charlie Harper“, sagt René Schiering und lacht. Diese Hoffnung äußerte er bereits augenzwinkernd 2015, als das erste Manuskript gerade fertig war.

Duisburg als Sehnsuchtsort inspiriert auch weitere Buchprojekte

Damals war Ruhrort noch seine Wahlheimat, diesmal ist er nur zu Besuch hier. „Duisburg war schon immer für mich ein Sehnsuchtsort“, sagt er am Friedrichsplatz auf einer Sitzbank, während er auf den Zug nach Hause wartet, und erinnert sich, wie er oft als Junge frühmorgens mit seinem Vater am Duisburger Rheinufer angeln war.

Während er in der Punkeria die Bandbiografie schrieb und günstige Frischeiwaffeln mit Dosenpfirsichen und Sprühsahne zum Abendbrot aß, zog es ihn oft zum Hafen. Dort genoss er die Ruhe, kriegte den Kopf frei und tankte neue Kraft. Dieses Kapitel ist zwar vorbei, doch er möchte es nicht missen. Allerdings bleibt Ruhrort für ihn ein Inspirationsquell. So schreibt er gerade an einem neuen Roman seiner Reihe „Ruhrpott-Köter“. Dieser spielt zwar nicht in Duisburg, aber René Schiering versichert: „Da wird viel aus meiner Zeit hier einfließen.“

>> DIE BIOGRAFIE GIBT’S MIT BONUS-CD

● Die Sicht des verstorbenen Konrad Carls ist dank eines bislang unveröffentlichten Interviews aus 2005 in die Biografie berücksichtigt. Ebenso ein Gespräch seiner Witwe Birgit Carls (2017) mit dem Band-Management Independent Entertainment.

● René Schiering, „Heute doof, morgen doof und übermorgen wieder – die Geschichte der Abstürzenden Brieftauben“, Softcover, Robido Verlag, 236 Seiten, ISBN 978-3-946519-01-0; mit vielen Fotos aus Privatarchiven und dem Song „Tanzen“ auf Bonus-CD, 15 Euro, www.independent-entertainment.de