Horst. . Punker, Schriftsteller und Musiker René Schiering zieht in seine Heimat Gelsenkirchen zurück. Nicht zuletzt für den schönsten Tag seines Lebens.
Nach vielen Jahren ist der Schriftsteller und Musiker René Schiering zurück in seiner alten Heimat Gelsenkirchen. Dafür nimmt er stundenlanges Pendeln zur Arbeit nach Köln in Kauf. Die neue Wohnung in Horst ist zwar noch nicht fertig renoviert, doch das trübt seine Freude nicht. Er sagt: „Hier sind meine Wurzeln. Jetzt bin ich nach Hause gekommen.“
Aufgewachsen ist der 39-Jährige in Scholven, bevor seine Familie 1985 nach Gladbeck zog. Doch Gelsenkirchen ist stets in seinem Herzen geblieben. Seine Eltern betrieben eine Trinkhalle, nicht weit von Schierings jetziger Adresse. Dort half er als Junge oft mit, frische Brötchen für die Kunden zu schmieren. Es kamen viele Malocher, aber auch Partylöwen zum Katerfrühstück. Der Kiosk ist längst abgerissen, ein Wohnhaus steht jetzt dort. „Aber ich halte die Trinkhallenkultur immer noch hoch.“ Jeden Morgen auf dem Weg zur Straßenbahn geht er zum Kiosk um die Ecke, trinkt bei der osteuropäischen Betreiberin und ihren beiden Töchtern einen Kaffee und deckt sich mit „Kippen“ ein.
Drehbücher fürs Privatfernsehen
In seinem Büro in Köln schreibt der bekennende Punker dann Drehbücher fürs Privatfernsehen, derzeit über das Leben in Berlin. Zuvor schickte er tätowierte Muskelprotze und dralle Blondinen auf Verbrecherjagd. Schiering hat sich jedoch vor allem einen Namen als Romanautor gemacht. Sein Erstlingswerk „Ruhrpott-Köter“ ist eine skurrile Liebeserklärung an das Ruhrgebiet und seine Menschen. Es erzählt die Geschichte eines Rückkehrers in die Kleinstadt, den eine Hassliebe mit seiner Heimat verbindet.
Sein Debütroman, der in einem zweiten Teil weitererzählt wird, ist nicht autobiografisch, doch finden sich Parallelen zwischen der Hauptfigur André und dem Autor. Denn der promovierte Sprachwissenschaftler Schiering zog wieder ins kleine Gladbeck zurück, nachdem er etwa in Köln gelebt hatte. „Ich war schon immer ein Kreativling“, und das Schreiben seine Leidenschaft. „Als ich an der Uni inhaltlich alles erreicht hatte, was ich wollte, hatte ich Lust auf etwas Neues“, erinnert er sich und begründet den Schritt, seine akademische Karriere aufzugeben: Er wollte später nicht bereuen, kein Schriftsteller geworden zu sein – oder es zumindest versucht zu haben.
In der Uni-Zeit Fanszene in der Arena erforscht
Sein „Ruhrpott-Köter“ war gleich ein großer Erfolg und öffnete ihm die Tür zum Privatfernsehen. Inzwischen ist er zudem Komparse in Ruhrgebietsfilmen. Sein Umzug nach Horst erinnert ihn jedoch täglich an ein besonderes Forschungsprojekt aus der Uni-Zeit. Der Blick aus dem Wohnzimmerfenster genügt, weil am Gartentor der Nachbarn das Schalke-Logo prangt. Schiering hat früher inkognito die Fanszene in der Arena erforscht.
Natürlich ist er ein Schalke-Fan
Er wies etwa nach, dass die Fan-Rituale den Initiationsritualen indigener Völker ähneln. Bei seiner Feldforschung gab’s jedoch auch einen Schreckmoment: Ultras hatten sein versteckt getragenes Aufnahmegerät entdeckt. Er konnte aber in der Menge verschwinden, bevor er Prügel kassierte.
Schiering ist selbst Schalke-Anhänger, natürlich: „Wer in Scholven aufwächst, wird in den Verein hineingeboren.“ Als Kind sei er mit seinem Vater ins Parkstadion gegangen und habe nie verstanden, warum knallharte Männer wegen Fußball weinten. Beim Forschungsprojekt, 2006, waren beim letzten Spiel von Ebbe Sand auch seine Augen tränennass.
Biografie der Abstürzenden Brieftauben geschrieben
Ohnehin bedeute der FC Schalke für ihn sehr viel. Wenn aus zigtausend Kehlen das Steigerlied erklingt, denkt er an seinen Opa Alfred, der Hauer auf der Zeche Nordstern war. „Im Stadion erinnern wir durch unsere Lieder an unsere Großväter und ihre Berufe.“
Nicht nur deshalb freut sich Schiering wieder auf Heimspiele in der Nordkurve. Den Saisonauftakt musste er verpassen, weil seine Countryband „Ramblin’ René & The Stetson Five“ in Ruhrort auftrat. Im Duisburger Hafenstadtteil, wo er sich einen Kindheitstraum erfüllte. Dafür zog er vor wenigen Jahren in die „Punkeria“, ein Wohnhaus, das Punkern gehört und in dem Musiker und Künstler zusammenleben. Dort ließ er sich inspirieren, um die Biografie der „Abstürzenden Brieftauben“, Granden des deutschen Fun-Punks, zu schreiben. Die Band wurde zu seiner Lieblingskapelle, kurz nachdem er als Junge bei den Messdienern seine ersten Punklieder gehört hatte. Das Buch wird im Herbst erscheinen, eine Lesetour ist geplant.
Den bisher schönsten Tag seines Lebens will der Schriftsteller aber in Gelsenkirchen erleben. Am 31. August heiraten er und seine Verlobte Katrin, in seiner alter Heimat, um die Ecke der gemeinsamen Wohnung und der neuen Stammtrinkhalle. Im Schloss Horst.